Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr B 1991 (Markus)
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22. September 1991 - Foyer der Jesuiten in Bonn (St. Winfried)
1. Zur Sache
- Wenn es irgendwie möglich ist, in einem Evangelium einen Teil als besonders wichtig herauszustellen, dann wohl so, wie
das Markus tut. Er berichtet, dass Jesus extra mit seinen Jüngern den sonst so typischen Rummel flieht, um sie über etwas
zu belehren. Hinzu kommt, dass die bereits der zweite Anlauf Jesu zur selben Sache ist: Die zweite Leidensankündigung
auf dem Weg nach Jerusalem.
- Der Inhalt der Predigt Jesu ist prägnant wie immer. "Der Menschensohn wird den Menschen ausgeliefert, und sie werden
ihn töten; doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen." Es ist schwer vorstellbar, dass es an mangelnder
Ausdrucksweise gelegen hat, dass die Jünger Jesus dennoch nicht verstanden. Eher schon gibt der nachgeschobene
Halbsatz einen Hinweis darauf, was der Grund ihres Unverständnisses ist: Sie scheuen sich, ihn zu fragen.
- Das ist aus der Situation heraus gar nicht schwer verständlich: Der Ernst, mit dem Jesus von seinem bevorstehenden
Leiden spricht, macht klar, dass es nicht um eine akademisch-abstrakte Predigt geht. Das, was Jesus sagt, betrifft seine
ganze Person. Verständlich, dass die Jünger sich scheuen zu fragen; es könnte doch sein, dass auch für sie etwas
unangenehmes dabei herauskommt, dass es auch für sie konkret zur Sache geht.
2. In der Mitte und am Rand
- Und es geht zur Sache. Es geht um die grundsätzliche Denk- und Verhaltensweise seiner Jünger, dies ewige Denken in
den Kategorien von oben und unten, herrschen und dienen, groß und klein, reich und arm; es geht darum, dass angesichts
des bevorstehenden Kreuzes ihres Herrn, den Jüngern nichts Besseres einfällt, als untereinander Rangordnungen
abzustecken.
- Wieder nimmt Jesus die Rolle dessen ein, der versucht, seinen Jüngern klarzumachen, worum es geht. Er setzt sich, wie
sich nach damaligem Brauch der Lehrer vor seine Schüler setzt. Wieder ist seine Lehre kurz und prägnant und eigentlich
unüberhörbar. "Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein." Und wieder möchte man
lieber nicht genau nachfragen, was das heißt: Das Ergebnis könnte zu konkret werden.
Aber Jesus greift diesmal zu einem Zeichen, das sich nicht so leicht vergessen und verdrängen lässt: Er stellt ein Kind in
die Mitte der Jünger.
- Um dieses Zeichen zu verstehen, müssen wir zunächst einmal alles streichen, was wir an Rousseauscher Tradition mit uns
rumschleppen: Das Kind als das unverdorbene, natürliche Wesen, das noch nicht gesellschaftlich entfremdet ist. Das ist
Mythos, wenn auch ein moderner.
- Ein Kind steht zunächst einmal in alttestamentlicher Tradition für den Menschen, der weder auf seinen Einfluss,
noch auf seine Erfahrung verweisen kann, um damit vor anderen groß zu tun. Der Knabe Daniel, der die korrupten
Richter entlarvt, ist dafür das deutlichste Beispiel.
- Ein Kind ist aber darüber hinaus auch stellvertretend für den schutzlosen Menschen. "Kinder haben keine Lobby",
nennen wir das heutzutage, wenn auch der Rahmen eines aufwendig organisierten Weltkindertags die lautere
Absicht fraglich macht.
- Ein Kind ist, dies alles zusammenfassend, damit für Jesus unmittelbar zu Gott, weil Gott unmittelbar zu denen ist,
deren Stellung nicht durch menschliche Größe abgesichert ist.
