Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 31. Sonntag im Lesejahr B 2006 (Markus)

Zurück zur Übersicht von: 31. Sonntag Lesejahr B

5. November 2006 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt

Hinweis: Die Hochschulgottesdienste im Frankfurter Dom (2001-2006) zeichneten sich jeweils dadurch aus, dass sie mit einem besonderen musikalischen Programm verbunden sind. Das ist der Hintergrund, warum wir eine durch Jagdhornbläser gestaltete Messe zu Hubertus gefeiert haben. Die Predigt nimmt darauf Bezug

 

1. Lieben sollen

  • Lieben sollen wir Gott, mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit allem Denken und all unserer Kraft und den Nächsten, als wäre er ein Teil von uns selbst. Ziemlich umfassend, als ganze Menschen, die wir sind, sollen wir lieben. Dies ist das Doppelgebot und dieses ist das Höchste von allem, darin sind sich der Schriftgelehrte und Jesus einig, denn dies ist tiefste Tradition Israels.
  • Nicht nur das größte Gebot ist das unter den Geboten. Wörtlich ist dieses Doppelgebot sogar das Höchste von allem, was ist (im griechischen Original steht daher ein Neutrum: das erste Gebot "von allem"). Frommen Juden ist das Gebot Gott zu lieben das Größte. Sie beten diesen Satz aus dem Buch Deuteronomium drei Mal täglich. Nicht ein Sollen ist es, ein Dürfen: Wir dürfen Gott, den Allmächtigen, lieben. Was kann es Größeres geben Und diese Liebe wird konkret in der Nächstenliebe. Das ist in der jüdischen Tradition das Höchste. Kein Sollen, sondern ein Dürfen.
  • Aber, so fragt sich, ist es auch ein Können? Kann ich so viel Liebe leben, so umfassend, mit Herz, Seele, Denken und aller Kraft lieben? Die Erfahrung ist doch vielmehr, dass gegenüber diesem existenziellen Ganzen die vielen kleinen Bedingtheiten unseres Lebens ihren Tribut fordern. Wir leben in einer Welt, in der wir gar nicht umhin kommen, auch unseren Vorteil nicht aus dem Auge zu verlieren. Auch wenn wir nichts inniger wünschen, als nur Liebe zu sein, werden wir uns immer wieder in Kompromissen finden. So ist die Welt nun mal.

2. Ein zwiespältiger Patron

  • Hubertus ist ein zwiespältiger Patron. Ein falscher Trost wäre es zu sagen, dass ja die Geschichten um Hubertus nur fromme Legende wären. Denn genau mit dieser Legende ist Hubertus Patron der Jäger geworden. Und die Legende erzählt, dass er die Jagd aufgegeben hat, als ihm ein Hirsch erschien mit dem Kreuz Christi im Geweih. Ein zwiespältiger Patron für Jäger, eher schon fast ein Fest für Tierschützer. Aber vielleicht liegt die Wahrheit dieses Heiligen eben genau in dem Zwiespalt.
  • Dieser Zwiespalt nämlich sollte jeden Christen umtreiben. Darin sollte das unterscheidend Christliche liegen, bei Jägern wie bei Tierschützern. Denn wenn wir wirklich aus dem Vertrauen an Jesus Christus und seine Botschaft leben, wenn wir also tatsächlich glauben, dann hängen wir mitten in einem Zwiespalt. Es ist genau der Spalt zwischen der absoluten, in die existentielle Tiefe gehenden Liebe, die das Höchste ist, und der Bedingtheit dieser Welt.
  • "Diese Welt" meint nicht diese oder jene historische Phase. Diese Welt meint die Welt nachdem wir das Paradies verloren haben und seitdem der Tod eingebrochen ist. Die Bibel erzählt es in der mythischen Geschichte von Adam und Eva. Gemeint ist aber immer schon der Urgrund der Welt, wie wir sie erleben und vorfinden. In der Erzählung von Adam und Eva und der Vertreibung aus dem Paradies findet der Glauben ein Bild für die Erfahrung des Todes, der uns vom Leben trennt. In Hubertus, dem zwiespältigen, können wir daher auch ein Bild finden für die Zwiespältigkeit des Jagdhandwerks.

