Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2011 (Johannes)

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15. Mai 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Aufbruch und Geborgenheit

  • Aufbruch und Verlorengehen, Geborgensein und Enge: Zwischen diesen Polen spannt sich unser Leben.
  • Eine junge Frau erzählt mir, dass ihre Familie sie nicht loslässt. Als einzige hat sie sich auf den Weg gemacht. Die Sippe will ihr klarmachen, dass sie lebensuntüchtig sei mit ihren Ideen. Wenn sie wenigsten Karriere machen und Geld nach Hause schicken würde. Aber sie studiert nur brotlose Kunst. Die Freiheit, zu der sie unterwegs ist, zahlt sich nicht in harter Münze aus. Doch diese Frau ist der engen, bedrückenden Geborgenheit unter der Fuchtel des Vaters entkommen. Leben ist Aufbruch.
  • Bei anderen ist es umgekehrt. Die Suche nach Freiheit hat ihnen Unabhängigkeit beschert. Sie sind gut qualifiziert und entsprechen dem ökonomischen Anfordernis der Flexibilität. Nichts bindet sie, aber vieles treibt sie. Selten sind die Gelegenheiten, zu denen sie überhaupt nur genug Aufmerksamkeit haben, um zu merken, wie sehr sie sich nach Geborgenheit sehnen. Leben sucht Halt.

2. Gehen und Bleiben

  • Bemerkenswert, was Jesus seinen Freunden zum Abschied sagt: "Euer Herz lasse sich nicht verwirren." Er hat sie aus allen Familienbanden und sozialen Zusammenhängen herausgeholt. Die einen, wie Petrus und Andreas, haben den Fischereibetrieb ihrer Väter verlassen, andere, wie Maria Magdalena, haben durch Jesus die Kraft gefunden, aus der systematischen Ausbeutung und Unterdrückung zu fliehen. Zugleich aber hat Jesus ihnen in seiner Person und im Jüngerkreis Geborgenheit vermittelt. Dies genau aber droht zu zerbrechen, wenn er fortgeht. "Euer Herz lasse sich nicht verwirren."
  • Ein Blick auf die Verben in dem Abschnitt, den wir gelesen haben, macht deutlich, dass die Rede Jesu in der Spannung von gehen und bleiben steht: "Ich gehe..., ich komme..." auf der einen Seite, "der Vater, der in mir bleibt...; dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist..."; und auch das Wort "Wohnung" ist im griechischen Original von "bleiben" abzuleiten: "Im Haus meines Vaters gibt es viele Bleiben."
  • Die Rede fasst zusammen, was zwischen Jesus und seinen Jüngern geschieht. Es sind nicht diese Worte, die er spricht. Die Jünger erleben, wie Jesus selbst lebt und woraus er lebt. Sie erfahren in der Zeit, die sie mit ihm verbringen, dass er aus der Verbindung mit Gott lebt, den er immer wieder "meinen Vater" und dann in der österlichen Zeit "meinen Vater und euren Vater" (Joh 20,17) nennt, weil durch die Vollendung seiner Sendung am Kreuz der Weg auch für die Jünger offen steht. Sie haben erlebt, wie Gott einen Menschen erfüllt und sichtbar macht, wie unendlich wertvoll sein Leben ist, gerade weil er es vertrauensvoll in die Hände Gottes geben kann. Jesus geht, um im Vater zu bleiben.

3. Gnade und Sendung

  • Die Heilige Messe, die wir feiern, ist nur von hier aus verständlich. Wer eine Unterrichtsstunde zur Belehrung oder eine Kulturveranstaltung zur Erbauung sucht, wird schnell enttäuscht sein. Die göttliche Liturgie der Messe ist vom Kern her ein Eintauchen in die Wirklichkeit Gottes, der immer gegenwärtig ist, aber hier verdichtet und ausdrücklich gefeiert wird. Wir feiern im Namen dessen, der "der Weg und die Wahrheit und das Leben" ist. Daher verehren wir die Symbole, die auf Christus verweisen: Das Kreuz, den Altar, die Osterkerze, das Evangeliar. Daher verbinden wir uns leiblich mit ihm, wenn wir das Brot empfangen, von dem er gesagt hat, dass es seine leibliche Gegenwart für uns ist.
  • Am Anfang und Ende der Messe ist das zusammengefasst: "Dominus vobiscum - der Herr ist mit Euch!" (in der liturgischen Übersetzung "sei mit Euch") steht als Zuspruch am Anfang. Alles, was ihr hier tut, tut ihr als die Kirche, die selbst Leib Christi ist. Am Ende aber steht "Ite missa est - Gehet hin in Frieden", der Aufbruch, auf den die ganze Messe zuläuft. Der Aufbruch am Ende der Messe gehört genauso dazu, wie die Einladung am Beginn, mit Christus im Vater zu bleiben.
  • Als Menschen stehen wir zwischen den Polen von Aufbruch und Verlorengehen, Geborgensein und Enge. Im Glauben sollen wir den Aufbruch aus der Enge falscher Familienbande und irdischen Herrschaftsansprüchen wagen, aber nicht verloren gehen in dem Getriebensein.
    Im Glauben dürfen wir auch die Geborgenheit erfahren. Es soll aber gerade nicht die muffige Enge sein, die leider auch bei uns allzu oft anzutreffen ist. Vielmehr lädt uns die Taufe ein zur Geborgenheit eines "bleiben im Vater", wie Christus es gelebt hat. Amen.