Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2022 (Johannes)

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15. Mai 2022 - St.Peter, Sinzig

1. Schönheit

  • Wie gerne wäre ich ein echter Rheinländer. Allein, um vor dem Kölner Dom zu stehen, um  rheinisch-rollend zu sagen „herrlisch!“ Oder ein Konzert von Niedecken oder Bach hören: „herrlisch!“
  • Doch dort, sobald sich die Begeisterung für das Schöne nicht mehr mit der rheinischen Großzügigkeit verbindet, wird es hart: Was nicht dem Schönheitsideal entspricht, wird in unserer Kultur gnadenlos ausgesondert. Was sich nicht verkauft ist nichts wert, und der Wert bestimmt sich allzuoft am Aussehen. Deswegen gibt es soviel Aufwand darum. Eine Haareschneider wurde zum Hair-Stylisten, Fitnessstudios liefern gleich noch die Nahrungsmittelzusätze mit, um den perfekten Body zu kreieren, Produktdesign, dieses Kind der kapitalistischen Warenwirtschaft, bestimmt alles. Was und leider auch wer als hässlich gilt, wird aussortiert.
  • Ich will nicht nur negativ sein. Achten auf Schönheit kann ein Weg sein, Menschen Respekt auszudrücken: Man braucht nur die Gewaltstatistik in einem alten, funktional gebauten, doch heruntergekommenen Knast vergleichen mit einem Gefängnis, das zumindest etwas Wert auf Schönheit legt. Vandalismus in Schulen ist zum Teil eine Reaktion auf die Zumutung hässlicher Betonarchitektur. Auch ich will lieber in einer schönen Umgebung leben, als in einer hässlichen. Auch wer auf Schönheit nicht gleich mit exaltierten „herrlisch!“ reagiert, versteht, das. Aber alles in allem müssen wir nüchtern feststellen, dass unsere Kultur (und Wirtschaft bzw. Konsum) sich auffällig oft an der Oberfläche orientiert.

2. Herrlichkeit

  • Wir müssen das im Kopf sortieren, wenn wir im Evangelium heute so viel von Herrlichkeit und Verherrlichen hören. Denn Herrlichkeit ist dann doch kein Wort, dessen Sinn auf der Hand liegt und mit einer spontanen Vorstellung zu verbinden wäre. Die Adjektive "prachtvoll" und "herrlich" prägen am ehesten die Vorstellung von Herrlichkeit. Wenn Jesus von Gott, wie es im Evangelium heißt, "verherrlicht" wird, bedeutet das, dass er schön anzuschauen ist? Ist dann alles „prachtvoll“ wie eine barocke Kirchenausstattung?
  • Schon das griechische Wort "doxa", das das Evangelium an der Stelle verwendet, ist eine Hilfskonstruktion: "doxa" bedeutet nämlich eigentlich die Meinung, die man von etwas hat. Natürlich geht es um eine gute, positive Meinung. Das wird beide der lateinischen Übersetzung des Wortes „Doxa“/“Herrlichkeit“ deutlich: gloria: Ehre und Herrlichkeit. Wenn es aber um "verherrlicht", die Verbform von "doxa" im heutigen Evangelium geht, dann schreibt die lateinische Bibel nicht "glorificare" sondern "clarificare". Luther übersetzte entsprechend:
    "Nun ist des Menschen Sohn verkläret,
    und GOtt ist verkläret in ihm.
    Ist GOtt verkläret in ihm,
    wird ihn auch GOtt verklären in ihm selbst
    und wird ihn bald verklären.
    "
    (in der modernen revidierten Lutherübersetzung steht wieder nur „verherrlicht“)
  • Das Evangelium führt uns also in die Stunde Jesu, in der ihn Gott verklärt und verherrlicht –ihn in Klarheit erscheinen lässt. Als mit dem Weggang des Judas die Maschinerie zu rollen beginnt, die mit dem Tod Jesu am Kreuz endet, da sieht das Johannesevangelium die Stunde der Verherrlichung. Wenn deutlich wird, dass Jesus im Begriff steht, sein Leben für seine Freunde hinzugeben, da erscheint seine Glorie, da wird er klar und durchsichtig für die, die glauben. Der heutige Evangelientext steht bei Johannes zwischen dem Verrat durch Judas und der Verleugnung durch Petrus – beide Mitglieder des Apostelkreises, Bischöfe der Kirche Jesu. Er erscheint in Gottes Klarheit, und Gottes Herrlichkeit erscheint zum ersten Mal so, dass wir uns nicht geblendet abwenden müssen, sondern schauen dürfen. Was wir sehen ist: Liebe. Die Liebe zeigt sich nicht oberflächlich, sondern ansteckend das neue Gebot: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“

3. Gewicht

  • Was Jesus ist und sagt, bekommt nun Gewicht und Bedeutung. Das griechische "doxa" ist der mühsame Versuch, das hebräische Wort für Herrlichkeit (kabod/ כָּבוֹד kāvōd) zu übersetzen. Das Wort leitet sich von "schwer" und "gewichtig" ab. Was hier als verherrlicht erscheint, ist also nicht einfach nur schön und herrlich anzuschauen. Es hat Gewicht und Bedeutung. Deswegen sitzen wir hier und schauen uns nicht irgend etwas an und hören nichts irgendwie Nettes und Schönes. Die Herrlichkeit Jesu ist bedeutend. Sie ist uns lebenswichtig.
  • Damit ist der wunde Punkt unserer schönen Welt berührt. Allzu oft hat das Design kein Gewicht. Allzu oft ist die schöne Oberfläche austauschbar. Allzu oft wird übersehen gemacht (sic!), was sich hinter dem Design verbirgt - Leere. Wer sind wir hinter unserer schönen Wohnung? Wie lange kann Schönheit erfreuen, wenn das Schöne kein Gewicht und keine Bedeutung hat?
  • Jesus bietet uns etwas von Gewicht. Jesus offenbart uns Gott für unser Leben, der uns mehr zu bieten hat als die "Macht und Herrlichkeit der Reiche dieser Erde" (Lk 4,6). In seinem Tun, in seinen Zeichen und seinen Worten, vor allem aber mit seiner Lebenshingabe und seiner Auferstehung ist uns ein Glaube angeboten, der es lohnt. Die Schönheit, um die wir uns durchaus bemühen sollen, ist dann nicht leer und beliebig, sondern ist ausgerichtet auf die größere Ehre Gottes. Seine Herrlichkeit wird sichtbar im Tempel der Liebe, die Jesus lebt – und darin sind wir aufgefordert, erkennbar seine Jünger zu sein. Dadurch wohnt Gottes Herrlichkeit unter uns.
    "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt."

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Wissenschaftlicher Nachtrag:

Das einschlägige Wörterbuch vermerkt zum rheinischen „herr-lich“ – auch hier das Wort mit Nebenbedeutungen, die sich auf die Resonanz beziehen:

1. nach dem Nhd. wohl in Gebrauch; en h. Wedder udgl. prachtvoll Allg. -

2. die ware all so h. so freudig, stolz, strahlend vor Vergnügen Saarbr-Sulzb.

 

Herr-lich-kei t f.: nur ironisch in Wend.: Nu hät de ganze H. en Engk (Ende); du met denger ganzen H. kanns mer gestolle werde! Rip, Allg.; den hon eich gehatscht (geschlagen) no der H. nach Noten Trier-Casel.

Rheinisches Wörterbuch, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/RhWB>, abgerufen am 15.05.2022.