Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2002 (1. Petrusbrief)
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21. April 2002 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt/Main
1.
Hirt und Hüter
- "Bin ich der Hüter meines Bruders?"
Mit dieser Rückfrage versucht Kain der Frage Gottes auszuweichen, wo sein
Bruder Abel sei (Gen 4,9). Den hat Kain soeben erschlagen. "Bin ich der Hüter
meines Bruders?" ist eine Frage alles in einem: Ausweichmanöver. Trotz, Kompetenzstreitigkeit
- und ein erstaunliches Stück Wahrheit über die Realität, in der
wir leben.
- Keiner ist Hüter seines Bruders. Und keiner solle Hüter
seiner Schwester sein. Denn die Menschen sind gleich und frei, unabhängig
und selber ihres Glückes Schmied. Das zumindest ist die allgemein akzeptierte
Ideologie. Die Prüfung an der Uni muss jeder für sich ablegen. Um den
Job muss jeder sich selbst bewerben. Beim Arbeitsamt (das zur Zeit Agentur
für Arbeit heißt) soll man auch persönlich erscheinen. Die
Menschen sind gleich und jeder muss für sich selbst einstehen. Keiner ist
Hüter seines Bruders. Die Ausnahmen bestätigen nur diese Regel. All
jene, die durch Eltern und Freunde protegiert nach vorne kommen, sind nur Ausnahmen.
All jene, die im Sog ihres sozialen Umfelds mit nach unten gerissen werden, ebenfalls.
- Vor diesem Hintergrund wird von einem gesagt, er sei "Hüter unseres
Lebens". Der erste Petrusbrief schließt den Abschnitt, den wir heute gehört
haben, mit einer Feststellung und einer Erinnerung: "Ihr hattet euch verirrt
wie Schafe, jetzt aber seid ihr heimgekehrt zum Hirten und Hüter eurer Seelen."
Hirt und Hüter - die beiden Wörter sind aus dem Lateinischen und Griechischen
als Amtsbezeichnungen noch heute geläufig: Hirt und Hüter, das ist Pastor
und Bischof. Der Petrusbrief spricht Christen an, die alles andere als frei und
selbstbestimmt sind: Sklaven. Zugleich damit spricht er alle Christen an, den
offensichtliche Sklaven sind ihm nur der Extremfall offensichtlicher Realität.
Ihnen sagt er, dass sie in der Taufe Christus selbst zum Hirten und Hüter
ihres Leben - "eurer Seelen" -, zum Pastor und Bischof erwählt haben.
2.
Der gute Hirte
- Das Bild des Hirten greift das Johannesevangelium
auf. Jesus spricht dort von sich als dem "guten Hirten". In diesem Hirten
erfüllt sich das Psalmwort, in dem wir beten "Der Herr ist mein Hirte,
nichts wird mir fehlen" (Ps 23,1). Nicht nur in seinen Reden, mehr noch
in dem, was Jesus getan und erlitten hat, wird deutlich, dass dieser Hirte nicht
dazu gekommen ist, zu herrschen und zu stehlen. Er bietet sein eigenes Leben an
als Spur, der wir folgen können.
- Jesus ist dabei nicht nur selbst
Hirte. Er ist auch die Tür. Mit diesem Bild beginnt das 10. Kapitel im Johannsevangelium.
"Wer in den Schafstall nicht durch die Tür hineingeht, sondern anderswo
einsteigt, der ist ein Dieb und ein Räuber. Wer aber durch die Tür hineingeht,
ist der Hirt der Schafe." Damit gibt Jesus einen Maßstab dafür,
wem wir uns anvertrauen dürfen und er gibt einen Maßstab dafür,
wie allein wir uns in die Rolle dessen finden können, Hüter zu seinen
unserer Schwester, unseres Bruders.
- Der Maßstab ist die Liebe.
Nicht die Selbstsucht, die sich als Liebe tarnt und doch nur für sich selbst
ein Plätzchen sucht, sondern die Liebe, die loslassen kann, weil es um den
anderen geht. Die Liebe zu Jesus selbst kann deswegen Maßstab dafür
sein, weil in dem Gekreuzigten nicht der Erfolg, sondern die Hingabe geliebt wird.
Drei Mal fragt der Auferstandene den Petrus "Liebst du mich?", um ihn
den Auftrag zu geben, Hirte zu sein. Deswegen erlaubt sich das Evangelium Jesus
zum Angelpunkt und zum entscheidenden Kriterium zu machen, weil an dem Schicksal
des Menschensohnes der Unterschied deutlich wird dieses Hirten und Hüters
unseres Lebens zu all denen, die ablehnen, den Weg der liebenden Hingabe anzunehmen.
3.
Dem Hirten dienen
- Es ist also doch einer Hüter seines
Bruders und seiner Schwestern. Es ist doch einer Hüter und Hirte derer, die
sich ihm anvertrauen. Auf gewisse Weise hatte Kain Recht mit seiner Ausrede. Er
ist nicht Hüter seines Bruders. Die griechische Übersetzung des Alten
Testamentes, derer sich der Petrusbrief bedient, benutzt denn auch bei Kain ein
anderes Wort für "Hüter", nicht episkopos (Bischof), sonder
phylax (Wächter als Soldat oder Gefängniswächter, im deutschen
kommt daher das Fremdwort Prophylaxe). Ganz richtig hat Kain also festgestellt,
dass kein Mensch Hüter und Wächter seines Bruders ist. Wohl aber ist
Christus der Hirte und Hüter.
- In seiner Abschiedsrede in Milet greift
Paulus die Rede vom Hirten und Hüter, vom Pastor und Bischof auf. Die Kirche
Jesu Christi hat Pastoren und Bischöfe. Paulus sagt ihnen "Gebt acht
auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen
bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich
durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat." (Apg 20,28). Nicht aus
eigener Macht und nach eigenem Sinn kann einer Hüter seines Bruders sein,
sondern nur im Namen und auf dem Weg Jesu.
- Das Bischofsamt ist jedem von
uns aufgetragen. Die beiden Wortstämme episkopos und phylax
tauchen im Matthäusevangelium in einem Vers auf, in dem es ums Ganze geht:
Wenn wir im Weltgericht gefragt werden, was wir getan haben, dann sollte Christus
uns sagen können: "Ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben;
ich war krank, und ihr habt mich besucht (episkeptomai - fürsorgen);
ich war im Gefängnis (phylaké), und ihr seid zu mir gekommen."
(Mt 25,36) Es mag Zufall und Wortspielerei sein, dennoch trifft es den Kern:
Christus ist nicht nur Hirt und Bischof unseres Lebens. Er ist auch die Tür
für jeden Hirten, der kommt, um diesem Christus zu dienen: dem König
und Herrn, dem wir in der Schwester und im Bruder begegnen, dem wir beistehen
in der Not. Amen.