Predigt zum 4. Sonntag im Lesejahr C 2001 (1. Korintherbrief)
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28.01.2001 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius Frankfurt
1. Neurophysiologisches
- Neurowissenschaftler der University of California in San Diego
haben das sogenannte 'Gottesmodul' entdeckt, eine Stelle im vorderen Gehirnlappen,
deren Nervenzellen offenbar während religiöser Erfahrungen aktiviert
sind. Sie entdeckten diesen neuronalen Mechanismus bei der Untersuchung von
Epileptikern, die während ihrer Anfälle intensive mystische Erlebnisse
gehabt hatten. Offensichtlich stimulieren die intensiven neuronalen Reaktionen
während des Anfalls dieses spirituelle Zentrum. Die Wissenschaftler konnten
die elektrische Aktivität an der Oberfläche des Gehirns durch auf
der Haut befestigte hochsensible Elektroden registrieren. Als sie diese Technik
bei nicht epileptischen, aber sehr religiösen Personen anwandten, stellten
sie fest, dass diese auf Worte und Symbole, die stark mit ihrem Glauben verknüpft
waren, ähnlich reagierten. Evolutionsbiologen haben - da religiöse
Überzeugungen offenbar einem sozialen Bedürfnis entsprechen - schon
lange die Existenz einer neurologischen Basis der spirituellen Erfahrung vermutet.(1)
- Was hier wie Science Fiction klingt ist, wie ich mir habe versichern lassen,
unter Fachleuten wenig umstritten.
- Zumindest 1968 noch war es Phantasie. In einem Roman wird ein "Gefühlskasten" geschildert, der es Menschen
ermöglicht, ein bestimmtes Gefühl auszuwählen um sich entsprechend stimulieren zu lassen.(2) Ich kann mir die katerige
Morgenstimmung gut vorstellen, in der sich jemand so etwas ausdenkt. Wenn ich nur ein Gerät brauche, um mich froh
und munter zu machen, das hat Verheißungswert.
- Der Gefühlskasten ist immer noch Science Fiction. Aber die Idee ist realer als man denken mag. Gefühle und Stimmungen
sind offensichtlich als neurophysiologische Vorgänge im Gehirn beobachtbar. Wenn man den ersten Schrecken
überwunden hat, ist das vielleicht nicht so verwunderlich, sind wir doch Wesen aus Fleisch und Blut. Auch Gefühle haben
dort ihre Grundlage
2. Gefühlsmäßiges
- Ist es nicht entscheidend, dass wir nicht mechanisch reagieren, sondern Gefühle haben?
- Stellen wir uns einen Menschen vor, dessen Verhalten wir beobachten können. Jemand pflegt mit großer Umsicht und
Aufmerksamkeit einen Kranken. Aber in seinem Inneren sind keine Gefühle. Ein Mensch der so handelt, wie es die Liebe
fordert, aber keine Liebe empfindet, wäre das nicht weit schlimmer?
Jemand der alles richtig macht, hätte aber die Liebe nicht, er wäre "ein dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke".
- Was also kann so falsch sein an einem Gerät, das dem Menschen hilft, gute Gefühle zu haben? Natürlich, man sollte die
Nebenwirkungen genauesten untersuchen. Wenn die so wären wie bei heute gängigen Drogen, dann wäre der
Gefühlskasten abzulehnen. Wenn dem aber nicht so wäre? Was ist dann falsch an der Idee?
3. Zentrales
- Der ganze Ansatz der Frage ist falsch. Dieses wunderbare Stück aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther
handelt von der Liebe - griechisch agape - nicht von Gefühlen (oder gar Trieben). Dem Paulus ist es nicht um Gefühle zu
tun, sondern um die Haltung des Menschen. Paulus meint also nicht einen isolierten mentalen oder emotionalen Vorgang
- was auch immer in meinem Gehirn sich abspielt.
Mit Liebe ist vielmehr eine Haltung gemeint, die mein ganzes Wesen prägt, bis in die Wurzeln. Liebe soll eine
Stimmigkeit meines Lebens bezeichnen - und das Leben umfasst alle Formen von Handlungen und Bezügen zu anderen
Menschen. Über die Intensität des Gefühls, über die zugeordnete Hormonausschüttung ist damit ganz klar nichts gesagt.
- Dort wo Paulus die Eigenschaften der Liebe schildert, wird das ganz deutlich: "Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist
gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren
Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut
sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand."
