Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag/Stephanus 2009

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26.12.2009 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Das Wir der Weihnacht

  • Zwei Sätze aus dem gestrigen Evangelium und aus der heutigen Lesung fallen einem auf den zweiten Blick auf. Gestern wurde aus dem Johannes-Prolog gelesen "Wir haben seine Herrlichkeit gesehen". Heute hören wir den Stephanus: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen."
  • "Wir haben seine Herrlichkeit gesehen" ist vielleicht ein wenig theologisch gestelzt, aber ein zutiefst weihnachtlicher Satz. Er fasst die Erfahrung von Weihnachten zusammen, die viele, erstaunlich viele Menschen bis heute Jahr für Jahr machen. Das Kind in der Krippe wird zu einem Blick auf die Herrlichkeit Gottes, gerade weil es so verschieden ist von der Herrlichkeit so vieler Dinge der Welt, die uns das Jahr über in Bann halten.
  • "Wir haben seine Herrlichkeit gesehen". Das "wir" in dem Satz ist gut und richtig, denn Weihnachten ist eine Wir-Erfahrung. Kein Tag im Jahr, an dem so viele Menschen zusammen finden. Familien, die verstreut leben, kommen zusammen und Christen, die sonst das Erlebnis des gemeinsamen Gottesdienstes gut missen mögen, sind in der Christmette da, um in der proppenvollen Kirche gemeinsam Loblieder zu singen. "Wir haben seine Herrlichkeit gesehen". Selbst wo Menschen an Weihnachten bitterste Stunden erleben, weil sie einsam sind, oder erleben müssen, wie weit sie sich schon auseinander gelebt haben, gerade dort ist das Wir der Weihnacht in der Weise der Hoffnung gegenwärtig.

2. Einsamkeit des Stephanus

  • Auch Stephanus hat gesehen und bekennt die Herrlichkeit dessen, was er da sieht: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." Er ist erfüllt davon und er würde das Gefühl der Freude, das er erlebt, sicher als Weihnachts-Gefühl beschreiben. Überwältigt von der Herrlichkeit Gottes ist Stephanus von Freude erfüllt.
  • Obwohl die Situation eine ganz andere und ganz und gar nicht weihnachtlich ist. Stephanus wird verfolgt und beschuldigt und vor die Stadt geschleift, um dort von einer zorngeladenen Menge gesteinigt zu werden. Offensichtlich also kann die Weihnachtsfreude eine Kraft entfalten, dass das Sehen der Herrlichkeit Gottes selbst dann noch trägt, wenn die Felsbrocken der Realität auf jemand hereinbrechen.
  • Aber bezeichnender Weise spricht Stephanus im Unterschied zum Johannesevangelium im Singular. "Ich sehe", sagt Stephanus, nicht "Wir sehen". Das Wir der Weihnacht ist die normale Erfahrung oder Hoffnung, Jahr für Jahr. Von Kindesbeinen an, bauen wir mit diesem Wir der Weihnacht das Fundament unseres Glaubens, dass Gott uns zu seinem Volk gemacht hat, damit wir in der Gemeinschaft seine Herrlichkeit schauen dürfen.

3. Tragende Freude

  • Stephanus aber ist einsam, als er denen gegenübersteht, die ihn anfeinden. Sein Glaube ist in anderen Situationen geworden und gewachsen. Vielleicht, hätte man ihn einige Zeit früher gefragt, ob dieser Glaube ihn dann noch trägt, wenn die Steine über ihn herein brechen, Stephanus wäre sich nicht sicher gewesen. Zu sehr war der Glauben immer eine Gemeinschaftserfahrung.
  • Wir feiern heute, am Tag nach dem Weihnachtsfest diesen Stephanus, den ersten großen Zeugen des Glaubens an den menschgewordenen Gott. Dies mag wie geschmacklos vorkommen gegenüber den schönen Gefühlen von gestern. Es ist aber der Ernstfall der Weihnacht. Stephanus ist ein Zeuge dafür, dass die Weihnachtsfreude tragen kann, wo alles wegfällt, was mir immer als Inbegriff der Weihnachtsfreude vorkam: Gemeinschaft, Lieder, Romantik, Liebe.
  • Angesichts der Einsamkeit, angefeindet und gehasst, bricht sich bei Stephanus eine tiefere Freude Bahn. Er sieht, dass durch die Weihnacht, die wir auf Erden feiern, der Himmel offen steht. "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." Stephanus, der sich davor nie sicher sein konnte, ob der Glaube im Ernstfall auch trägt, sieht in diesem Moment, dass die Herrlichkeit der Krippe hineinreicht in die Ewigkeit. Vor dieser Ewigkeit steht er wie jeder Mensch im Angesicht des Todes allein. Kein Mensch kann ihm das abnehmen. Aber die Krippe des Himmels leuchtet ihm. Die Weihnachtsfreude trägt. Amen.