Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus)

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17. September 2000 - St. Michael, Göttingen

Diese Predigt ist angeregt durch den Film von Luc Besson:
"The Messenger: The Story of Joan of Arc"/"Johanna von Orleans" (1999)
eigene Film-Kritik zu "Johanna von Orleans"

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1. Ein befremdlicher Prophet

  • Welche Seite an dem Propheten Jesaja ist Ihnen weniger fremd?
    "Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen, und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Doch Gott, der Herr, wird mir helfen; darum werde ich nicht in Schande enden. Deshalb mache ich mein Gesicht hart wie einen Kiesel; ich weiß, dass ich nicht in Schande gerate. Er, der mich freispricht, ist nahe. Wer wagt es, mit mir zu streiten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer ist mein Gegner im Rechtsstreit? Er trete zu mir heran. Seht her, Gott, der Herr, wird mir helfen."
    Welche Seite an dem Propheten Jesaja ist Ihnen weniger fremd? Der Prophet, der seinen Rücken denen hinhält, die ihn schlagen? Der sein Gesicht hart macht wie Kiesel, denen zum Trotz die ihm den Bart ausreißen? Oder die andere Seite: Der Prophet, der selbstbewusst von Gott an seiner Seite spricht, Gott, der zu ihm steht, Gott der mit ihm streitet?
  • Wir ahnen natürlich, dass diese beiden Seiten eng zusammengehören. Aber dies macht uns den Propheten noch nicht vertrauter. Schlimm für uns. Denn nicht zufällig wird dieser Prophet wie kein anderer zitiert, wenn es darauf hinzuweisen gilt, was und wer Jesus Christus ist. Der Gottesstreiter am Kreuz.
  • Für den fernen Propheten und den auserwählten Gottessohn mag der Streit an Gottes Seite berechtigter Anspruch sein. Für uns heute bleibt es fremd.
    Toleranz, Freude und Friede! Die Götterfunken aus dem himmlischen Elysium verbinden wieder, was Meinung und Mode streng geteilt! Alle Menschen werden Brüder, wo ihr starker Flügel weilt! Wer will da noch darauf beharren, von Gott berufen eine Sendung zu haben, an seiner Seite in den Streit zu ziehen? Welche Kirche dürfte da noch sich anmaßen, Gottes streitendes Volk auf Erden zu sein?

2. Seht her, Gott, der Herr, wird mir helfen

  • Ja, die beiden Seiten des Propheten Jesaja gehören unauflöslich zusammen. Es ist die Gottesgewissheit, aus der heraus er denen widersteht, die ihm zusetzen. Dieser Zug des Propheten tritt ganz klar hervor, wo er mit dem Anspruch Gottes seinen Volk unterstützt im Kampf gegen andere Könige - aber auch dort, wo er den Mächtigen des eigenen Volkes die Leviten liest, wenn die Gerechtigkeit im Volk Israel verkümmert. Der Dulder Jesaja ist auch der Streiter, der Kämpfer Jesaja ist auch der Gott Ergebene, der Mahner Jesaja ist auch der, der durch seine Verkündigung mit dem Volk zieht, wo es sich verteidigt gegen die, die seinen Untergang wollen.
  • Christ zu sein bedeutet, offen dafür zu sein, dass Gott auch mich zum Propheten beruft. Genauer: berufen hat!, denn in der Taufe wurde ich bereits zum Propheten gesalbt. Die Berufung als Priester oder zum Ordensleben macht vielleicht eine Weise von Berufung sichtbar. Darin erschöpft sich aber bei weitem nicht, was Berufung heißt. Berufen wird jeder Christ durch die Situation, in der er sich findet.
    • Die Berufung des barmherzigen Samariter bestand darin, dass er zufällig des Weges kam - und war trotzdem eine absolut zwingende Berufung. Diese konkrete Berufung durch Gott geschieht immer dann, wenn einer von uns, aus dem Volk Gottes und in diesem Volk Gottes, klar sieht, was hier und jetzt zu tun ist.
    • Vielfach ist es zuerst eine Berufung im Volk Gottes, der Kirche selbst, denn zu allererst will Gott sich ein neues Volk erschaffen und hat uns dazu berufen. Jeder Dienst in der Kirche ist daher Sendung.
    • Von da aus wird aber, wenn ich aus dem vertrauten Umgang mit Gott im Gebet heraus lebe, häufig auch im Lebensalltag Berufung und Sendung konkret, da Gottes Liebe nach Zeugnis ruft!
  • Jeder halbwegs geschulte Psychologe wird mir in fünf Minuten einen ganzen Katalog von Gründen liefern können, warum das, was ich für meine Sendung halte, doch ganz natürliche Ursachen hat. In meiner Kindheit werden sich schon genug Defekte finden, die mein Engagement erklären. Alles, was ich anführen könnte, um zu begründen, dass dies meine Berufung, dies meine Sendung ist, lässt sich zerpflücken, analysieren, entlarven. [Wenn es dann gar die Berufung zum Zölibat ist ....] Wie viele Zufälle haben mitgespielt, dass ich mich heute mit dieser Aufgabe, mit dieser Berufung, mit dieser Sendung wiederfinde? Diese Fragen sind alle unendlich richtig. Sie haben nur nichts mit Sendung zu tun, denn Gott beruft gerade nicht mit dröhnender Stimme vom Himmel, sondern mit den Zeichen am Wegrand meines Lebens, die ich sehen und lesen kann, wenn ich als Glied seines Volkes lebe und mit seiner "Stimme" vertraut bin, die so oft aus der Hl. Schrift zu mir spricht.