3. Aus der Hoffnung lieben

  • Am "guten Jäger" kann man durchdeklinieren, was ein wahrer Christ ist. Denn er sollte mehr gemein haben mit einem Bauern, der sein Vieh im Stall kennt, als mit einem Legehennenbatterienfabrikant. Obwohl und weil auch ein Viehbauer die Kühe, die er großzieht, eines Tages dem Metzger überantwortet. Denn er lebt davon. Aber er spürt, dass ihn mit dem Vieh mehr verbindet. Er lebt von der Rindermast, aber er spürt in seinem Inneren, dass das ein Kompromiss ist. Ganz genau so wird auch ein guter Banker wissen, dass es nur ein Kompromiss ist, wenn er Geld nur auf Zins und Rückzahlung ausleiht, obwohl er einen Kreditnehmer vor sich hat, der das Geld bitter nötig hat.
  • Christen lieben aus der Hoffnung. Denn Christus ist in die Zeit gekommen und hat sich dem Gesetz der Zeit unterworfen. Aber er ist das Zeichen Gottes, das über die Zeit und ihre Grenzen hinausweist. Die ihm nachfolgen, erfahren es als das Höchste, Gott und den Menschen lieben zu dürfen, auch wenn sie immer wieder an Grenzen stoßen und Kompromisse machen. Sie halten diesen Kompromiss aus, weil sie die Liebe, die wir hier erfahren und schenken dürfen, als Vorgeschmack der Vollendung und als Trailer des Hauptfilms erfahren. Unsere Hoffnung geht auf die Vollendung. Genau deswegen können wir hier schon anfangen.
  • Hubertus weist dann sogar noch über den Kompromiss hinaus. Er hat die Jagd aufgegeben, wie die Legende berichtet. Damit kann er zum Zeichen der Hoffnung werden, dass in der einst vollendeten Zeit der Tod sein Gesetz unser Handeln nicht mehr relativieren wird. Nicht um die Jagd zu verteufeln hat Hubertus das getan, sondern weil ihn Gott berufen hat, am lebendigen Leib ein Zeichen zu sein für mehr als das Vorläufige. Ganz in der selben Richtung hat Gott einen Benedikt, einen Franziskus, Dominikus oder Ignatius berufen, als Ordensleute ohne privates Eigentum zu leben, als ein Leben aus der Hoffnung auf eine Vollendung bei Gott, in der Liebe nicht nur der Hoffnung Höchstes sein wird, sondern alles in allem. Ganz in dieser Richtung sind in der Ehe Mann und Frau berufen, nicht mehr zwei zu sein, sondern eins aus der Hoffnung auf die Vollendung, in der die Liebe Gott und Menschen ganz verbindet. In dieser Welt schon ist diese Liebe uns das Höchste, wenn auch unerreicht, so doch immer Messschnur der Hoffnung. Wir dürfen Gott mit jeder Faser unseres Lebens lieben. Wir dürfen das Wagnis der Nächstenliebe unternehmen. Denn wir leben aus der Hoffnung, das Christus an uns vollendet, was in den Kompromissen, die wir notgedrungen eingehen, unerfüllt bleibt. Amen.
Hinweis: Die Hochschulgottesdienste im Frankfurter Dom zeichnen sich jeweils dadurch aus, dass sie mit einem besonderen musikalischen Programm verbunden sind. Das ist der Hintergrund, warum wir auch die durch Jagdhornbläser gestaltete Messe zu Hubertus feiern. Der Benefizzweck ist dabei ein Projekt des studentischen Afrikachors für eine Schule in Kamerun.