Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Lukas)

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26. September 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt

Die Predigt nimmt Bezug auf Magnus G. aus Frankfurt. Über ihn erschien in dieser Woche ein Buch: Lochte, Adrienne: Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler. München (Droemer-Knaur) 2004.

1. Von einem, der mit den Reichen leben wollte

  • Es war einmal ein reicher Mann, der sich immer in die neueste Markenklamotten kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte. Genaugenommen war es ein junger Student und es war das Geld seines Vaters, von dem er lebte. Neben der Villa am Frankfurter Lerchesberg standen ihm Ferienhäuser des Vaters in Kitzbühel, an der Cote d'Azur und auf Ibiza zur Verfügung. Dorthin lud er auf Kosten des Vaters eine ganze Gruppe von Freunde ein, führte sie aus ins Restaurant, und sie genossen das Leben im Luxus ohne zu viel zu fragen.
  • Einer dieser Freunde gehörte eigentlich nicht dazu. Niemand in diesem Kreis junger Leute aus begüterten Familien wusste, dass er in Wirklichkeit aus normalen, nicht sonderlich vermögenden Verhältnissen stammt. Nur mit äußerster Anstrengung und im Rückgriff auf einen Rentenfonds konnte er den Schein waren, sich spendabel zeigen und seiner Freundin und sich die teuren Markenkleidung leisten. Er genoss es in diesem Kreis zu sein, scheinbar sorglos zu leben und aus dem Vollen zu schöpfen. Bis zum letzten Pfennig, der ihm verblieben war, spielte er gegenüber der Freundin und den Freunden den gut situierten Jurastudenten. Um nichts in der Welt wollte er seine Gemeinschaft mit den anderen verlieren. Er hatte Angst, wegen seinen bescheidenen Verhältnissen verachtet zu werden. Wer er war, kam erst hinterher raus. Dann war es in der Zeitung zu lesen, seit letztem Donnerstag auch in einem umfangreichen Buch(1). Der Jurastudent wurde zum Mörder an einem elfjährigen Jungen. Mit dessen Entführung hatte er gehofft, sich das Geld beschaffen zu können, um seine Lebenslüge nicht zerbrechen zu sehen.
  • Jetzt ist der ehemalige Jurastudent im Gefängnis. Statt im Kreis vergnügter junger Leute auf Ibiza sitzt er allein. In seiner Zelle, wo er sich wohl qualvoll fragen wird, wie es dazu hatte kommen können, kann er nur noch von weitem sehen, wie das Leben für andere weiter geht. Angesichts der unverständlichen und grausamen Tat war das Gerichtsurteil gerecht und unvermeidlich. Vielleicht hat es aber auch zugleich lediglich sichtbar gemacht, was schon zuvor Realität war: die Einsamkeit dieses jungen Mannes, der so gern einer von den Reichen sein wollte. Nun ist er ganz und gar allein.

