Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 32. Sonntag im Lesejahr C 2010 (2. Makkabäerbuch)

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7. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Alles ist im Fluss

  • Alles ist im Fluss. Leben ist Veränderung. Neues beginnt, Anderes geht zu Grunde. Auf Frühling und Sommer folgt Herbst und Winter. - Weisheiten dieser Art ließen sich beliebig mehren. Es stimmt: Wir sind ständigen Veränderungen unterworfen und müssen uns laufend auf Neues einstellen.
  • Dabei nimmt die Geschwindigkeit beängstigend zu. Vor allem die technischen Entwicklung fordert uns immer wieder heraus. Wer sich darauf nicht einstellen mag, droht auf der Strecke zu bleiben. Zudem fordert die wirtschaftliche Entwicklung Mobilität, für nicht wenige von uns sogar globale Mobilität.
  • Nicht jedem gelingt dabei mitzuhalten. Viele bleiben auf der Strecke und gehören zu den Verlierern. Andere hetzen mit, wissen aber bald schon nicht mehr, wer sie selber sind. Es gibt aber auch Menschen die diese ständige Veränderung genießen, ja darin aufgehen.

2. Treue

  • Auch in der Veränderung kann und muss es etwas Bleibendes geben. Ich erfahre zunächst einmal, dass ich selbst das bin. Ich bin der, der die Veränderung erlebt. Zwischen dem Ich von gestern und dem Ich von heute gibt es eine Kontinuität. Manche versuchen, es dabei zu belassen. Sie machen sich selbst zum Zentrum. Sie meinen, wenn sie ihre Augen schließen, höre ihre Welt auf zu existieren.
  • Das Gegenteil davon nennen wir Liebe, genauerhin: Treue. Das kann man wie selbstverständlich in Anspruch nehmen als Sprungbrett für die eigene Flexibilität. Liebende Treue ist aber überhaupt nicht selbstverständlich. Sie wird mir geschenkt, weil jemand da ist, der mich liebt.
  • Im Kern stehen sich diese beiden Lebensentwürfe gegenüber, auch wenn das in der Praxis dann doch vermischt sein sollte.
    • Auf der einen Seite ist sich das Selbst Kern des Universums, und Selbstverwirklichung erscheint als das höchste Ziel. Solche Menschen basteln sich gerne ihre eigene Theorie der Wiedergeburt, weil ihre unsterbliche Seele doch viel zu wertvoll sei, um in nur einem Leben aufzugehen.
    • Auf der anderen Seite erfahren Menschen, dass sie nur dort "ich selbst" sind, wo sie sich in der Liebe zu anderen verschenken. Sie erfahren, dass sie sich selbst erkennen in dem liebenden Blick anderer. Bei aller Veränderung ist ihnen das die tragende Konstante: die Treue, die sie erleben dürfen.

3. Auferstehung

  • Die Gläubigen des Alten Testamentes waren überzeugt von der Treue Gottes. Die Bibel ist die Sammlung der Zeugnisse dieser Treue. Auch hatten die frühen Israeliten eine Ahnung davon, dass die Sterblichkeit nicht zu Gottes ursprünglichem Schöpfungsplan gehört. Der Tod ist für sie ein Zeichen davon, dass Menschen sich von der Quelle des Lebens abgewendet haben. In den meisten Teilen des Alten Testamentes gibt es auch eine vage Vorstellung davon, dass es nach dem irdischen Tod ein Fortleben in einem Schattenreich gibt. Aber erst das Makkabäerbuch, aus dem wir heute gelesen haben, bekennt den Glauben, dass Gott auch dieses Schattenreich mit seinem Licht erreicht.
    Die Brüder, von denen wir gehört haben, werden von einem Tyrannen vor die Alternative gestellt, entweder die Beziehung zu Gott aufzugeben oder unter Folter ihr irdisches Leben zu verlieren. Hier, an diesem Punkt, bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass Gottes Treue über den Tod hinaus zu gehen vermag. Der Tod ist sozusagen die schlimmste, vernichtendste Variante von Veränderung. Er verlangt von uns unerbittlich die äußerste Mobilität. Gerade deswegen aber ist der Tod die Nagelprobe auf die treue Liebe.
  • Jesus teilt mit den Makkabäern und vielen Frommen seiner Zeit diese Überzeugung von der Treue Gottes über den Tod hinaus. Im Disput mit den konservativen Sadduzäern ist er darin ganz klar. Vielleicht ahnt er an dieser Stelle, dass es auch um ihn selbst gehen wird. Er, der wie kein anderer aus der Treue und Liebe seines himmlischen Vaters lebt, wird in diesen Tod geführt werden. Sein Leib wird zerschlagen werden, seinen Geist wird er mit einem letzten Schrei zu Gott aushauchen. Er wird "hinabsteigen in das Reich des Todes", das Schattenreich. Aber gerade damit wird das Schattenreich hell erleuchtet. Gottes Liebe, in der er seinen einzigen Sohn nicht schonte, leuchtet von nun an allen. Die Erscheinungen des von Gott Auferweckten an Ostern offenbaren das den Jüngern und uns.
  • Damit ist der Punkt genannt, warum wir jeden Tag an der Beziehung zu Gott festhalten sollten. In aller Veränderung, ja selbst in der letzten und schmerzhaftesten, trägt diese Beziehung. Mit einer unsterblichen Seele hat uns Gott erschaffen, damit wir unsterblich leben: nicht weil wir uns selbst genügen, sondern weil wir fähig sind Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. Amen.