Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)
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12. September 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt
Diese Predigt ist
angeregt durch den Film "Collateral"
von Michael Man (2004) Schieres Erstaunen ergreift Max,
als er nicht nur
realisiert, dass sein Fahrgast Vincent sich von ihm im Taxi durch LA
fahren lässt, um verschiedene Jobs in seinem Beruf als
Profikiller nachzugehen. Dieses entsetzte Unverständnis steigert sich,
als Max erfährt, dass Vincent seine Opfer noch nicht einmal
kannte. "Muss ich jemand kennen, um ihn umzubringen?", fragt Vincent
zurück.
Bei allen Abgründen sind sich der Taxifahrer und der Berufsmörder nicht
so unähnlich: sie haben keine Freunde und halten sich mit
ihrer je eigenen Lebenslüge über Wasser. Max ist ein anständiger Mensch
und versucht aus der Sache anständig rauszukommen - bis
zu dem Augenblick, in dem er auf der Auftragsliste seines Fahrgastes ein
Gesicht findet, das für ihn mehr bedeutet...
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1. Einer unter Unzähligen
- Aberhunderte Sterne sieht man in einer klaren Nacht am Himmel.
Einige wenige kann ich wiedererkennen und
benennen. Selbst wer Dutzende Sterne kennt - das ist nichts angesichts
ganzer Milchstraßen. Ungezählt sind die Sterne.
Verglüht einer davon, wird es nur merken, wer mit großem Eifer und
Aufwand das Firmament studiert.
- Dreißig Millionen Menschen sitzen an einem guten Wochenende in
Deutschland im Auto auf der Straße. Auch dieses
Wochenende werden ein paar Dutzend davon zu Tode kommen. Ein
verschwindend geringer Prozentsatz, der da die
Statistik anreichert. Kein Mensch scheint deswegen das Autofahren
verbieten zu wollen. Nur die Freunde der Opfer und
ihre Angehörigen werden sich durch die Statistik nicht beruhigen lassen.
Wo ein Mensch geliebt wird, taucht er aus der
Masse auf, wird zu etwas ganz besonderem, und ist sein Unfalltod eine
Tragödie, nicht nur eine beiläufige Meldung im
hinteren Teil der Zeitung.
- Schon in der Schaar von hundert Schafen zu merken, wenn eines
fehlt, scheint mir eine Leistung. Ich müsste mühsam
zählen. Trotzdem wird glaubhaft erzählt, dass ein wirklich guter Schäfer
jedes kennt. Ein solcher Schäfer geht dem
einen verlorenen Schaf nach - und das nicht um der Tagesstatistik
willen. Eines, das fehlt, fällt nicht unter statistische
Messungenauigkeit. Dem Schäfer ist jedes einzelne Schaf anvertraut von
einer Familie im Dorf, die vielleicht nur drei
oder vier Schafe besitzt. Deswegen allein schon ist es unersetzbar
wertvoll.
2. Unendlich geliebt
- Der Himmel ist der Ort, an dem jeder der Millionen Menschen
unendlich geliebt wird. Wir, die nur ein paar wenige der
unzähligen Menschen näher kennen und noch viel weniger aufrichtig zu
lieben vermögen, können uns das unmöglich
vorstellen.
- Deswegen wählt Jesus Gleichnisse, um es uns begreiflich zu machen:
wie ein Schaf aus der anvertrauten Herde, wie
eine Drachme aus dem kaum hinreichenden Vermögen einer verwitweten Frau,
wie einer der wenigen Menschen, die
wir gut kennen und lieben, so ist für Gott ausnahmslos jeder einzelne
Mensch.
- Die Engel feiern ein Fest, wenn ein einzelner Sünder umkehrt. Denn
das macht die wirkliche Sünde aus, dass dadurch
die Gemeinschaft mit den Engeln im Himmel zerstört wird. Wie der
physische Tod einen Menschen aus unserer Mitte
reißt, so reißen Hass, schwerer Egoismus oder schon ignorante
Lieblosigkeit uns heraus aus dem Leben, das uns mit
dem Himmel verbindet, der wirklichen Nähe zu Gott, der die Liebe ist.
3. Der Vater kommt uns entgegen
- Jesus verkündet uns einen tätig liebenden Gott. Der Vater thront
nicht distanziert im Himmel und sieht zu. Er geht dem
verlorenen Sohn entgegen. Er stellt das Haus auf den Kopf, um die
verlorene Drachme zu finden. Er durchstreift bis spät
in die Nacht unwegsames Gelände, um das verlorene Schaf zu finden und
auf seinen Armen zu tragen. So ist Gott.
- Das wirft Licht auf manche unscheinbar wirkende Erfahrung. Mir
zumindest ist es schon passiert, dass ich mich in einen
Konflikt so lange hineingesteigert und hineinphantasiert habe, dass ich
gar nicht mehr gemerkt habe, wie sehr ich selbst
dabei verloren gehe. Und wenn ich zehnmal im Recht bin, kann das die
sattsam bekannte Eigendynamik bekommen, die
blind macht für die Versöhnung.
Dann legt mir Gott etwas zum stolpern in den Weg. Das Wort eines anderen
Menschen, einen Schrifttext, den ich im
Gottesdienst höre - oder auch nur das rituell in der Messe gesprochene
Schuldbekenntnis, das mich darauf bringt, wie
weit ich von dem Weg ab bin, den ich gehen wollte, und wie weit
außerhalb der Liebe, mit der Gott mich trägt.
- Der Himmel legt uns nicht in Fesseln, dass wir nicht abhauen. Gott
hat die Engel Hochachtung gelehrt vor der Freiheit
der Menschen. Nur in Freiheit können wir lieben und geliebt werden. Es
ist also durchaus an uns umzukehren. Dann
aber kommt uns Gott von Weitem entgegen. Er will sich das Fest nicht
entgehen lassen. "Freut euch mit mir!" Ich habe
unter den zig Millionen diesen einen wiedergefunden, der verloren
schien. Amen.