Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 27. Sonntag im Lesejahr A 2014 (Matthäus)

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5. Oktober 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Weinberg

  • Winzer sind keine Kartoffelbauern. Bei aller Hochachtung vor der Kartoffelzucht, ist der Weinbau doch eine Königsdiziplin, die ungewöhnlich viel Sorgfalt und Kunstfertigkeit verlangt.
    Daher ist schon für das Alte Testament der Winzer, der einen Weinberg anlegt, ein Bild das anschaulich macht, wie Gott den Garten angelegt hat, damit sein Volk darin wohnen kann.
  • Das erste, das wir machen sollten, nachdem wir eben das Gleichnis aus der Bibel gehört haben, ist unsere eigene Erfahrung mit dieser Behauptung abzugleichen.
    Ein wenig klingt dabei vielleicht das nach, was im Gleichnis vom Weinbergbesitzer gesagt wird, nachdem dieser mit aller Sorgfalt den Garten angelegt hat: Er "reiste in ein anderes Land". Gott erscheint fern und abstrakt.
    Aber trotzdem kann jeder von uns überlegen, ob wir nicht dennoch die grundlegende Perspektive teilen können: Unser Leben zu sehen, in diesem Blick: Wie hat Gott den Weinberg, das Gärtchen in dem ich lebe, so vorbereitet, wie das im Evangelium geschildert wird: als einen Ort, der mir Raum gibt zu leben?
  • Vielleicht sollten wir das sogar noch präzisieren: Die Behauptung der Bibel ist, dass Gott uns alle Voraussetzungen gegeben hat, damit unser Leben fruchtbar ist. Statt fixiert zu sein auf das, was uns vermeintlich fehlt, statt ängstlich zu sein, diese oder jene Chance zu verpassen, führt uns das Bild vom Weinberg in die Wirklichkeit, wie sie von Gott her ist: Ein Ort, um dort - jede und jeder verschieden - Frucht zu bringen für andere, so am Weinstock die Reben Trauben hervorbringen.

2. Anmaßung

  • Im Gleichnis, das Jesus bildet, setzt jetzt ein dramatisches Geschehen ein. Man spürt, dass hier kein abstraktes, gefälliges Geschichtchen erzählt wird. Vielmehr kommt jetzt in den Blick, dass Jesus sein Gleichnis konkreten Menschen erzählt und sie damit provoziert: diejenigen, die sich als Besitzer des Weinbergs fühlen, die Führer des Volkes, die Eliten in der Wirtschaft und der Politik, die Promis, die meinen alles sei nur für sie da, weil sie mit ein wenig Musik Sport oder Schauspielerei Unsummen verdient haben (und sie vermutlich dennoch nicht verdienen); das Gleichnis müssen sich auch die anhören, die meinen die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, ob in den Medien, der Wissenschaft oder der Kirche. Ihnen allen - uns allen - erzählt Jesus dieses Gleichnis.
  • Die Geschichte klingt in ihrer Brutalität absurd. Die Pächter - sie sind ja nicht Besitzer! - prügeln und erschlagen die Boten des Weinbergbesitzers, und am Ende schleifen sie den Sohn vor die Tore und ermorden ihn, um das Erbe an sich zu reißen. Sie haben nichts dafür getan, den Weinberg anzulegen und das Leben zu ermöglichen. Aber sie wenden alles darauf an, sich das Erbe unter den Nagel zu reißen. Dafür schrecken sie selbst vor einem Mord nicht zurück.
  • Vermutlich dürfte jeder von uns die Anwendung des Gleichnisses auf sich selbst klar zurückweisen. Ich schlage und ermorde doch niemand! Aber vielleicht legt Jesus hier dennoch eine Wurzel der Gewalt offen, an der ich selbst durchaus beteiligt bin: Die Grundhaltung des Glaubens wäre, darum zu wissen, dass diese Welt und sogar ich selbst Gott gehöre; die Schöpfung ist uns nur anvertraut. Dennoch denke und lebe ich meist so, als würde das selbstverständlich mir gehören. Wie oft trete ich in diesem Bewusstsein anderen gegenüber. Wie oft bin ich dabei nahe an der Gewalt, die letztlich bereit ist, den Sohn zu ermorden, um das Erbe endgültig an sich zu reißen!
    Die Kirche sollte - gestärkt durch das Gleichnis - ein Gegenbild zu denen sein, die Gottes Weinberg an sich reißen. Die Kirche ist auch vielfach ein Gegenbild, nämlich in den vielen Christen, die im Glauben zu einer Großzügigkeit und Barmherzigkeit herangewachsen sind. Es ist eher die Versuchung für diejenigen, die Verantwortung in der Leitung und in den Strukturen der Kirche tragen, für jene am oberen Rand der Kirche also, das Erbe an sich zu reißen, statt zu helfen, dass der Glauben Frucht trägt.

3. Jesus

  • "Die Hohenpriester und die Pharisäer", so heißt es, "merkten, dass Jesus von ihnen sprach." Darin hätten sie mir etwas voraus. Ich muss das erst lernen. Jesus spricht in dem Gleichnis aber nicht nur von uns im Bild vom Weinberg und den Pächtern, sondern auch von sich selbst.
    Ein wesentlicher Grund, warum Jesus, das Schicksal, das ihm bevor steht, sehenden Auges annimmt wird durch das Gleichnis beschrieben: So kann das Unrecht sichtbar werden, indem der Gekreuzigte erhöht wird und nicht länger verschwiegen und verdrängt werden kann.
  • "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, er ist zum Eckstein geworden; das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder". Das Zitat stammt aus Psalm 118. Jesus scheint darin den Sinn seines Lebens symbolisch zu erkennen. Die Menschen vertrauen denen, die behaupten der Weinberg sei ihr Eigentum und stünde ihnen zu. Sie erschlagen - letztlich nicht nur symbolisch - den Sohn, um das Erbe an sich zu reißen. Aber dieser so Erschlagene und Verworfene wird vom anderen Ende her zum Eckstein, der alles trägt und zusammen hält. Unter denen, die verworfen wurden, hat er seinen Platz, und lässt sie erfahren dass sie erwählt sind.
  • An dieser Erwählung haben wir durch die Taufe Anteil. Die Taufe verheißt keine Macht auf Erden. Sie verleiht Macht vom Himmel her. Sie verleiht Macht, Frucht zu bringen, Früchte der Liebe und Früchte des Friedens, die wir hier dankbar vor Gott bringen und vor seinen Altar legen können. Sie gehören uns nicht. Sie sind uns jedoch geschenkt. Amen.