Die Liebe, von der Paulus redet, ist ein fest Stehen des Menschen in einer Haltung, die sich selbst weder über- noch
unterbewertet. Es ist eine nüchterne Haltung, die gerade in ihrer Nüchternheit den anderen Menschen mehr gibt, als
gefühlsbeladene Zuwendung geben könnte. Gefühle sind gut. Sie sind aber nicht alles.
- Die Haltung der Liebe geht dem Paulus über alles, selbst über Hoffnung und Glaube. Denn diese Haltung ist nichts
weniger als das Ziel menschlichen Lebens. Als Bild Gottes ist der Mensch geschaffen. Daher besteht unsere Würde darin,
dass wir berufen sind, diesen Ursprung zu entdecken und ihm gemäß zu leben. Diese Berufung gilt für jeden Menschen.
Denn sie macht deutlich, was wesentlich ist und was unwesentlich bleibt.
Das Bild, das Gott uns von sich gegeben hat, ist Christus. Kennzeichnend für Christus ist die Erwartung Gottes. Diese
Erwartung öffnet ihn hin auf den Menschen. Das ist Liebe. Der Glaube macht es möglich, sich nicht selbst aufblasen zu
müssen und nicht aus der Sorge um den eigenen Vorteil zu leben. Die Hoffnung ist die Kraft, gegen alle Einsamkeit und
Verzweiflung das Zentrum zu suchen. Aber die Liebe ist die Form des Lebens, die bleibt, weil sie das Zentrum gefunden
hat.
- Meines Wissens interessierte sich der Hl. Paulus nicht für Gehirnforschung - auch wenn er "Neurophysiologie" als
Griechischkundiger wohl besser aussprach, als ein armer Prediger heutigentags. Paulus hatte sicher noch weniger
Kenntnis als wir heute über die Zusammenhänge von Emotion und bewusster Entscheidung.(3) Jedoch als Semit wird es
seinem Denken nahe gelegen haben, den Menschen einheitlicher zu sehen als wir Modernen es zumeist tun. Daher haben
Gefühle bei Paulus ihr Recht, ihre Bedeutung und ihren Platz. Emotionen sind unabdingbar, um unser bewusstes
Entscheiden und Handeln zu integrieren. Das ist ihr Platz. Das Gefühl der Liebe allein aber wäre für Paulus genauso
wenig Rechtfertigung gewesen wie mystisch-religiöse Gefühle des Gotteslappen. Daher zögert er in seinem Brief nicht,
selbst die höchsten mystischen Gaben und religiösen Erfahrungen noch skeptisch zu beurteilen. Denn das alles ist
vergänglich. Wert bekommt es erst, indem es zum Unvergänglichen führt. Und dieses prägt sich aus durch die Haltung, in
der wir leben. Amen.
(1) Der Absatz ist wörtliches Zitat
aus: Kurzweil, Ray: Homo s@apiens. Leben im 21. Jahrhundert - Was
bleibt vom Menschen?. Aus dem Englischen von
Helmut Dierlamm, Enrico Heinemann, Ute Mihr, Thomas Pfeiffer, Reiner
Pfleiderer. München (Econ Taschenbuch) 2000, S. 242.
Der Hinweis einer Leserin der Predigt sei an dieser Stelle weitergegeben. Unter
entwicklungspsychologischer Rücksicht ist bei Kindern die emotionale Zuwendung
von großer Bedeutung, weil die Fähigkeit zu Gefühlen von der
Entwicklung des Gehirns eines Kindes mit beeinflusst ist. Wenn diese Entwicklung
nicht ausreichend stattfindet muss die Hilfe, die die Natur über die Fähigkeit
zu Gefühlen bereit stellt, durch ich-bezogene Strategien zur Aufrechterhaltung
des emotionalen Gleichgewichtes, zur Überwindung von Unsicherheit und Angst
zu entwickelt werden. Vgl. dazu das Buch von Gerald Hüther "Die Evolution
der Liebe", Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen, 1999.
(2) "Do Androids dream of
electric sheeps?" von Philip K. Dick. Der Roman war Vorlage für den
Film "Blade Runner" von R. Scott. Der "Gefühlskasten"
ist in der Filmfassung nicht aufgenommen.
(3) Goller, Hans: Hirnforschung
und Menschenbild. Die Bedeutung von Körper und Emotion für Bewußtsein
und Selbst. In: Stimmen der Zeit. Heft 9 125 Jg. 2000 S. 579-594.