Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Buch der Weisheit)
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24. September 2006 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt
1. Auf der Suche nach der Ursache von Gewalt
- Es wäre gut zu wissen, was die Ursache von Gewalt ist. Sollten Sie über
diese Erkenntnis verfügen, gar das Heilmittel zur Behebung der Ursache
wissen, ist Ihnen der Dank der Menschheit sicher. Nur das Magazin Fokus kann
Ihnen noch zuvorkommen, das Welträtsel in knappen Sätzen und Fakten-Fakten-Grafiken
zu entschleiern weiß. Ansonsten aber sind viele Wissenschaften an dieser
Frage dran, Psychologie und Pädagogik, Politologie und Soziologie, Ethnologie
und Geschichtsforschung, Philosophie und Theologie - und neuerdings wieder ganz
munter die Biologie in den Neurowissenschaften.
- Auch die Theologie ist an dem Thema dran. Aber auch sie ist nur eine Wissenschaften
unter vielen. Und in diesem Sinne ist die Bibel keine Theologie. Die Bibel ist
im Lebenskontext gedeutete Erfahrung Gottes, verbürgt als Wort Gottes in
verschiedenster sprachlicher Gestalt. Die heutige Erste Lesung ist aus dem Buch
der Weisheit, dem wohl jüngsten Buch des Alten Testamentes, entstanden
kurz vor der Zeitenwende. Viel mehr als die älteren Weisheitssprüche
ist in diesem Buch nicht nur menschliche Weisheit gesammelt, sondern auch reflektiert
im Horizont der Erfahrung Gottes. Auch dieses Buch ist jedoch nicht einfach
Theologie. Das Buch der Weisheit ist theologische Poesie.
- Darin taucht immer wieder auch die Erfahrung der Gewalt auf. In poetischer
Form wird die Erfahrung der Gewalt gedeutet, im Horizont der Glaubenserfahrung
Israels wird Gott verkündet und werden Antworten gegeben auf die Frage
nach der Ursache von Gewalt. Allerdings sind das keine Antworten wissenschaftlicher
Theorie. Es sind Antworten und Modelle, die uns helfen, auf uns selbst und unsere
Erfahrung zu reflektieren auf der Suche nach der Ursache von Gewalt.
2. Die Gewaltphantasien der Frevler
- "Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren"! Diesen
gewalttätigen Vorsatz legt das Buch der Weisheit "den Frevlern"
in den Mund. Wie überall in diesem Buch werden keine Namen genannt. Um
den Typus geht es. Deswegen kann der Text holzschnittartig sein. "Die
Frevler" werden aus der Perspektive der Gerechtigkeit dargestellt,
ja karikiert.
- Den Frevlern ist in ihrem Treiben der Gerechte ein Dorn im Auge. "Er
ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg", sagen sie unter sich.
Schöner noch der (gekürzte) Vers 2,14: "Er ist unserer Gesinnung
ein lebendiger Vorwurf, schon sein Anblick ist uns lästig". Hier
werden die Gewaltphantasien von Menschen pointiert in Bilder gehoben.
- Der Gerechte ist lästig. Er muss weg. Für Christen war dieser Text
immer schon eine Andeutung des Schicksals Jesu. Da war einer, der durch seine
Radikalisierung des Gesetzes in seinem Liebesgebot die herrschende Gruppe gegen
sich aufgebracht hat. Statt sich mit dem "lebendigen Vorwurf"
auseinander zu setzen, wird er beseitigt. "Zu einem ehrlosen Tod wollen
wir ihn verurteilen", nehmen sich die Frevler vor.
3. Der Gerechte vertraut Gott seine Sache an
- Die Frevler brauchen an dieser Stelle keine Ideologie. Im Buch der Weisheit
werden sie im Gegenteil als religions- und gottlose Hedonisten charakterisiert:
"Auf, lasst uns die Güter des Lebens genießen und die Schöpfung
auskosten, wie es der Jugend zusteht. Erlesener Wein und Salböl sollen
uns reichlich fließen, keine Blume des Frühlings darf uns entgehen.
Bekränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken; keine Wiese bleibe unberührt
von unserem ausgelassenen Treiben. Überall wollen wir Zeichen der Fröhlichkeit
zurücklassen; das ist unser Anteil, das fällt uns zu." (Weish
2,6-9).
- Wir sind schnell bei der Hand, Gewalt der Ideologie zuzuschieben. Ob Neonazis,
Rote Armee Fraktion oder Islamisten, es ist im Kern vielleicht gar nicht die
Ideologie, die Menschen zur Gewalt greifen lässt. Vielmehr ist es die Mischung
aus "Das steht uns zu, denn wir sind jung!" und der Verweigerung,
sich der Anfrage der Gerechtigkeit zu stellen. Sicher, es gibt viele Ursachen
von Gewalt. Aber eine davon kann diese Ablehnung des Fremden sein, das mich
selbst in Frage stellt. So wie ich im Ausland reflexartig alles wahrnehme, was
anders ist als das, was ich gewohnt bin, so kann das umschlagen in die radikale
Ablehnung, zumal wenn ich unbewusst spüre, dass das Fremde vielleicht so
unrecht nicht hat. Wer benennt, was nicht stimmt bei mir, ist mir lästig,
je mehr er recht hat, desto mehr.
- Was in der Lesung stört, ist die Rede von "dem Gerechten".
Man vermutet doch, dass der Weisheitslehrer, der diese Karikatur des Frevlers
zeichnet, sich selbst als den Gerechten sieht. Das ist nicht ganz geheuer.
Deswegen tut ein abschließender Blick auf das Evangelium not. Denn wo
Jesus den Jüngern ankündigt, dass er es ist, der einen ehrlosen
Tod erleiden wird, da gehen ihnen nur Machtphantasien durch den Kopf, wer
denn unter ihnen der Größte sei (Mk 9,30-37). Sie sind sich ihrer
Gerechtigkeit so bewusst wie die Kreuzfahrer, die bedenkenlos morden im Bewusstsein
der angeblich gerechten Sache. Jesus aber stellt dem ein Kind entgegen. Nur
wer ein Kind aufnimmt, nimmt ihn auf und Gott, der ihn gesandt hat. Die Gewalt
überlässt er den Frevlern. Sich selbst aber gibt er in die Hand
Gottes. Nicht als Schwert Gottes tritt er auf. Vielmehr wird Gewalt nur dort
überwunden, wo Menschen zurücktreten, um das Letzte Gericht Gott
zu überlassen.
"Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte
aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter."
(1 Petr 2,23) Wir ahnen nur, das Vertrauen, das zu solchem Selbstbewusstsein
ermächtigt, das Tod und Teufel nicht scheut, sondern einzig scheut, Gewalt
anzuwenden und damit Verrat zu üben an Gott und der eigenen Seele. Amen.