Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Mathäus)
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12. November 2023 - St. Peter, Sinzig
1. Klugheit
- Was unterscheidet diese fünf mit ihrem Öl und ihren Lampen von den Törichten, dass Jesus sie klug nennt? Er nennt sie nicht die intelligenten Jungfrauen, sondern die klugen. Dass es hochgebildeten Menschen mit höchsten IQ völlig an Klugheit mangeln kann, wird mir so manche Erfahrung bestätigen.
- Klugheit, so sieht es die Erfahrung der Alten, ist keine reine Fähigkeit. Es ist nichts, das man äußerlich erlernen und dann anwenden könnte. Vielmehr ist Klugheit eine Verfasstheit des Menschen: eine Weise, wie der Mensch ist – wie jemand nicht nur 'drauf ist' sondern auch 'drin ist'. Klugheit betrifft den ganzen Menschen. Sie ist eine gelebte Haltung. Mit einem Wort: Klugheit ist eine Tugend.
- Klugheit ist die Tugend, die Dinge des Lebens so sehen zu können, wie sie sind, und nicht so, wie ich sie gerne hätte. Klug ist es, die Dinge nicht filtern zu müssen, bis sie ‚zu mir‘ passen. Vielmehr braucht es vorne am Schiff einen Bug, der um das Meer weiß, das vor uns liegt (nach einem Bild von Paul Claudel).
2. Lüge
- Dabei ist zweierlei wichtig zu ergänzen. Erstens ist Klugheit wie jede Tugend nicht am Stück oder endgültig zu haben. Sie muss wachsen und kann verloren gehen. Und zweitens reden wir von einer Verfasstheit zum Erkennen. Klug ist es also nicht, die Dinge immer so zu belassen, wie sie sind, sondern sie erst einmal uneigennützig in den Blick zu bekommen.
- Das Gegenteil zur Klugheit ist deswegen vielleicht gar nicht die Dummheit, sondern in einem bestimmten Sinn die Lüge. Wenn wir nicht aushalten, zu sehen wer wir sind oder was uns fordert, beginnen wir, zu kaschieren, zu Recht zu biegen, auszublenden, zu vertuschen, zu lügen. Das geht schleichend. Allzu oft müssen andere dafür bezahlen. Aber mir scheint, dass wir uns meist, wo wir anderen etwas vormachen oder andere nicht sehen und hören wollen, immer auch uns selbst belügen.
- Die törichten Jungfrauen belügen sich selbst. Sie sind nicht auf dem Ernstfall vorbereitet. Sie dachten, sie könnten sich das Öl für ihre Lampen leihen oder Geld kaufen. Doch es gibt letzte Dinge, bei denen ich als Mensch selbst dastehen muss. Wo keine Kosmetik hilft. Was nicht delegiert werden kann, schon gar nicht gegen Geld.
- Die Klugheit ist nicht zu denken ohne die Liebe. Denn auch die Liebe sieht den Anderen nicht so, wie ich ihn gerne hätte, sondern so, wie sie oder er ist – und nimmt Andere an um ihrer selbst willen. Die berühmte Liebe, die angeblich blind macht, ist eben keine Liebe. Sie ist eine Selbstlüge mit fatalen Folgen. Sich selbst belügende Liebe hält es nicht aus und nicht durch, dass der Andere nicht meinem Wunsch entspricht. Irgendwann geht ihr das Öl aus.
3. Öl
- Nun aber die Erinnerung daran, dass Jesus kein Gleichnis über die Klugheit macht, sondern ausdrücklich eines über das Himmelreich, das Reich Gottes. "Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen." Das Gleichnis soll uns also helfen zu verstehen, wie es ist, wenn Gott alles ist und seine Herrschaft alle irdische Herrschaft besiegt, auch die Macht des Todes. Daher ist das erste Bild: Zehn Menschen, die ihre Lampen nehmen – ihr Licht – und der Freude entgegengehen. Gott kommt nicht über uns, er lädt ein, ihm entgegenzugehen.
- Auf diesem Weg braucht es einen Vorrat an Öl, damit das Licht nicht ausgeht. Das ist nicht speziell an uns Alte gesprochen, aber wer ein paar Jahrzehnte mehr angesammelt hat, wird es auf eigene Weise verstehen.
- Durch Schaden, sagt das Sprichwort, wird man klug. Auch wenn das oft spöttisch, oft wohl auch zynisch ist, ganz falsch ist es nicht. Vielleicht müsste man sagen: Bei Schaden muss sich die Klugheit bewähren. Denn dort, wo uns etwas nicht gelingt, dort wo uns lieb gewonnene Denkschablonen und Vorurteile zertrümmert werden, kann sich die Klugheit bewähren. Denn, Klugheit ist die Tugend, die Dinge so zu sehen wie sie sind, nicht wie sie mir am besten gefallen würden. Das gilt mehr als alles im Gegenüber zu Gott. Nichts rücken sich Menschen so gerne zurecht wie ihr Gottesbild. Deswegen verbietet das zweite der zehn Gebote, sich ein Bild von Gott zu machen – und sind wir ganz darauf verwiesen, wie Gott sich selber zeigt. Christen sagen: Nur im Gekreuzigten können wir Gott sehen. Das gilt es erst einmal auszuhalten und nicht – wie Petrus – zu verleugnen.
- Das Reich Gottes für dich und mich ist also im ersten Schritt die Bereitschaft, uns mit unserer Lampe aufzumachen. Dann aber kommt es darauf an, dass dieses Licht nicht zu schwach ist, wenn uns Dinge aus der Hand gleiten. Denn das ist nicht eine beliebige Probe, die uns Gott auferlegt. Vielmehr bereitet dies und nur dies darauf vor, die Fülle der Liebe zu empfangen. Denn Liebe braucht nicht nur Menschen, die der Hochzeit entgegengehen, sondern vor allem kluge Menschen: Solche die wissen, dass nicht sie selbst das Maß aller Dinge sind.