Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Markus - 50 Jahre Jesuiten in Göttingen)

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5. November 2000, [Festgottesdienst "50 Jahre Jesuiten in Göttingen"] - St. Michael, Göttingen

1. Fundament

  • [Die Sprache hilft aus mancher Verlegenheit. So haben wir das Wort "Obst" um ganz unterschiedliche Dinge wie Bananen, Feigen, Birnen und Weintrauben mit einem Namen zu benennen. Mit etwas Geschick und feiner Zunge vermag man aus so Verschiedenerlei einen wohlschmeckenden Obstsalat machen. Wenn sie die Liste der Namen anschauen, die im letzten Pfarrbrief abgedruckt war, wer alles in den letzten fünfzig Jahren hier in Göttingen gewirkt hat, dann werden sie feststellen, dass das Wort "Jesuiten" mindestens so Verschiedenes unter ein Etikett packt, wie das Wort Obst. Nur mit dem Unterschied, dass ich mir nicht vorstellen kann es möge gelingen, daraus einen irgendwie wohlschmeckenden Jesuitensalat zu machen.
    Dies hat zur Folge, dass die Festpredigt sich schwer tut, etwas zu sagen, das allgemein auf so verschiedene Jesuitengestalten passt. Daher bleibt nur der Griff zurück, an jenen Punkt, von dem das so verwirrend Vielfältige einheitlich seinen Ausgangspunkt genommen hat, zum Heiligen Ignatius. Genauer gesagt, muss man zu den Exerzitien des Ignatius zurückgehen, denn sie waren es, die die Gruppe von Gefährten bekehrt, zusammengeführt und dazu motiviert haben, die Gesellschaft Jesu zu gründen.
    Ganz sicher: ohne die Exerzitien gäbe es heute kein Jubiläum zu feiern.]
  • Wer die Exerzitien macht, macht Übungen, die Ignatius die "geistlichen" nennt, weil mit diesen Übungen das Leben des Menschen auf Gott ausgerichtet werden soll. Wer sich darauf einlässt, wird von Ignatius zuerst auf das Fundament des Glaubens verwiesen. Dieses Fundament ist, so Ignatius, dass der Mensch dazu geschaffen ist, Gott zu loben. Das Ziel, zu dem der Mensch geschaffen ist, sei das Loblied, das der Mensch singt: das Lob Gottes. Nicht moralische Forderungen, nicht großartige Werke, nichts dergleichen ist das letzte und oberste Ziel, sondern Lob.
    Diese Auskunft dürfte überraschen, zumindest in ihrer Absolutheit. Aber sie ist bezeichnend für den "Stil" des Ignatius und für die Geisteshaltung, die er in seinen Exerzitien vermitteln wollte. Die vielen verschiedenen Menschen, die er mit seinen Exerzitien für Gott öffnen wollte, die vielen verschiedenen Erfahrungen, Temperamente, Berufungen, will Ignatius ausrichten auf das Ziel, das jedem Menschen gemeinsam ist. Ignatius will, dass das, was wir tun, im Großen oder Kleinen ein Lob dessen sei, der sich nicht eingrenzen lässt auf irgendwelche sekundären Ziele und sich nicht instrumentalisieren lässt für uns selbst, so sehr jeder seine eigene Arbeit tut, seinen eigenen Stil hat, seine eigenen Fehler und seine eigene Selbstverliebtheit. Alle werden auf das Fundament verwiesen: dass unser Tun und die Dinge, die wir dafür gebrauchen, und die Dinge, die dadurch entstehen, dass all das zum letzten Ziel hat, Gott zu loben.
  • Damit hat Ignatius aber nichts anderes gesagt als was heute in den Lesungen so eindrücklich vorgegeben ist. Höre, Israel, hört ihr, die ihr als Gottes Volk zusammen gekommen seid: "DER HERR, unser Gott, DER HERR ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft".
    Das Wort Gott zu "lieben" meint nichts anderes als Gott zu loben. Und die Einzigkeit des Herrn ist es, die das Lob Gottes zum Fundament für alles andere macht. Wenn überhaupt unser heutiger Sprachgebrauch von "Liebe" mit all den romantischen Nebenklängen es uns noch möglich macht, das biblische Gebot der Gottesliebe richtig zu verstehen, dann ist es das unermüdliche Lob, das jemand im Mund führt, wenn er über die Geliebte spricht.

