Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr C 2016 (Jesus Sirach)

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23. Oktober 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Gott des Rechtes

  • "Er ist ja der Gott des Rechts" Kann sein, dass das nur Juristen interessiert. Aber jeder, der in einem System und einem Land gelebt hat, in dem das Recht nicht gilt, jeder, der weiß wie Willkür und Korruption sich auswirken, wird verstehen, dass hier nicht über etwas Nebensächliches gesprochen wird.
  • Nur zwei Mal in der Bibel kommt dieser Titel für Gott vor: "Gott des Rechts", einmal im Buch Jesaja und einmal in dem Buch des Weisheitslehrers Jesus Ben Sirach, aus dem wir heute die erste Lesung gehört haben. Beide Male ist Gott als derjenige bezeichnet, der sich parteiisch an die Seite derer stellt, die als erste unter die Räder kommen, wenn nicht mehr Recht gilt, sondern Macht und Gewalt.
  • Es ist also nicht nebensächlich, sondern mit gutem Grund eines der zentralen Themen in der Bibel. Immer und immer wieder wird deutlich gemacht, was zentraler Teil der biblischen Botschaft ist: Gottes Gebot legt den Menschen fest auf das Recht, gegen die Willkür. Doch auch ein Recht, das einseitig die Besitzenden und Reichen bevorzugt, ist nach der Bibel Unrecht. Schlimmer noch ist aber die Willkür. Menschen, die aus Staaten ohne funktionierendes Recht kommen, verstehen das. Ebenso Menschen, die unter Eltern oder Vorgesetzten leiden, deren Entscheidungen und Handlungen willkürlich und unberechenbar sind; schlechte Regeln wären da fast besser, als die ständige Unsicherheit, mit der manchen die anderen ihre Macht spüren lassen.

2. Gott des Bundes

  • Dass alles staatliche Handeln nach Recht zu erfolgen hat, ist nicht selbstverständlich. Es ist aber ein wertvolles Gut, das leicht übersehen wird. Die alte Tante Recht ist manchmal etwas mühselig. Weil sie für alle gelten muss, spricht sie in abstrakten Sätzen, die für viele unverständlich sind. Gesetze sind im Einzelfall oft nicht ideal, denn kein allgemeines Gesetz kann alle Einzelfälle abdecken. Alle Erfahrung aber zeigt: auf die allgemeine Gesetze und Rechtsvorschriften zu verzichten und die Entscheidung einem einzelnen Herrscher - mal so oder mal so - zu überlassen, ist noch schlimmer. [Eher schon braucht es in besonderen Situationen, in denen ein Gesetz im Einzelfall Unrecht hervorbringt, Menschen, die bereit sind, es das Gesetz zu brechen aber auch die Strafe dafür zu tragen. Auch das in Deutschland in wenigen Einzelfällen praktizierte Kirchenasyl kann hilfreich sein - aber gerade da wird deutlich, wie viel davon abhängt, dass die Gemeinden und Kirchen dieses Instrument der "Rechts-Aussetzung" transparent und verlässlich handhaben.]
  • Gilt all das auch für den "Gott des Rechts", wie ihn die Bibel bekennt? Er ist ja der Allmächtige Gott, wie kann er dann durch Recht und Gesetze in seiner Allmacht beschränkt und gebunden sein? Tatsächlich behauptet genau das die Bibel. Im Buch Deuteronomium heißt es im Lied des Mose, seinem Vermächtnis: "Er heißt: der Fels. Vollkommen ist, was er tut; denn alle seine Wege sind recht. Er ist ein unbeirrbar treuer Gott, er ist gerecht und gerade" (Dtn 32,4). Gottes konkrete Treue stet über der abstrakten Allmacht. Gott "bleibt treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen" haben wir vor zwei Wochen aus dem Timotheusbrief gehört (2Tim 2,13). Diese Treue gilt nicht nur für das Handeln Gottes in der Geschichte und sein Recht, sondern auch für sein Handeln als Schöpfer: Das Recht, das in der Natur des Menschen grundgelegt ist, kann dem Recht, das in der Bibel für das Zusammenleben göttliche Geltung beansprucht nicht widersprechen.
  • Für gläubige Menschen ist die Treue Gottes deswegen auch der letzte Grund für die absolute Geltung der Menschenrechte. Der Weg bis zu dieser Erkenntnis war ein langer. Die Schöpfungserzählung, wonach Gott alle Menschen geschaffen hat - den einen Menschen "als Mann und Frau" (Gen 1,27) -, das Recht des Fremden in der Gesetzgebung Israels, die Botschaft Jesu von der Gotteskindschaft, all das hat dort hin geführt. Wie sehr die unbedingte Geltung der Menschenrechte institutionellen Interessen widersprechen kann, spiegelt sich darin wider, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auch gegen kirchliche Positionen errungen werden musste. Aber dennoch ist es kein Zufall, dass sie aus der Kultur entwachsen sind, die um die Treue Gottes weiß.

3. Gott der Barmherzigkeit

  • Zum Vergleich ist ein Blick in die "Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam" von 1970 erhellend, die zwar den westlichen Kanon der Menschenrechte aufgreift, aber ihn auch immer wieder einschränkt mit Formulierungen wie: "außer wenn die Scharia es verlangt." Hier ist also das in Koran und Sunna ausgedrückte göttliche Recht immer wieder eine Durchbrechung der unbedingten Geltung der Menschenrechte. Gottes Allmacht und Souveränität, so die dahinter stehende Überzeugung, verträgt sich nicht damit, gebunden zu sein an allgemeine Gesetze.
  • Deswegen würde ich als Christ auch immer sagen: Vom allmächtigen Gott zu reden ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist die Erfahrung der Bibel, dass Gott sich entschieden hat zur Bindung an den Menschen. Letztlich schon in der Erschaffung des Menschen nach seinem Angesicht, ausdrücklich dann im Bund mit Abraham und Mose, unüberbietbar in der Menschwerdung. Gott bindet sich an das, was er in Freiheit erschaffen hat und unergründlich liebt. Wegen Gottes Liebe und Treue kann seine Allmacht nichts gebieten, das seiner in der Vernunft zugänglichen Schöpfung widerspricht. Es kann keinen religiösen Grund geben, einem Menschen die unbedingte Achtung seiner Würde zu versagen, denn Gott ist der Gott des Rechtes.
  • In der Taufe wird das ganz persönlich und konkret. Darin wird dieses Grundgesetz der Schöpfung ausgesprochen im Blick auf den, der sich diesem Gott anvertraut und von diesem Gott angenommen wird als geliebtes Kind. Deswegen sollten sich Getaufte von niemanden darin überbieten lassen, die Würde des Menschen in jedem Menschen als Kind Gottes anzuerkennen. Amen.