3. Wir einsamen Gottesstreiter

  • Die Berufung zur Nachfolge ist zu allererst die Berufung in der Kirche. Daher schmerzt es besonders, wenn wir die Erfahrung von Widerstand anderer auch, vielleicht sogar: gerade in der Kirche machen. Jeder Christ ist berufen, als Glied der Kirche zu leben und für viele wird das in großen oder kleinen Aufgaben konkret. Das ist nicht einfach "Feierabendbeschäftigung", das ist Berufung durch Gott: hier und jetzt, in dieser Gemeinde.
    • Wie ergeht es aber dem, der sich auf diese Berufung einlässt und dann die Widerstände zu spüren bekommt. Dem offen widersprochen wird oder der schweigend ausgegrenzt wird? Zunächst wird er hoffentlich mit sich kritisch ins Gebet gehen.
    • Gerade dort, wo er sich allein auf weiter Flur findet wird er schwankend werden. Wo Schweigen ihn umgibt und alle zu flüstern beginnen, wenn er in der Nähe ist, dann bohrt der Zweifel. Kann Gott dies wollen, wenn alle anderen dagegen sind?
    • Er kann und muss sich immer und immer wieder prüfen - aber wenn er bei all dem sieht, dass der Weg, der sich ihm zeigt, der richtige ist, wird er nicht umhinkommen, dazu zu stehen: auch gegen Widerstand. "Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt..." gilt auch in der Kirche
  • Bei mir selbst habe ich den Verdacht, dass es zu allererst meine Eitelkeit verletzt, wenn sich mir Widerstände entgegensetzen, wo ich doch meine, im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein. Bin ich nicht überzeugend, aufrichtig, freundlich genug, dass die anderen nicht mit mir übereinstimmen? Kann sein, dass es einer dieser Gründe ist. Aber waren auch die Propheten und war Jesus Christus nicht überzeugend, aufrichtig, freundlich genug? Wahrscheinlich haben sie sich diese Frage immer und immer wieder gestellt, ob es nicht an ihnen, an ihren Fehlern liegt, dass die Botschaft nicht angenommen wird. Dann aber bricht gegenüber dem wieder der Gott durch, der beruft und der sendet. Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass wir auf Widerstand stoßen werden, wo wir das Evangelium verkünden und leben. Nachfolge heißt, das Kreuz des Widerstandes auf sich zu nehmen.
  • Wir sollten uns aber noch einmal erschüttern lassen von der Ungeheuerlichkeit dessen, was hier behauptet wird. Ich soll mich, mit meiner Aufgabe, mit meinem Leben darauf berufen können, dass Gott mich sendet? Weiß ich nicht selbst zur Genüge, wie unvollkommen, fehlerhaft, sündig ich bin? Ich kann den Finger legen auf die Stellen, wo ich den Namen Gottes benützt und missbraucht habe für mich selbst. Warum sollte sich Gott ein solches löchriges und brüchiges Gefäß für seine Sendung aussuchen. Ich weiß es nicht, warum, ich weiß nur, dass er es tut. Daher steht mein Leben immer in der Spannung zwischen der unbeschreiblichen Größe, was Gott tut und dem klein-kleinen Maß, das es bei mir annimmt.
  • Wenn Jesus seinen Tod ankündigt, dann spricht er auch von der Auferstehung. Wenn wir dann auf unser Leben zurückblicken wird uns alles, was wir geschafft, geschrieben, geleistet haben, vorkommen wie Stroh im Vergleich zu dem, was wir geschaut. Wenn wir das Ergebnis unseres Lebens gegen die Größe unserer Berufung halten, wird es uns klein und mickrig vorkommen. Wir werden sehen, was wir alles getan haben, ohne es gewollt zu haben, und wessen wir uns bedient haben, obwohl wir damit Gott verraten haben. Aber all das ist für Gott Teil unseres Lebens und kann daher, im Blick auf das Kreuz, diesem Gott anvertraut werden. Amen.