Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr A 2005 (Matthäus)

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13. November 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Benachteiligung

  • Das Gleichnis vom anvertrauten Geld ist Provokation pur. Nicht erst bei uns heute sträuben sich die Nackenhaare. Den Jüngern damals wird es nicht anders gegangen sein. Der vorletzte Abschnitt vor Beginn der Leidensgeschichte wirkt damals wie heute befremdend.
  • Jesus redet vom Himmelreich und bringt die Geschichte eines römischen Sklavenhalters. Der hat sich - auf welche Weise auch immer - in Palästina Besitz erworben und hält dort nach römischen Recht Sklaven. Er selbst wird seinen Stadtpalast in Rom haben. Er reist ab, hinterlässt seinen Sklaven Anlagevermögen, kümmert sich um nichts und lässt sich jahrelang nicht blicken. Dann kommt er überraschend zurück und rechnet ab. Mit hundert Prozent Zinsen gibt er sich zufrieden, nicht damit, dass sein Vermögen treu aufbewahrt wurde. Das Geld gehört alles ihm, der Ertrag genauso wie die Sklaven. Jesus konnte sich sicher sein, dass diese Geschichte Provokation pur ist.
  • Mit ein wenig Phantasie können wir das nachvollziehen. Wie hört sich diese Geschichte an für Jugendliche in einer der französischen Vorstädte, die derzeit brennen? Sie sehen sich in der Rolle des einen, der am wenigsten bekommt. Die Reichen vom Lerchesberg erhalten fünf Talente Geld, ein stattliches Sümmchen, mit dem sie wirtschaften können. Stellen wir uns einen Studiendarlehen der Deutschen Bank vor. Auch wer im Westend wohnt bekommt noch seine drei Talente. Der Gastarbeiternachkomme im Gallusviertel aber bekommt am wenigsten. Die Chancen sind ungleich verteilt, sehr ungleich. Da soll sich noch einer abmühen? Die Bank kann froh sein, wenn sie ihr Geld zurückbekommt. Soll man sich für diese Bank, für diesen Staat, für diesen Job auch noch abmühen, um denen da oben das Geld in den Rachen zu schmeißen? "Ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast." Frech und aufmüpfig klingt diese Antwort - es ist aber nur die zornige Antwort derer, denen eh keiner eine Chance gibt.

2. Kapitalistenethik

  • Um ein Gleichnis zu verstehen, müssen wir auf unsere Reaktion achten. Was bewirkt diese Geschichte bei mir? Vielleicht muss sich mancher beim Hören des Gleichnisses hineindenken in die Rolle derer, für die Jesus das Gleichnis erzählt. Gerade bei dem heutigen Gleichnissen hört sich die Geschichte ja völlig anders an, je nachdem, zu welcher sozialen Schicht ich mich zugehörig fühle. Der Banker aus Paris hört es anders als der marokkanische Jugendliche in den Plattensiedlungen!
  • Die Botschaft ist eigentlich klar. Streng dich an, mach was draus! Auch denen, die weniger vom Kuchen abbekommen haben, scheint das Gleichnis die Botschaft von der Leistungsbereitschaft zuzurufen. Was in einer durchökonomisierten Welt hier unten gilt, würde dann auch für das Himmelreich gelten.
  • Ist Jesus politisch so naiv? Die Antwort, scheint mir, muss zunächst einmal "ja" lauten. Jesus hat mit seiner Handvoll Jünger nicht vor, das Wirtschaftssystem zu ändern oder die Sklavenhalterpraxis der römischen Besatzungsmacht. Er nimmt die Dinge wie sie sind. Aber, das ist nicht unwichtig, er benennt sie. Für die Jünger damals bestand gar kein Zweifel, wie Jesus zu Herrschaft und Sklavensystem eingestellt war. Wenn heute jemand daran zweifelt, spricht das nur von Unkenntnis über die Einstellung Jesu. Er provoziert mit einem "Ja, so ist es!"; provoziert und fragt: "Was folgt daraus?"

3. Angstfrei

  • Achten wir auf den Zusammenhang. Letzten Sonntag hatten wir den vorhergehenden Abschnitt, der sagte, wir sollten die Zukunft nicht auf übermorgen verschieben, sondern jetzt in Erwartung der Gegenwart Gottes rechnen. Und nächsten Sonntag wird Jesus klarstellen, was inhaltlich die Maßstäbe im Himmelreich sind. Da wird sich mancher die Augen reiben (und wenn sie genaueres wissen wollen, müssen Sie nächsten Sonntag wieder in die Messe gehen oder bei Matthäus das Kapitel 25 zu Ende lesen). Im heutigen Gleichnis geht es also nicht um die "Inhalte" des Himmelreiches Gottes. Heute geht es darum zu provozieren.
  • Es ist wie vor dem Endspiel. Leider bin ich ein Fußballbanause, aber ich stelle mir Jesus vor als Trainer, der vor dem entscheidenden Spiel die Mannschaft aufrütteln will, die sich eigentlich schon zu den Verlierern zählt. Ihnen sagt Jesus: Wollt Ihr das Leben gewinnen oder nicht? Natürlich habt ihr weniger mitbekommen als die anderen. Aber wollt Ihr Euch davon bestimmen lassen? Es geht um euer Leben! Bei allem frechen Trotz des dritten Sklaven ist sein Motiv doch nur die Angst vor dem Herrn. Jesus übernimmt die Perspektive des Armen und Benachteiligten und fragt ihn, worauf es ihm ankommt.
  • Und auf einmal wird Jesus sehr politisch. Mit seiner Provokation reißt er die Jünger, die sich unbedeutend und am Rande wähnen, aus ihrer Angst und Lethargie. Nicht aus ihrer Angst sollen sie sich bestimmen, sondern aus dem, was sie selbst wert sind. Denn - hier hat Jesus geschickt Gottes Spuren in das Gleichnis eingestreut:
    • Jeder hat von Gott die Talente bekommen "jedem nach seinen Fähigkeiten", nicht nach Beziehungen und Kungelei.
    • Das führt zu dem vielleicht Wichtigsten: Der Fall, dass einer riskiert und verliert, taucht im Gleichnis nicht auf. Wer die Angst überwindet und auf Gott vertraut, macht keine riskante Anlage, sondern entdeckt, wohin Gott ihn führt.
    • Und das ist im Letzten der Unterschied zum Sklavenhalter: im Himmel wird nicht bei Sklaven abkassiert, sondern lautet die Verheißung "Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!".
  • Bevor Jesus nächsten Sonntag erklären wird, was für das Himmelreich entscheidend ist, bringt er jetzt erst seine Jünger in Stimmung: Wenn ihr euch unterkriegen lasst, wird man euch noch das Letzte wegnehmen! Jesus ruft auf zum Widerstand. Deswegen die Provokation in diesem Gleichnis - damit wir die Ängstlichkeit überwinden und fragen, was wir selbst wollen. Amen.