Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr C 2007 (2. Makkabäerbuch)

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11. November 2007 - Universitätsgottesdienst St. Antonius, Frankfurt

1. Was für eine Frau

Was für eine Frau! Sieben Männer hat sie überlebt. Sieben Männer sind an ihrer Seite gestorben. Keine Kinder sind ihr geblieben. Wenn ich nur anfange, mir das Schicksal dieser Frau auszumalen, erfüllt das mit Trauer. Und doch spielt das in der ganzen Erzählung im heutigen Evangelium erstaunlicher Weise keine Rolle.

Der Fall der Frau ist konstruiert. Die Sadduzäer waren jahrhundertelang und auch noch zur Zeit Jesu die führende Gruppe in Jerusalem. Sie hatten es geschafft, unter der Fremdherrschaft den Tempel als religiöses und politisches Zentrum zu festigen. Damit konnten sie eine gewisse jüdische Eigenständigkeit erreichen. Sie selbst verstanden sich als streng bibeltreu. In keiner der frühen Schriften des Alten Testaments wird ein Glaube an die Auferstehung der Toten formuliert. Erst in den späten Schriften und in der außerbiblischen Überlieferung setzt sich dieser Glaube durch. Der Bericht vom Martyrium einer jüdischen Familie aus dem späten Buch der Makkabäer ist der erste wirkliche Beleg in der Bibel. Deswegen lehnen die Sadduzäer die Auferstehung ab. Deswegen fangen sie mit Jesus die Diskussion darüber an.

Das Schicksal der Frau spielt dabei keine Rolle. Es ist ja ein konstruierter Fall und Jesus argumentiert auch nur mit Indizien eines Auferstehungsglaubens im Alten Testament. Er weist damit die Sadduzäer zurück. Was aber würde er sagen, wenn da wirklich eine Frau gewesen wäre, wie sie im Beispiel geschildert wird?

2. Ein anderes Eheverständnis

Hat die Frau sieben Männer geliebt? War sie sieben Mal verliebt? Nach dem biblischen Gebot soll der Bruder eines kinderlos verstorbenen Mannes die Witwe seines Bruders heiraten. So soll eine solche Frau vor dem sozialen Absturz bewahrt werden. Das ist ein durchaus sinnvolles Gesetz. Aber es macht deutlich, dass Ehe damals etwas völlig anderes war als heute. Die Ehe war eine soziale Einrichtung. Die Vorstellung einer Liebesheirat stand nicht im Vordergrund. Sie spielte keine Rolle.

Heute gehört Liebe selbstverständlich zum Heiraten. 'Vernunftehe' ist fast schon ein Schimpfwort. Dass das so ist, hängt mit der Struktur unserer modernen Gesellschaft zusammen. Wir sind nicht durch soziale Zusammenhänge definiert, sondern als Individuen. Erst für den neuzeitlichen Individualismus gehören Liebe und Ehe untrennbar zusammen. Wir sollten daher nicht vorschnell urteilen, als seien Menschen in früheren Zeiten oder anderen Kulturen deswegen unglücklicher. Sie haben anders empfunden. Glück verwirklichte sich nicht individuell, sondern in Familien und Gruppen. Menschen haben damals wie heute Glück und Unglück erlebt. Aber partnerschaftliche Liebe spielte damals für Glück nicht die Rolle, die sie heute spielt.

So hat denn auch unsere Konzeption von Liebe Opfer. Im Evangelium ist die Frau Opfer, weil sie keine soziale Absicherung hat. Heute sind es die Singles die das Unglück erleben. Wer keinen Partner oder keine Partnerin findet, oder wer eine Trennung durchleidet und allein zurück bleibt, ist Opfer unserer Kultur. Heute soll nur heiraten dürfen und nur eine Familie haben dürfen, wer das Glück hat einen Menschen zu finden, der ihn liebt und den er liebt. Der Unterschied zur Kultur zur Zeit Jesu schärft dafür den Blick. Deswegen lohnt es zu fragen, was das Evangelium für unsere Kultur heute bedeutet.

3. Das neue Leben der Auferstehung

Jesus spricht nur von denen, die zum Leben auferstehen. Wer sich dem Leben zuwendet, wird auch nach dem Tod in Gottes Gegenwart leben. Die Treue Gottes überdauert den Tod. Es werden aber wirklich wir selber sein, die auferstehen, nicht ein abstrakter Seelenfunken. Wir sind es, die Gott liebt. Wir sind es, die Gottes Leben in uns tragen. Wir sind es, die Gottes Liebe in uns tragen.

Jesus sagt im Evangelium: "Nur in dieser Welt heiraten die Menschen. Die aber, die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, werden dann nicht mehr heiraten." Es ist deutlich geworden, was er damit meint: Im Himmel braucht es keine sozialen Sicherungssysteme, und im Himmel werden irdische Herrschaftsverhältnisse überflüssig - und damit auch die Ehe im damaligen Verständnis. Das neuzeitliche Konzept partnerschaftlicher Liebesehe kannte Jesus noch nicht. Deswegen gibt das Evangelium auch direkt nichts her für die Frage, was im Himmel aus der Liebe zu einem Partner wird. Jesus gebraucht das Bild, wir würden "den Engeln gleich" sein. Die Engel aber stehen nicht für blutleere Geister. Die Engel schauen vielmehr das Angesicht Gottes (vgl. Mt 18,10). Sie sind erfüllt von Gottes Liebe. Wie soll daher eine Liebe, die ganz zu meinem irdischen Leben gehört, vor Gottes Angesicht nicht mehr sein und keine Bedeutung mehr haben?

Keiner von uns erahnt die Größe der Liebe Gottes. Wäre unsere Phantasie so groß wie das Weltall - es wäre nur eine Näherung an die Kraft der Liebe. Deswegen wählt Jesus ein Bild. Er schenkt sich selbst als das eine Brot des Lebens und den einen Kelch der Freude. Wer davon isst, wer daraus trinkt, hat Gemeinschaft mit ihm und unter einander. So wird die eine Liebe Gottes uns alle erfüllen. So wird die Liebe, die Menschen hier zu einem Partner erfüllt, dort uns mit allen verbinden können. Und auch für die, die hier das Glück nicht erfahren durften, einen geliebten Partner für's irdische Leben zu finden, gibt das einen Hinweis. Die Freundschaft, die sie hier mit Freunden verbindet, aber auch die Sehnsucht, der sie hier Raum lassen in ihrem Herzen, wird Gott dort füllen. "Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig." Amen.