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28. Januar 2024 - St. Peter, Sinzig
1. Evangelium auf den Punkt gebracht
Dieses Evangelium bringt es auf den Punkt. In Vollmacht vermag Jesus die bösen Geister auszutreiben. Ohne dieses Evangelium – im Kern – könnten wir gleich nach Hause gehen. Wir kommen daran nicht vorbei. Gerade jetzt, drei Tage nach Veröffentlichung einer Studie über Missbrauch in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Denn diese Studie versperrt uns manchen Weg, das Böse inmitten unserer einen Kirche zum katholischen Sonderthema zu machen. Es brauche nur hier und da ein paar Strukturreformen. Die katholische Kirche müsse nur etwas evangelischer werden. – Veränderungen in der katholischen Kirche braucht es, oh ja, aber nicht um ein lästiges Thema damit loszuwerden, sondern wenn und weil vieles in unserer Kirche im Widerspruch zum Willen Gottes steht.
Dabei ist Kirche hier weder katholisch noch evangelisch, aber auch nicht 'die da oben', sondern die ganze Kirche. 'Die da oben' haben Verantwortung für pflichtvergessenes Handeln. Die ganze Kirche aber ist es, in deren Mitte Jesus kommt: Wie in die Versammlung der Gläubigen, von der das Markusevangelium berichtet. Die Frage derer, die Jesus dort erlebten, muss unsere sein: "Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das?"
Markus hat in einer einzigen Szene zusammengefasst, was das Evangelium ist: Jesus betritt das Gebetshaus und steht inmitten des Gottesvolkes. Dort lehrt er. Wir erfahren keine Details, wohl aber die Wirkung. Die Menschen spüren: Hier wird nicht irgendwas erklärt. Hier spricht göttliche Vollmacht, die zur Entscheidung drängt. Darüber sprechen die Leute. Das beschäftigt sie. Dann erst wird von dem Menschen – einer in der Synagoge! – berichtet, der gewaltsam hin und her geworfen wird. Er war wohl jeden Sabbat hier. Aber erst Jesus zwingt zur Herausforderung – und Befreiung. Vor seiner Gegenwart kann sich der Widergeist nicht verstecken. Er protestiert noch – muss aber weichen. Und wieder spüren die Menschen die Vollmacht Jesu.
2. Vollmacht und Ohnmacht
Diese Vollmacht sollten wir uns genauer ansehen. Denn genau das scheint uns doch zu fehlen. Wir sind Volk Gottes, viele von uns Sonntag für Sonntag. Im Gottesdienst kann ich das Heilige der Gegenwart Gottes spüren. Ich bin überzeugt, dass das, was wir hier tun, nicht nur für uns unverzichtbar ist: Gottes Lob. Dass er uns dazu einlädt, ist Gottes Dienst an der Welt.
Doch die Wirkung bedarf offenbar der Vollmacht. Im Evangelium hören wir, dass Jesus sie hatte und was sie bewirkt hat. Aber das ist lange her. 'Überträgt' sich diese Vollmacht irgendwie auf unsere Zeit und aus dem Gottesdienst damals in Kafarnaum auf unseren heute hier? – Offenbar nicht so, wie wir uns das wünschen.
Das griechische Wort, das mit "Vollmacht" übersetzt wird (exousía) bedeutet zunächst: Die Freiheit, etwas zu tun, zu verfügen und zu bestimmen. Vielleicht ist das gar nicht so falsch, auch im Deutschen hier den Unterschied zwischen Macht und Vollmacht zu suchen: Dass Vollmacht Freiheit, aus der Gotteskindschaft kommende Freiheit ist, die es dann auch nicht nötig hat, andere zu zwingen. Doch im Gegenüber zum Bösen und der Gewalt vermag sie die Dämonen genau dadurch zu bezwingen. Weil die Vollmacht nicht ängstlich um sich selbst ist wie die Macht, ist sie frei. Diese Freiheit fordert heraus. Sie bringt die Dämonen ans Licht und befreit Menschen, die unter ihrer Gewalt standen.
Macht verträgt sich nicht mit Ohnmacht. Da ist ein Entweder-Oder. Anders mit der Vollmacht. Selbst am Kreuz hat Jesus göttliche Vollmacht. Ja, seine Freiheit ganz ohnmächtig zu sein, ist paradoxer Weise der Erweis seiner Vollmacht. Deswegen hat dieses Kreuz tatsächlich in der Welt etwas verändert.
3. Was macht den Unterschied
Paulus bringt das für sich auf die knappe Formulierung "Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark" (2Kor 12,10). Es ist keineswegs nur die kirchliche Hierarchie, der Bischof oder seine Bürokratie, die zu stark sind, um schwach sein zu können. Wir tragen an einer Tradition und Kultur in unseren Gemeinden und Familien, in der Stärke nicht an der Ohnmacht gemessen wird, sondern an der Fähigkeit, sich durchzusetzen. Das macht die Dämonen der Gewalt unter uns unauffällig.
Nicht, dass es in den Institutionen und Familien von Christen Missbrauch und sexualisierte Gewalt gibt, ist begründungsbedürftig, sondern dass es nicht keinen Missbrauch gibt! Denn dass es die Gewalt gibt, kann jeder wissen, der sich auch nur annähernd damit befasst. Gewalt gegen Kinder und Frauen, auch gegen Männer, psychologische, manipulative, erniedrigende und sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig.
Rein statistisch kann ausgeschlossen werden, dass unser Ort eine Ausnahme ist. Unter hundert Menschen sind mehrere, die solche Gewalt erlitten haben. Das gibt es halt auch in der Kirche – der katholischen und offenbar auch in der evangelischen. Nicht, dass es unter Christen Gewalt gibt, ist begründungsbedürftig, sondern dass es nicht keine Gewalt gibt! (Denn wenn es sie gibt, ist es begründungsbedürftig, dass es die Kirche gibt!) Nur wenn man staunen würde, dass es bei uns anders ist, würden Leute fragen: Wie, in wessen Namen und mit welcher Vollmacht geschieht dies?
Die Vollmacht Jesu scheitert unter uns daran, dass wir uns so schwer tun, der Ohnmacht zu vertrauen. Wir singen andere Lieder und denken zu oft andere Gedanken. Der deutsche synodale Weg scheitert genau daran, dass die Beteiligten – und die, die sich protestierend abgewandt haben – keinen geistlichen Weg in der Nachfolge gegangen sind, sondern das Macht-Spiel versucht haben. Vielleicht ist manche Reform in der Kirche auf dem Weg möglich, ob katholisch-hierarchisch oder evangelisch-synodal. Aber ändern, im Sinne des Evangeliums ändern wird sich nur etwas in dem Maß, in dem wir es neu und mehr wagen, auf den Weg der Ohnmacht zu gehen. Die machtloser werdende Kirche haben wir uns nicht gewünscht; sie kann aber eine Gnade sein. Denen jedoch zuzuhören, die – buchstäblich! – am eigenen Leib die Ohnmacht erlebt haben, ist ein Weg zu dem wir uns entschließen könnten. Sie könnten uns Christus, den Gekreuzigten, in seiner göttlichen Vollmacht offenbaren.