Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2006 (Johannes)

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7. Mai 2006 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt

1. Gute Hirten

  • Hirten wollen viele sein. Nicht immer werden sie das Wort dafür verwenden. Aber das Selbstbild, wie ein guter Hirte für die anvertraute Herde zu sorgen, haben nicht wenige in Leitungspositionen von sich selbst. Selbst solche, die ihr Leitungsamt dafür gebrauchen, sich einen lukrativen Aufsichtsratsposten zu sichern oder die Interessen der Familie in der Ölindustrie zu sichern, werden von sich selbst sagen, dass sie doch nur versuchen, gute Hirten zu sein. Oft genug bleibt die Realität hinter dem Anspruch zurück. Oft genug ist das nur das Selbstbildniss derer oben, und die unten erleben es deutlich anders.
  • Leider ist das Unterscheidungskriterium des Evangeliums nicht hundertprozent zuverlässig. Die Bildrede Jesu unterscheidet den guten Hirten, dem die Schafe gehören, vom bezahlten Knecht, "der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören". Eigentümergeführte Unternehmen, bedeutet das, werden verantwortungsvoller geführt als Unternehmen mit bezahlten Managern. Das mag im Durchschnitt wirklich so sein und leuchtet ein: Für sein Eigentum setzt man sich anders ein und steht anders dafür gerade, als wenn ich nur gegen Bezahlung die Leitung des Unternehmens habe. Wahrscheinlich erklärt so mancher Managementskandal sich daraus.
  • Hinter dem Argument mit der Eigentumsfrage steht aber eine tiefergehende Unterscheidung. Wird eine Arbeit nur als "Beruf", als "Job" getan oder hat einer die Berufung dazu. Zwischen Beruf und Berufung können Welten liegen. Hirt ist jeder, der die Aufgabe hat, die Herde zu hüten. Aber was dem einen nur Lohnarbeit ist, ist dem anderen Berufung. Auch wo es nicht um Geld geht, merkt man es an der Passion, wo Berufung im Spiel ist. Wer sein Studium nur auf Sparflamme macht, "scheinfixiert" nur das für die Prüfung notwendige lernt, mag Bestnoten erzielen. Ob er seine Berufung gefunden hat, ist damit noch lange nicht gesagt. Berufung ergreift den ganzen Menschen.

2. Berufung

  • Die Frage nach der Berufung stellt sich für jeden Menschen. Ob Leitungsaufgabe oder nicht. Wenn ich den ganzen Tag nur zubringe für Tätigkeiten, die ich mit spitzer Feder abrechne gegen das Geld, die Anerkennung, die Noten oder was auch immer, das ich dafür bekomme, dann werde ich auch nur das tun, was verlangt wird. Oftmals im Leben mag es nicht anders gehen. Nicht jeder kann im vollen Umfang seine Berufung zum Beruf machen. Jeder aber braucht Geld zum Überleben. Wer aber in nichts, was er tut, seine Berufung findet, nicht im Studium, nicht in der Arbeit, nicht in der Familie, nicht im ehrenamtlichen Engagement, der ist ein armer Tropf. Jeder kann zumindest die Sehnsucht leben, die eigene Berufung zu finden.
  • Im guten Hirten stellt uns Jesus sogar mehr als die Berufung vor Augen. Für ihn ist seine Aufgabe so sehr Berufung, dass er sein Leben dafür drangibt. Vier Mal, refrainartig, wiederholt der kurze Text, das Kennzeichen des guten Hirten. "Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe". Beim Ausdruck "sein Leben hingeben" muss man gar nicht sofort an das Kreuz denken, auch wenn es genau dieses für Jesus in letzter Konsequenz bedeutet. Die Lebenshingabe ist aber viel früher bereits die Grundhaltung des guten Hirten.
  • Keiner kann sein Leben aus freiem Willen hingeben für etwas ihm Fremdes. Das genau macht die Berufung aus, dass das Dasein für ein anderes und für andere mir so sehr zu eigen wird, dass ich darin mich selber finde. Man würde dem guten Hirten die Seele aus dem Leib reißen, wenn man ihm die Schafe nimmt. Daher findet der gute Hirt die Kraft, sich dem Wolf entgegenzustellen. Diese Kraft nennen wir Liebe.

3. Erkennungsmerkmal

  • "Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich." In diesem "Kennen" liegt weit mehr als ein inhaltliches "Wissen". Dieses Kennen, von dem Jesus spricht, meint ein innerliches Vertrautsein, wie man nur jemand kennt, der dem eigenen Herzen sehr, sehr nahe ist. So liegt denn auch in diesem Kennen das Geheimnis der Hingabe und der Berufung. Jemand mag seine Berufung in der Mathematik haben. Das kann eine echte Berufung sein. Die Berufung, die aus dem Kennen anderer Menschen rührt, führt noch einen Schritt weiter. Sie vermag zu retten.
  • Die Weise, in der Jesus mit uns vertraut ist, hängt nicht in der Luft. "Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne." Im Ursprung unterscheidet das Jesus von allen anderen Hirten, mögen sie auch noch so hingebungsvoll und gut sein. Wenn wir uns von ihm erkennen lassen, sind wir von Gott erkannt; wenn wir uns ihm anvertrauen, vertrauen wir uns dem Vater an.
  • Und deswegen ist die letzte Hingabe Jesu am Kreuz das Unterscheidungsmerkmal. "Der bezahlte Knecht lässt die Schafe im Stich und flieht, wenn er den Wolf kommen sieht; und der Wolf reißt sie und jagt sie auseinander." Jesus ist nicht geflohen. Er, der Gottes Kraft in sich hat, hat sich in Gottes Ohnmacht gegeben. Indem er das Leben gibt, gewinnt er uns allen das Leben. Wenn wir uns daher fragen, wer es ist, der uns hier als Gemeinde zusammen geführt hat, dann ist das Kreuz das Qualitätssiegel, an dem wir den guten Hirten erkennen können. An ihm können wir sehen, was Berufung ist. In seiner Nachfolge können wir unsere Berufung finden. Im Hören auf ihn kann jeder den Ruf hören, wo hier, mitten in unserem Leben, im Studium, im Beruf, in der Familie, an dem Ort, wo wir stehen unsere Berufung ist. Amen.