Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 33. Sonntag im Lesejahr C 2010 (Lukas)

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14. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Welche Pracht

  • Die Elbphilharmonie schickt sich an das neue Wahrzeichen Hamburgs zu werden. Vorgestern stand ich mit einem Bekannten davor. Er kam sofort ins Schwärmen angesichts der kühnen Architektur: Unten ein großer Block in Backstein. Darüber ein Glaspalast, der den Hafen überragt und von Weitem sichtbar sein wird. (Nur als wir darauf kamen, wie viel von seinen Steuerzahlungen das Projekt verschlingt, wurde das Schwärmen gedämpfter).
  • In der Antike war der Tempel in Jerusalem sprichwörtlich prachtvoll. Die Menschen schwärmten vom dem Bau. Nur Jesus ließ sich davon nicht beeindrucken. Sein Kommentar gegenüber den Architekturbegeisterten war: "Es wird eine Zeit kommen, da wird von allem, was ihr hier seht, kein Stein auf dem andern bleiben." In der Tat wurde vierzig Jahre später der Tempel zerstört und bis heute nicht wieder aufgebaut.
    Das Ereignis ist für die Christen insofern wichtig geworden, weil sie von da her die Feier des Abendmahles tiefer verstanden haben: Die lebendige Kirche ist Gottes heiliger Tempel, und wir opfern nun nicht mehr blutig Tiere im Tempel; Christus selbst ist die Opfergabe, unter Brot und Wein, Früchten der Erde und der Arbeit von Menschen.
  • Im Zusammenhang des heutigen Evangeliums aber geht es um die Skepsis gegenüber der blinden Begeisterung. Das gilt übertragen auf jede Weise, sich von irdischer Herrlichkeit blenden zu lassen, sei es ein Tempelbau, sei es eine Elbphilharmonie, seien es irgendwelche Stars oder Vorbilder, Popstars oder Päpste. Jesus mahnt zur Skepsis, aber nicht um uns die Freude zu verderben. Ich freue mich an prachtvoller Architektur. Auch gibt es Menschen, die ich bewundere. Doch wir sollten versuchen, uns davon nicht blenden zu lassen. Denn ein jeder Mensch ist wertvoll; das ist nicht an Äußerem festzumachen. Auch eine armselige Hütte kann einem Menschen Obdach geben und manchmal geht mir das Lied eines Straßenmusikers mehr zu Herzen als eine Symphonie.

2. Welch ein Elend

  • Dass es nicht darum geht, uns den Spaß zu verderben, wird im Fortgang der Rede Jesu deutlich. Genau so, wie wir uns von Pracht und Ansehen blenden lassen können, könnten wir blind werden angesichts von Not und Elend.
  • "Wenn ihr von Kriegen und Unruhen hört, lasst euch dadurch nicht erschrecken!" Zu allen Zeiten gab es Untergangspropheten. In der Tat wird zwar die Welt mit ihrer Pracht vergehen. Aber jede Spekulation über den Tag und die Stunde lenkt nur vom Wesentlichen ab. Ausdrücklich sagt Jesus "Gebt acht, dass man euch nicht irreführt!"
  • Wir sollten achtgeben, diese Warnung nicht vorschnell abzutun. Leicht fühlt man sich den allzu platten Untergangspropheten überlegen. Aber wie steht es wirklich um uns selbst? Was wirft uns aus der Bahn? So manchem schon ist die ganze Welt gekippt, nachdem ein kleiner, privater Teil seines Universums zerbrochen ist. Es gibt auch die Momente, in denen schlagartig das ganze Ausmaß des globalen Elends bewusst wird. So sehr die Schreckensnachrichten gewohnt fern bleiben, wenn sie über den Bildschirm flimmern, so sehr sind und bleiben sie Nachrichten von echtem Schrecken. "Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen." Ganz unvertraut klingt das nicht.

3. Zum Zeugnis berufen

  • Herrlichkeit und Elend, beide können uns blenden. Menschen folgen dann dem Herdentrieb. Sie stimmen ein in den großen Chor, sei es des Jubels, sei es des Jammers. Es ist so viel leichter, sich der Masse anzuschließen. Und wenn es auch nicht die Masse ist, so bleibt es doch unser Umfeld: unsere Familie, unsere Freunde.
  • Daran knüpft Jesus an, wenn er auf sein eigentliches Thema kommt: "Sogar eure Eltern und Geschwister, eure Verwandten und Freunde werden euch ausliefern." Wie stehe ich dann da, wenn ich mich nicht mehr hinter anderen verstecken kann? Keiner von uns sollte sich zu sicher sein. Als in Deutschland in der Nazizeit unsere Nachbarn auf Lkws und Züge verladen wurden, da waren es nur wenige, die die Kraft hatten, sich nicht hinter die eigenen Gardinen zu ducken. Dabei brauchen wir gar nicht solche drastischen Beispiele. In wohl jeder Familie und in jedem Freundeskreis dürften wir schon die Erfahrung gemacht haben, dass wir lieber den Mund halten, um weiter dazu gehören zu dürfen, statt Unrecht beim Namen zu nennen.
  • "Und doch wird euch kein Haar gekrümmt werden." Mit seiner Rede will Jesus nicht entmutigen. Im Gegenteil. Seine Skepsis gegenüber der Pracht des Tempels ebenso wie sein schockierender Realismus über der Gewalt und dem Elend sind nicht Selbstzweck. Vielmehr will er seine Jünger ermutigen und ihnen helfen Selbststand zu gewinnen. Er will sie zu der großen Freiheit führen, auch gegenüber all dem noch an dem festzuhalten, was uns zentral ist im Leben; wir gewinnen es einzig und allein, wenn wir unser Vertrauen nicht an etwas Innerweltlichem festmachen, sondern an dem Grund und Ursprung dieser Welt, dem liebenden Gott, den uns das Evangelium verkündet. Einübung in den Glauben ist daher Wachsen in der Freiheit, auch der Freiheit irdische Pracht zu genießen und vor dem Elend die Augen nicht zu verschließen. Amen.