Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2011 (Lukas)
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9. Mai 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Zweifel an der Freiheit
- Der Physiologe und Gehirnforscher Benjamin Libet hat eine
interessante Beobachtung
gemacht. Nach dem "Libet-Experiment" sieht es so aus, als würde zwischen
der
Vorbereitung einer Handlung im Gehirn und der Ausführung eine kurze Zeit
liegt:
Demnach würde zuerst das unbewusste Wollen stehen und dann erst die
Gehirnregion
aktiv, durch die ein Mensch das Gefühl hat, willentlich zu entscheiden.
Diese Beobachtung könnte darauf schließen lassen, dass das Gefühl, wir
könnten etwas selbst
entscheiden, trügerisch wäre; unser Unterbewusstsein hätte ja schon
davor entschieden.
- Die Schlussforderung hieße, dass der Mensch im Grunde keine Freiheit hat, sondern sich
das nur einbildet. Ganz abwegig scheint mir das nicht. Es sind nicht nur die äußeren
Zwänge, die unsere Freiheit in vielem einengen. Oft merken wir auch, dass das, was wir
"irgendwie eigentlich" wollen, nicht das ist, was wir tun. Zu den äußeren Zwängen
kommen innere Abhängigkeiten, Gewohnheiten und Zwänge, die Einfluss auf unser
Handeln haben.
- Wer deswegen einfachhin sagt, es gäbe keine Freiheit, dürfte genauso daneben liegen
wie alle, die meinen dass jeder Mensch in jeder Entscheidung frei sei. Einerseits will ich
uneingeschränkt an der grundsätzlichen Freiheit des Menschen festhalten, nicht zuletzt
um der Verantwortung und Würde des Menschen willen. Andererseits muss ich nüchtern
feststellen, dass wir auch Zwängen unterliegen und uns nicht alles möglich ist.
2. Gottes Unfreiheit
- Erstaunlich ist, dass es auch für Gott keine absolute Freiheit zu geben scheint. Den
Emmausjüngern erklärt der Auferstandene: "Musste nicht der Messias all das erleiden,
um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?" Ein Müssen, dem der Messias unterworfen ist.
Und in der Pfingstpredigt des Petrus hören wir: "Es war unmöglich, dass er vom Tod
festgehalten wurde". Es gibt also offensichtlich auch bei Gott so ein "müssen", Dinge die
"unmöglich" und alternativlos sind.
- Gott offenbart sich als ein Gott, der nicht "alles kann". Vielmehr kann er manches nicht
wollen - oder will es nicht können. Christus, der Messias, "musste all das erleiden", weil
er sonst sein ganzes Leben verraten hätte: Jedes gute Wort, das er einem Menschen
gesagt hat, jede Verkündigung von Gottes Herrschaft und damit all das, woraus und
wofür er gelebt hat, hätte er verraten, wenn er sich vor der Macht des Pilatus gebeugt
hätte. Am Kreuz ist die Herrlichkeit sichtbar geworden, weil Jesus seiner Sendung treu
geblieben ist. Deswegen und nur deswegen war es ihm möglich "in seine Herrlichkeit zu
gelangen".
- Im 2. Timotheusbrief lesen wir: "Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann
sich selbst nicht verleugnen." Das göttliche Müssen durchzieht wie ein roter Faden die
ganze Heilige Schrift. Der selbstgewählte Zwang, unter dem Gott im Verhältnis zu uns
Menschen steht, wird angezeigt durch das Wort Treue. Es ist ein aus dem Inneren Gottes
kommendes Müssen und Nicht-anders-Können. Das Erste Testament schildert es
manchmal als dramatisches Geschehen, in dem Gott sich in gerechtem Zorn versucht,
um festzustellen, dass er nicht anders kann als seinem Volk - geradezu zwanghaft - treu
zu bleiben. Ebenso war es dann auch "unmöglich", dass der himmlische Vater der
Gewalt und dem Tod das letzte Wort überlässt. Weil Gott ein - sagen wir es so -
'zwanghaft Liebender' ist, war es für seinen Sohn "unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde".
3. Freiheit zum Willen Gottes
- So paradox es zunächst klingt: Meine Freiheit als Christ ist mir gegeben, um mich
abhängig zu machen.
Es ist so wie in der Ehe, dort versprechen sich zwei Partner, sich von einander abhängig
zu machen. Treue wird in dem Maße möglich, in dem sich jeder der beiden aus Liebe
dazu entscheidet, nicht anders leben zu wollen und dann auch nicht anders leben zu
können als mit dem Partner. Das kann dennoch eine konfliktreiche Beziehung sein. Es
ist aber ein Geschenk, wenn die "Unfähigkeit" wächst, das Leben anders als in dieser
Ehe auch nur zu denken, geschweige denn zu wollen.
- Was von der Treue in der Ehe gilt, gilt auch für das ganze Leben.
Freiheit des Christenmenschen bedeutet dann, sich gezielt und wachsend
anzugewöhnen, aus dem Evangelium zu leben. Entschiedenheit für das Gute
braucht Einübung. Wer die Kraft hat, den
Mund aufzumachen, wenn alle über das Unrecht Schweigen, und aufzustehen,
wenn alle
sich verbündet haben zum Unrecht, der dürfte einen Lebensweg hinter sich
haben, in
dem er sich durch viele kleine Erfahrungen und Taten darauf vorbereitet
hat. Frei nach
der Petruspredigt: Wer sich aus der Verbundenheit mit Gott schon hier
Tag für Tag für
das Leben entscheidet, für den ist es "unmöglich, dass er vom Tod festgehalten" wird.
- Das widerspricht auch nicht der Schlussfolgerung, die Benjamin Libet aus seinen
Beobachtungen zieht. Am Anfang einer Handlung mag ein unbewusster Impuls stehen.
Dieser stellt sich aber anschließend vor das bewusste Entscheiden des Willens. Je mehr
und je öfter wir uns richtig entscheiden und richtig handeln, desto mehr wird unser
Gehirn sich darauf einstellen und schon das unbewusste, intuitive Wollen uns auf den
richtigen Weg führen. Das zutiefst innerste Wollen und das Entscheiden wären eins.
Eine größere Freiheit ist für mich nicht denkbar. Amen.