Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Matthäus)
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24. September 2023 - St. Peter, Sinzig
1. Berechtigter Protest?
- Ich bin sicher nicht der Einzige, der spontan dem Protest zustimmen würde: Es ist zutiefst ungerecht, wenn die Arbeiter, die seit dem frühen Morgen geschuftet haben, nicht mehr bekommen, als diejenigen, die erst am Abend für ein Stündchen im Weinberg waren.
- Die Entscheidung, den Arbeitern der letzten Stunde auch den vollen Tageslohn zu zahlen, den die Arbeiter des ganzen Tages erhalten, erscheint auf den ersten Blick empörend ungerecht. Das wird ja im Evangelium selbst geschildert. Denn zur Gerechtigkeit gehört es, dass nach Regeln und verlässlich zugemessen wird.
- Willkür ist auch dann Ungerechtigkeit, wenn sie mal ein Ergebnis hervorbringt, dass als gerecht empfunden wird. Gerechtigkeit ist immer auch Verfahrensgerechtigkeit. Gerechtigkeit nur im Blick auf den Einzelnen würde auch die Mafia für sich in Anspruch nehmen – allerdings natürlich nur für die Mitglieder der eigenen Familie. Das kann es nicht sein.
2. Gerechtigkeit ist Teilhabe
- Der gleiche Lohn für ungleiche Arbeit ist aber nur unter der Rücksicht ungerecht, dass die verschiedenen Arbeiter verschieden viel Arbeitsleistung gebracht haben.
- Jesus dagegen hat das Gleichnis sehr präzis so erzählt, dass eine andere Rücksicht zählt: Ein Denar ist genau der Betrag, von dem eine Familie einen Tag leben kann; es ist der Tageslohn eines Tagesarbeiters. Es ist genug für das tägliche Brot heute. Und Jesus betont in seinem Gleichnis: Es lag nicht an der unterschiedlichen "Leistungsbereitschaft" der verschiedenen Arbeiter. Vielmehr war das die bedrückende Situation, dass diese Menschen von einem Tag auf den anderen ihre Arbeitskraft anbieten mussten. Sie wussten nicht, ob es jemand geben wird, der ihnen einen Job anbieten würde. Ausdrücklich lässt Jesus die Arbeiter der letzten Stunde sagen: "Niemand hat uns am angeworben."
- Auf der Sachebene erzählt das Gleichnis also von der Großzügigkeit eines Weinbergbesitzers, der durch sein Handeln eine strukturelle Ungerechtigkeit ausgleicht. Auch die Arbeiter der letzten Stunde, die bis dahin niemand angeworben hatte, sollen zu ihre Familie nach Hause kommen und sie ernähren können. Was Menschen Leistungsgerechtigkeit nennen übersieht allzuoft die ungerechte Verteilung der Chancen. Im Blick auf die Arbeiter sagt Jesus: Die Gerechtigkeit besteht darin, dass jeder Mensch am Leben teilhaben können soll, und zwar in Würde. Genau deswegen sagt Jesus dem Arbeiter der ersten Stunde, der sich beschwert: "Dir geschieht kein Unrecht!". Denn es gibt neben der Gerechtigkeit nach Produktivität, die Gerechtigkeit nach der Würde eines Menschen. Und diese Gerechtigkeit ist das geeignete Gleichnis dafür, was vor Gott zählt.
3. Der Pfad zur Gerechtigkeit
- Das Gleichnis erinnert daran, dass Gerechtigkeit nicht dadurch hergestellt wird, dass eine Stechuhr die Arbeitszeit misst oder eine Wage das Gewicht der geernteten Trauben. Nicht, dass jede Vergütung nach Akkord ungerecht wäre. Sie ist es aber dann, wenn sie sich absolut setzt.
Gerechtigkeit braucht immer auch Menschen, die über sie sprechen. Gerechtigkeit muss im Angesicht des Menschen zu allen Zeiten neu ausgehandelt werden. Ohne diesen Diskurs einer Öffentlichkeit gibt es keine Gerechtigkeit. Ohne Aushandeln von Interessen bleibt Gerechtigkeit einseitig.
- Auch Jesus platziert seine Gleichnisse sorgfältig. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist zu jenen gesprochen, die meinen, mehr zu verdienen, als das, was ihnen zusteht, nur weil Gott großzügig ist zu denen, die in einer reinen Leistungsgesellschaft hinten runter fielen.
- Es gibt aber auch ganz andere Gleichnisse, die sich an diejenigen richten, die meinen sie könnten sich ausruhen, den Himmel gäbe es doch umsonst. Da wird Jesus ebenso deutlich. Wer sich nicht um genügend Öl für die Lampe bemüht, hat sich um die Teilhabe am Reich Gottes gebracht und wird vor dem Tor "heulen und mit den Zähnen knirschen" (Mt 25,12, Mt 25,30 auch Mt 22,13). Gottes Großzügigkeit ist kein Ruhekissen. Sie schafft vielmehr den Raum, dass wir Gerechtigkeit neu entdecken, verstehen und leben. Amen.