2. Ein gewisser reicher Mann

  • Über den reichen Mann im Evangelium erfahren wir nicht viel. Nur eben, dass "er sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte", wird vermerkt. Wenn ich versuche, mir dies vorzustellen, dann sehe ich nicht nur ihn, sondern viele fröhliche Menschen, die von seinem Reichtum angezogen mit ihm in Freuden leben. So leben sie in ihrer Welt. Den Lazarus vor der Tür werden sie nie bewusst wahrgenommen haben. Die Tür blieb verschlossen. Das volle Leben spielt sich in einer eigenen, wohlbehüteten Welt ab. Deswegen kommt niemand auch nur auf die Idee, die Essensreste, die vom Tisch fallen, dem Hungernden vor die Tür zu bringen.
  • Jesus erzählt eine Beispielgeschichte. Er nennt es nicht Gleichnis, denn es ist zu real, um nur Gleichnis zu sein. In meisterhaft knapper Form wird uns diese Realität vor Augen gestellt. Gerade im zweiten Teil, der mit dem Tod des Reichen und des Lazarus beginnt, wird diese Realität deutlich. Denn während der Reiche, der sich im Kreis seiner Freunde wähnte, in das kalte Loch des Grabes gelegt wird und zur Unterwelt, in die Einsamkeit des Hades, hinab sinkt, heißt es von Lazarus, dass er, als er starb, von Engeln empfangen wurde. Ihn tragen sie "in Abrahams Schoß" und damit in die Gemeinschaft des Vaters aller Glaubenden.
  • Jesus lässt Abraham und den namenlosen reichen Mann ein Gespräch führen. Von weitem zwar nur, aber deutlich sieht der Reiche nun Lazarus, und wie anders es diesem ergeht. Oberflächlich geht es in dem Gespräch zunächst nur um den gerechten Ausgleich: Wer auf Erden so viel Luxus erfahren hat, darbt nun im Hades. Im Tieferen aber wird in diesem Gespräch offengelegt, wie weit außerhalb der Reiche immer schon gelebt hat - trotz seines Luxus, ja, wegen seines Reichtums und wegen dem, was der Reichtum bei ihm bewirkte: dass er den Armen vor seiner Türe nicht sah. In der verweigerten Gemeinschaft mit dem Armen hat der Reiche von Anfang an in Einsamkeit gelebt. Man muss nicht sterben, damit das deutlich wird. Ein Konkurs und die Sperrung aller Kreditkarten haben den gleichen Effekt. Gemeinschaft, die auf Geld und Luxus gründet zerfällt dann schnell.

3. Die Gemeinschaft der Armen Gottes

  • Wenn es ein Beispiel ist, das Jesus erzählt: was bedeutet es für mich? Das Beispiel vom reichen Mann und vom armen Lazarus gehört zu den schockierendsten Teilen im Lukasevangelium, weil es so krass gezeichnet ist. Zwischen Lazarus und Abraham auf der einen und dem Reichen auf der anderen Seite ist, wie Jesus Abraham sprechen lässt, "ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte." Unerbittlich, wie eigentlich schon das Loblied der armen Magd Maria am Anfang des Evangeliums: Gott "stürzt die Mächtigen vom Thron" und "lässt die Reichen leer ausgehn".
  • Wie das Evangelium wirkt, hängt von mir ab, der ich es höre. Entdecke ich in mir das Verhalten des reichen Mannes, der hinter seiner verschlossenen Türe lebt, und der den nicht sieht, der davor liegt? Oder erlebe ich mich durch Jesus gestärkt, weil ich von der Gemeinschaft der Reichen zwar ausgeschlossen, dafür aber eine andere, wertvollere Gemeinschaft habe, deren Vater Abraham ist? Das Evangelium ist schwarz-weiß gezeichnet, und ich finde mich am ehesten in der Grauzone dazwischen. Gerade deswegen aber ist der Schock dieses Textes vielleicht heilsam.
  • Uns, als Gemeinde und Kirche, hat Jesus etwas zu sagen. Wir sind eingeladen, hier schon die Gemeinschaft zu leben, die uns in der Taufe verheißen ist. Es ist die Gemeinschaft derer, die sich in der Tradition des Volkes Israel gemeinsam als arm vor Gott erleben. Zusammen können wir den Reichtum erfahren, der daraus erwächst. Wir können "auf Mose und die Propheten hören" und die Armen in unserer Mitte nicht verachten(2). Es geht dabei präzis nicht um das Almosen-Geben, so wichtig das ist. Zuvor und grundlegender ist die Achtung und die Bereitschaft mit einander, arm und reich, Gemeinde zu sein. Wenn junge Menschen das in unserer Kirche erfahren, gelingt es vielleicht ihnen und uns allen, das wertvollste im Leben nicht zu verlieren. Amen.

 


 

Anmerkungen

(1) Lochte, Adrienne: Sie werden dich nicht finden. Der Fall Jakob von Metzler. München (Droemer-Knaur) 2004. (Vorabdruck in der FAZ Sonntagszeitung vom 19.9.2004).

(2)Psalm 22,25 sagt von Gott: "Denn er hat nicht verachtet, nicht verabscheut das Elend des Armen. Er verbirgt sein Gesicht nicht vor ihm; er hat auf sein Schreien gehört."