- Ein solches Kind stellt Jesus "in die Mitte", an den Platz, der in der Sprache der Schrift dem vorbehalten ist, der jetzt
etwas Wichtiges zu sagen hat, der für andere bedeutend ist. Der Maßstab, den Jesus aufstellt, der Orientierungspunkt,
den er anbietet, ist damit das Schutzlose; sind damit die Menschen, die nicht von selbst in der Mitte stehen, Menschen die
wir beschönigend "marginalisiert" nennen, um auszudrücken, dass wir sie aus unserer alltäglichen Erfahrung verbannt
haben.
- Wir erfahren - mancher wird das bedauern - nichts darüber, was wir nun konkret tun sollen.
- Was dieses Bild bedeutet(im Hinterkopf der Streit um "Wer ist der Größte?), muss jeder für sich, muss aber auch
die Gemeinschaft der Christen und die Kirche jeweils neu ausloten. Den Blick suchen für die, die wir nicht sehen.
Und den Weg suchen, für sie dazusein.
- Damit ist nicht biblisch-dogmatisch entschieden, welcher Gesetzentwurf das ungeborene Leben am besten schützt.
Damit ist nur gesagt, dass der Maßstab nicht die Einflussreichsten und Mächtigsten sein dürfen.
- Jesus hat uns damit auch nicht die Verantwortung dafür abgenommen, unsere Gesellschaft so sozial zu gestalten,
dass nicht, wie selbstverständlich, ganze Gruppen außen vor bleiben. Dass diese Menschen "in der Mitte" zu
stehen haben, ist für Jesus indes klar.
3. In seinem Namen
- Wir sollen das Kind aufnehmen "um seinetwillen", wie es die Einheitsübersetzung übersetzt. Im Original steht, klarer, "in
seinem Namen". "Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf".
Damit ist, abschließend, klargestellt, dass wir uns durch das, was wir tun, nicht wieder auf's Neue in "bessere" und
"schlechtere" Christen einteilen lassen.
Die Übersetzung "um meinetwillen" suggeriert, dass das Kind nicht um seiner selbst willen, um seiner Bedürftigkeit und
seiner Würde willen aufgenommen wird. Die Hinwendung zum Schwachen verkäme zum "frommen Werk", das im Blick
auf den Herren Jesus und letztlich für unser eigen Seelenheil vollbracht wird. Das Kind verkommt zum Gelegenheitsobjekt.
Was Jesus hingegen mit dem "in meinem Namen" meint, wird unmissverständlich deutlich, wenn im darauf folgenden
Abschnitt die selbe Formulierung wiederkehrt (wir hören den Text am kommenden Sonntag). Dort geht es darum, dass
die Jünger einen Fremden hindern wollen, im Namen Jesu Wunder zu tun, weil er nicht eingeschriebenes Kirchenmitglied
ist, nicht zu ihnen gehört. Der Name Jesu soll dazu missbraucht werden, die eigene Bedeutung und Größe exklusiv
sicherzustellen.
- Im Namen Jesu heißt also: Gott die Herrschaft zu überlassen. Selber frei zu werden dadurch, dass wir uns in den Dienst
der einzigen Herrschaft stellen, die uns nicht wieder knechtet. Unmittelbar zu Gott dadurch zu werden, dass wir mit
bauen an seinem Reich.
- Damit ist, dies nur am Rande erwähnt, auch die entscheidende Antwort auf den Vorwurf Nietzsches gegeben, der
christliche Glaube sei eine Sklavenmoral. In seinem Namen zu handeln, versteht Jesus als die einzige, wirklich einzige
Chance frei zu handeln. Wie unendlich tragisch, dass die Christenheit und mit ihr die Kirche die Sklavenmoral dadurch zu
überwinden versucht, dass sie sich als Herren aufspielt. Im Blickwinkel Gottes ist dies nur die Versklavung an den ewigen
Streit, wer denn der Größte sei.
Mit seiner eigenen Unterwerfung unter das Kreuz hat Jesus seinen Weg angekündigt und vollzogen. Von keinem von uns
wird - soweit das abzusehen ist - verlangt werden, uns blutig ans Kreuz schlagen zu lassen. Der Weg Jesu ist für uns aber
dadurch nicht minder konkret. Amen.