2. Bund

  • "Höre Israel! DER HERR, unser Gott, DER HERR ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft." Worauf wird hier verpflichtet?
    Der einleitende Ruf "Höre Israel!" gibt den ersten Hinweis. Dies ist ein Text, der vorgelesen wurde, wenn bei seltenen Anlässen, vielleicht nur alle sieben Jahre, Vertreter aller Stämme Israels zusammen gekommen waren. "Höre Israel!", der Ruf richtet sich nicht an Einzelne oder einzelne Gruppen, sondern an das versammelte Volk.
  • Was wir heute beim Zuhören nicht mehr erkennen, war dem Volk damals ganz bewusst. Die Sprache der Lesung, die wir gehört haben, war den Menschen bekannt. Es ist nicht die Sprache der Dichtung, sondern die Sprache eines Vertragstextes. Wer heutigentags Verträge liest, findet allenfalls in der Präambel noch etwas von dem feierlichen Ton, der damals in Verträgen benutzt wurde.
    Das Buch Deuteronomium überliefert uns den Text des Vertrages, den Gott, der Schöpfer der Welt, mit einem Volk schließt, das er sich auserwählt hat. Wenn man diesen Text mit anderen Texten der Zeit vergleicht, erkennt man sofort: Hier werden bewusst Formulierungen gebraucht, mit denen ein Großkönig einen Beistandsvertrag mit Vasallenvölker schließt.
    Darin liegt der Sprengstoff des Glaubens Israels. Wo andere Völker Großkönigen unterworfen werden, dort schließt das Volk Israel einen Vertrag mit Gott. Nicht die Babylonischen, assyrischen, ägyptischen oder sonstigen Großkönige sind letzter Bezugspunkt, nicht ihre Götter und Gottheiten sind Israel verbindlich, sondern Gott, Gott ausschließlich: "DER HERR ist einzig".
  • Recht und Liebe stehen hier nicht im Gegensatz zu einander. Im Gegenteil. Wenn Gott sich so an ein Volk bindet und einen solchen Vertrag mit Menschen schließt, dann ist dies nicht nur juristisch Grundlage dafür, dass Menschen diesen Vertrag erfüllen wollen. Der Vorgang ist so einzigartig, so staunenserregend, dass das Volk immer wieder zusammen kommt, um sich an diesen Bund zu erinnern. Es schreibt die Erinnerung an diesen Bund in sein Herz. Der Bund mit Gott wird zur Grundlage der unabhängigen Existenz. Rede Gottes, Antwort des Menschen - so entsteht die Basis für Leben.

3. Und den Nächsten

  • Der Abschnitt aus dem Hebräerbrief, den wir als zweite Lesung gehört haben, führt uns einen Schritt weiter. "Das Wort des Eides, der später als das Gesetz kam, setzt den Sohn ein, der auf ewig vollendet ist."
    Wie wir gesehen haben, ist mit der Rede vom "Gesetz" ein Vertrag gemeint, der Bundesvertrag Gottes mit seinem Volk. In diesem Vertrag bindet sich Gott an dieses eine, auserwählte Volk. Dieses Volk verspricht Gott die Treue, von ganzem Herzen. Aber es ist ein Vertrag auf Gegenseitigkeit. Aus dem Rückblick der Exilszeit erkennt Israel, dass das Volk vertragsbrüchig geworden ist.
  • Die Unermüdlichkeit der Zuwendung Gottes zu seinem Volk ist jetzt aber unverbrüchlich, ewig geworden. Indem Gott selbst sich in Christus auch auf die Seite der Vertragspartner gestellt hat, indem Gott selbst Mensch geworden ist, indem er seinen Bund so mit einem Eid bekräftigt hat, eröffnet er das Vertragsangebot auf alle Völker. Unser Scheitern, unsere Ablehnung, unsere Hinwendung zu anderen Göttern bringen Gott nicht davon ab, dass er alle Menschen in die Erwählung hinein nehmen will.
    Das ist der tiefste Grund, warum Ignatius als Ziel des Menschen das Lob Gottes sieht. Fassungslos und staunend dürfen wir vor einem Herrn stehen, der alle Schranken überwindet und alle Enttäuschung erträgt, weil seine Liebe vereidet und unverbrüchlich ist. Wenn unsere Liebe schal wird, wenn unsere Gedanken längst anderes denken, wenn wir unsere Seele schon verloren geben und unsere Kraft erlahmt, da stehen wir doch wieder vor Gott, der erneut sein bedingungsloses Ja zu uns spricht.
  • In der Fassung des Obersten Gebotes, die wir gehört haben, ist nur die Rede von der Nächstenliebe. Die Feindesliebe der Bergpredigt ist hier nicht erwähnt. Sie ist aber unmittelbare Konsequenz aus dem Eid, den Gott uns geschworen hat. Denn wo Gott das Angebot seines Bundes auf alle Menschen ausweitet, selbst auf die, die uns Feind sind, dort hat jede Abgrenzung ihre Berechtigung verloren. Nicht dass wir mit romantischem Augenaufschlag, in inniger Zuneigung unseren Feind oder auch nur den Nächsten lieben ist also gemeint, sondern dass wir kein Recht haben irgendeinen Menschen auszuschließen, wo Gott sich allen Menschen zuwendet.
    Ignatius wollte Menschen für diesen Gott öffnen und sensibel machen. Er wollte, dass wir entdecken, in welchen Bund wir durch die Taufe hineingenommen sind. Er wollte, dass wir unser Herz, unsere Gedanken, unsere Seele, unsere Kraft so davon prägen lassen, dass daraus sich unser Leben verwandelt. Amen.