Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr C 2016 (Exodus)

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16. Oktober 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Weg der Befreiung

  • Katholiken sind gemeinhin zurückhaltend, den Tag rot im Kalender anzustreichen, an dem sie von Jesus Christus erlöst wurden und ihn als ihren Herrn angenommen haben. In Einzelfällen gibt es ganz sicher tief greifende Bekehrungen, von denen Menschen sagen: Hier und zu dieser Zeit ist es geschehen! Aber gemeinhin ist es ein Prozess, in dem das Leben neu ausgerichtet wird und sich die Synapsen im Gehirn neu verbinden. Nicht zufällig sind daher die biblischen Erzählungen vor allem auch darauf ausgerichtet, im Prozess der Lebensgestaltung Orientierung zu geben. Gerade das Alte Testament ist meisterhaft darin, die überlieferte historische Erinnerung geistlich aus der Gotteserfahrung neu zu erzählen.
  • Das erzählerische Kernstück der Bibel hat diese Dimension. Die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten - Befreiung ist ein anderes Wort für Erlösung!- verdichtet sich im Durchzug durch das Rote Meer. Aber der Weg der Hinkehr zu Gott geht da erst los. Jeder, der interessiert ist, das eigene Leben zu gestalten, sollte daran höchst interessiert sein. Hier wird beschrieben, wie Leben aus dem Glauben geht.
  • Das erste nach dem Auszug aus Ägypten ist die Sorge, ob die neu gewonnene Freiheit es wert ist, auf die sichere Versorgung zu verzichten. Trockenes Manna-Brot in der Wüste statt Fleischtöpfe in Ägypten, dem Land in dem wir Sklaven waren. Wer sich auf Gott einlässt, muss damit rechnen, dass nicht mehr alles so problemlos und selbstverständlich ist wie früher. Im Extremfall kenne ich Leute, die ihren Arbeitsplatz nicht mit ihrem Glauben vereinbaren wollten und gekündigt haben. Gotteserfahrung und Freiheit sind immer auch riskant.
    Das zweite auf dem Weg des Volkes durch die Wüste ist die Trockenheit und der Durst - Wüste eben. Der Weg des Glaubens ist immer auch ein Weg, der die Trockenheit kennt und der sie annimmt. Der Glaube stillt nicht jeden Durst und ist nicht Antwort auf alle Fragen, sondern er öffnet auch eine Leere, die es gilt auszuhalten. Das Wasser des Glaubens kommt aus dem Felsen und ist dem Harten abgerungen.

2. Anstrengung auf dem Weg

  • Die dritte Erfahrung auf dem Weg des Glaubens finde ich in der heutigen Lesung ausgedrückt. Der Auszug aus der Sklaverei führt aus einem gesicherten Raum in eine neue Unsicherheit. Freiheit bedeutet eben auch, dass es nun von einem selbst abhängt (Die britische Regierung ahnt gerade, dass es schwierig wird, nach der Befreiung vom Joch der Europäischen Union künftig nicht mehr die EU für alles Schlechte verantwortlich machen zu können).
  • Was aber bedeutet das, wenn wir uns als Menschen verstehen wollen, die auf Gott vertrauen wollen. Konkret: Diejenigen unter uns, die bei Null angefangen haben oder anfangen um sich oder der Familie eine Existenz aufzubauen. Kann man, darf man, soll man auf Gott vertrauen oder kommt es letztlich doch nur auf die eigenen Kräfte an?
  • Den Versuch einer Antwort darauf finde ich in der Erzählung vom Kampf mit Amalek im Buch Exodus. Das Material zu der Geschichte dürfte die überlieferte Erinnerung bilden, dass das Volk Israel nach dem Auszug aus Ägypten, erschöpft und auf der Flucht, sich gegen Angriffe von Beduinen wehren musste, den Amalektitern. Aber die biblische Erzählung ist nicht an kriegerischen Details interessiert. Vielmehr ist es ein großartiges, sprechendes Bild: Unten in der Ebene steht Josua im Kampf mit Amalek. Oben auf dem Berg steht Moses, die Hand mit dem Gottesstab erhoben. Nirgendwo in dem Abschnitt tritt Gott selbst auf, der mal eben den Kampf entscheidet. Vielmehr ist hier alles auf die beiden Gestalten konzentriert, dem auf die Gotteskraft vertrauenden Moses und dem in der Ebene mit den Amalektitern kämpfenden Josua.

3. Gotteskraft und Menschenkraft

  • Viele von uns haben ihren Kampf mit den Amalektitern erlebt oder stehen mitten drin. Für manche ist es der innere Kampf, mit dem sie sich aus alten Bindungen lösen und sich zu einer neuen Identität durchringen. Für andere sind es konkrete Konflikte mit anderen Menschen, die unendlich Kraft verzehren. Für viele gerade hier unter uns ist es der Kampf darum, sich eine Existenz in diesem Land aufzubauen und den Kindern eine Zukunft zu geben. Oftmals ist es genau so, wie es in der Bibel dargestellt wird: Dieser Kampf kommt nicht, nachdem ich mich gut vorbereitet und Kräfte gesammelt habe; er kommt vielmehr in Zeiten, in denen ich ohnehin schon angestrengt und müde bin, wie das Volk Israel, als es von Amalek überfallen wird.
  • Die Bibel sagt nicht: Lasse den Kampf in der Ebene bleiben; bete nur und vertraue auf Gott! Vielmehr "tat Josua, was ihm Mose aufgetragen hatte, und kämpfte gegen Amalek". Er kämpft nicht halbherzig und lässig, weil er sich auf den Mose verlässt, der vom Gipfel des Hügels aus betet. Sondern der Kampf kostet alle Kraft, physisch und psychisch.
    Aber dennoch findet der eigentliche Kampf auf dem Hügel statt, dort wo Mose steht. Der ganze Kampf unten wäre umsonst, wenn die Verbindung zu oben abbricht, wenn die Hände nicht mehr zu Gott erhoben wären. Die eigentliche Gefahr ist nicht, einen Kampf zu verlieren, sondern die Beziehung zu Gott zu verlieren, dem Ursprung und Ziel.
  • Deswegen auch wird in dieser kleinen Erzählung nichts weiter gesagt über diejenigen, die mit Josua kämpfen, wohl aber, dass Mose ohne zwei, die ihm die Arme stützen, nicht die Kraft hätte, weiter die Hände erhoben zu halten.
    Sind die Hände zum Gebet erhoben? Sind es segnende Hände? Halten sie den Gottesstab? Oder sind sie leer vor Gott? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen, dass dieser Kampf des Mose der entscheidende ist, weil er sich ausstreckt nach oben, zu Gott hin. Es heißt nicht, dass Gott daraufhin eingegriffen und den Kampf des Josua entschieden habe. Aber es heißt ausdrücklich, dass der Feind in der Ebene nur geschwächt werden konnte, weil da einer war, der die Hand erhoben hielt, gestützt durch gute Freunde. Amen.