Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Matthäus)

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5. November 2023 - St. Peter, Sinzig

1.  Immer noch Kraft

  • Die deutsche Kirche 2023 war nicht erster Adressat, als Jesus seinen Jüngern und den Leuten sagte: "Ihr aber sollt euch nicht Rabbi oder Lehrer nennen lassen,  denn nur einer ist euer Lehrer, Christus"; "auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel".  Das hat Jesus damals als Jude zu einem jüdischen Publikum seiner Zeit gesagt.
  • Doch wenn das in der Gemeinde des Matthäus ein paar Jahrzehnte später überliefert wurde und er das in sein Evangelium geschrieben hat, da hatten diese Worte Jesu ganz aktuell Kraft und Wirkung in der neuen Situation einer christlichen Gemeinde. "Der Größte von euch soll euer Diener sein." Das wurde neu konkret.
  • Ebenso heute und hier. Das Evangelium liefert uns nicht die fertige Antwort für heute. Aber es hat alle Kraft dafür. Wir müssen es nur sorgfältig hören.

 2.  Christus lehren

  • Es sind zwei verschiedene Blickrichtungen, die Jesus fordert. Mir scheint dieses Detail wichtig. Einerseits richtet sich Jesus an diejenigen, die Meister und Lehrer im Glauben sind. Sie sollen sich "nicht Lehrer nennen lassen", denn der Christus ist auch ihr Lehrer. Das mittlere Wort Jesu hingegen richtet sich nicht an Väter, sich nicht Väter nennen zu lassen, sondern ist in der Perspektive der Kinder gesagt, die auf Erden niemand ihren Vater nennen sollen, "denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel".
  • Natürlich gibt es im Glauben wie im Leben Lehrer und Meister. Der Heilige Geist wirkt immer im Zusammenhang dessen, was wir von Anderen gelernt haben und bedient sich unserer "Vorerfahrungen" (und sei es auch abschreckender Beispiele). Jesus aber geht es um die Freiheit, das Vertrauen ganz auf Gott setzen zu können. Das verlangt von den Lehrern, dass sie lehren, als würden sie nicht lehren. So lehren, als würden nicht sie lehren, sondern Christus selbst (vgl. 2.Korinther 3,5).
  • Damit sind wir im Herzen der christlichen Erfahrung des dreifaltigen Gottes. Christus ist eben nicht einer der Lehrer, die nur Gelerntes weitergeben. Christus ist die Gottesgegenwart für sein Volk. Jede Lehre kann nur zu ihm hinführen. Jeder Lehrer des Glaubens kann nur helfen, dass Christus lehrt. Das ist die höchste Aufgabe des Lehrers, nicht sich selbst zu verkünden, sondern Christus.

3. Vater allein im Himmel

  • Ich brauche diese Lehrerinnen und Lehrer, die mich dahin führen, das Leben zu meistern und die Freiheit des Glaubens zu finden. Aber solche können nur sein, die ihre Aufgabe nicht nutzen, um an sich selbst zu binden. Mit einem anderen Wort: Hier entscheidet sich, ob geistlicher Missbrauch geschieht.
  • Wir wissen aber auch: Geistlicher Missbrauch religiöser Verhältnisse hat immer auch die andere Seite derer, die als Erwachsene befähigt werden müssen, die Abhängigkeit zu erkennen und zurückzuweisen. Das spricht das zweite Wort an: Wir sollen "niemanden auf Erden euren Vater nennen".
    Christlich zu glauben bedeutet, die Ansprüche irdischer Väter zurückzuweisen und allein dem himmlischen Vater zu vertrauen. Dabei gehe ich davon aus, dass Jesus mit "Vater" vieles von dem meint, was auch wir heute noch mit "Vater" verbinden – sei es in positiver Erinnerung an den eigenen Vater, sei es aus enttäuschter Erwartung: Vater wie Mutter stehen für Menschen, auf die wir uns bedingungslos verlassen können, aber auch für Menschen, die immer in Versuchung stehen, über die Erziehungsaufgabe hinaus als Autorität über unser Leben bestimmen zu wollen. Es gibt bis weit in das Erwachsenenalter damals wie heute ökonomische Abhängigkeit von den Eltern und psychologische. Jesus weist beides zurück, wenn er seine Jünger auffordert, nur dem himmlischen Vater zu vertrauen und ihn allein um das tägliche Brot zu bitten.
  • Eine letzte Bemerkung: Was Jesus hier vom "Vater" sagt, den wir allein im Himmel haben sollen, hat Konsequenzen. Denn die Rolle des Sicherheit gebenden Vaters erfüllen auch verschiedenste Strukturen.
    • Wir sprechen vom Vaterland und wissen um die Fratze des Nationalismus.
    • Aber schon auf dem Gebiet der Pfarrei und Pfarreiengemeinschaft kennen wir es, dass die Grenzen des eigenen Dorfes oft wichtiger sind, als der gemeinsame Vater im Himmel.
    • Und bis in die Winkel unseres Denkens fressen sich Denkgewohnheiten, die die anderen Menschen abgrenzen und ausgrenzen, in Kategorien von Rasse, Konfessionen und Ideologien zu denken, 'die da' und 'wir da'.

Jemand auf Erden Vater nennen meint also mehr, als nur den Erzeuger. Es meint alles, was uns unfrei macht, einander als Schwestern und Brüder anzunehmen, gleich in dem, Kinder Gottes zu sein, Kinder des Einen für uns alle.