Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit Lesejahr A 2005 (Apostelgeschichte)

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15. Mai 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Warum sich firmen lassen?

  • "Warum soll ich mich firmen lassen?" Diese Frage im Munde eines 16jährigen, der mit dem christlichen Glauben und der Kirche nicht sonderlich viel am Hut haben will, ist normal. Okay, sage ich, es ist seine Entscheidung. Deswegen ja sollte man mit der Firmung warten, bis jemand mindestens 16 Jahre alt ist. Die Frage, warum sie sich firmen lasse solle, wurde mir aber von einer erwachsenen jungen Frau gestellt, die sehr wohl für sich in Anspruch nimmt, ihren christlichen Glauben ernst zu nehmen und der katholischen Kirche verbunden zu sein. Nicht irgendwelche Kirchenskepsis steckt hinter ihrer Frage, sondern die Erfahrung, dass Gott ihr seinen Heiligen Geist bereits geschenkt hat. Wozu dann noch die Firmung?
  • Keiner will Eulen nach Athen tragen (der Weisheit, deren Sinnbild die Eule ist, hat Athen nämlich zur Genüge). Keiner will Starkbier nach Andechs liefern (das gibt es da nämlich schon). Wenn also die Firmung dazu da ist, dass wir den Heiligen Geist empfangen: wozu soll jemand gefirmt werden, der den Heiligen Geist bereits hat? Sie merken, ich stelle die Erfahrung dieser jungen Frau keineswegs in Frage. Sie hat Gottes Geist erfahren, der sie zum Glauben geführt hat, der sie im Glauben stärkt und sie befähigt, den Glauben zu bezeugen. So, wie ich sie kennen gelernt habe, gibt es für mich keinen Grund anzunehmen, Gott habe ihr seinen Heiligen Geist nicht verliehen.
  • Ihre Frage ist daher wirklich gut. Es ist eine Frage, auf die ich auch gerne eine Antwort wüsste. Ich gebe zu, dass es nicht meine allgemeine Schüchternheit war, warum ich ihr spontan nicht antworten konnte. Vielmehr muss ich dazu erst einmal ganz neu über die Firmung nachdenken - und in der Bibel lesen.

2. Urgemeinde, erst nur in Jerusalem

  • Auf der Suche nach dem Sinn der Firmung landet man schnell bei der heutigen Lesung aus dem 8. Kapitel der Apostelgeschichte. Der Bericht des Lukas führt uns in das Jahr 36 oder 37 unserer Zeitrechnung, wenige Jahre nach Ostern. Bis dahin hatte die junge Kirche einen bemerkenswerten Aufschwung genommen und ihre ersten Krisen erlebt. In der ersten Zeit nach Pfingsten waren schnell viele zum Glauben gekommen. Das ist historisch durchaus glaubhaft und archäologisch gestützt. Viele der ersten Christen hatten Jesus noch selbst erlebt oder zu seinen Lebzeiten von ihm gehört. Am Karfreitag schien ihnen die Sache erledigt. Aber die Predigt der Apostel, das Zeugnis der Jüngergemeinde nach Pfingsten, hat in ihnen den Glauben geweckt und sie ließen sich taufen.
  • In den folgenden fünf Jahren entwickelte sich die Kirche in Jerusalem. Neben Juden aus Jerusalem, Galiläa und anderen jüdischen Gegenden kamen zunehmend auch Juden zur Kirche, die aus der griechischsprachigen Diaspora kamen. Um diese Gruppe angemessen zu integrieren wurden die sieben Diakone gewählt, unter ihnen Stephanus und Philippus. Aber dennoch blieb die junge Kirche auf Juden beschränkt und scheint nicht über Jerusalem hinaus gekommen zu sein. Mit dem Namen Stephanus ist die erste blutige Verfolgung verknüpft, denn sie traf vor allem die griechischsprachigen Christen. In der Verfolgung nach der Steinigung des Stephanus mussten viele von ihnen Jerusalem und das jüdische Gebiet verlassen. So, gänzlich ungeplant, kam das Evangelium nach Samarien, dem von Juden gemiedenen Landstrich; die Samariter waren zwar auch Juden, aber "abtrünnige", denn sie erkannten den Tempel in Jerusalem nicht an.
  • Auf diese Weise wurde die Verfolgung zum Anstoß des Aufbruchs. Aus der Kirche in Jerusalem wurde eine Kirche, zu der andere Gruppen aus dem Volk der Juden Zugang fanden, und wenig später, nach der Bekehrung des Paulus, auch Menschen aus den anderen Völkern des Mittelmeerraumes. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, welche Diskussionen dadurch unter den Christen in Gang kamen. Man erkannte schnell, dass diese Ausbreitung des Glaubens Gottes Werk war: Anstoß war keine eigene Planung, sondern die Verfolgung; und die Neuchristen hatten wirklich den Glauben angenommen. Anfangs dürfte aber die Frage sowohl in Jerusalem wie bei den neuen Gemeinden zentral gewesen sein: Was macht nun die eine Kirche Jesu Christi aus, wenn sie beginnt, sich über verschiedene Orte zu verteilen. Was hält uns zusammen? Was finden wir aus der Verkündigung Jesu, des Herrn, für diese Situation?

3. Apostolische Kirche

  • Urerfahrung der Kirche ist, dass Gott denen, die sich im Glauben taufen lassen, seinen Heiligen Geist schenkt. Deswegen kann Petrus im Anschluss an seine Pfingstpredigt sagen: "Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen" (Apg 2,38). Das Wasser der Taufe und der Geist des Pfingstfestes gehören zusammen (Joh 3,5) in dem einen Prozess des Glaubens: Ohne Gottes Geist kommt keiner zur Erkenntnis, dass im Gekreuzigten das Heil ist. Ohne sich hinein tauchen zu lassen in die Gemeinschaft derer, die unter dem Namen Jesu stehen, kann dieser Geist nicht im konkreten Zusammenleben der Getauften wirksam werden. Der Heilige Geist wirkt also immer schon vor der Taufe eines erwachsenen Menschen, der zum Glauben kommt. Dennoch spricht die Heilige Schrift davon, dass dieser Geist eine Frucht der Taufe ist, denn erst durch sie werde ich eingegliedert in die Gemeinschaft.
  • Die Lesung berichtet, dass auf die Predigt des Philippus hin viele Samariter zum Glauben kamen und sich taufen ließen. Dann aber, wird berichtet, dass "die Apostel in Jerusalem" Petrus und Johannes nach Samarien schickten. Deren erster Dienst ist das Gebet um den Heiligen Geist für die neu Getauften, "denn er war noch auf keinen von ihnen herabgekommen; sie waren nur auf den Namen Jesu, des Herrn, getauft. Dann legten sie ihnen die Hände auf, und sie empfingen den Heiligen Geist." Was hier berichtet wird, hat unmittelbar mit unserer Firmung zu tun. Dies aber nicht in dem Sinne, dass die Taufe des Philippus geistlos gewesen wäre. Der Heilige Geist, der durch die Gesandten aus Jerusalem vermittelt wird, bindet die neuen Christen in Samarien an die Urerfahrung des Pfingstfestes in Jerusalem. Deswegen braucht es Apostel, die in die neue Gemeinde kommen und den Getauften im Ritus der Handauflegung diesen Heiligen Geist vermitteln.
  • Die Ereignisse aus der Apostelgeschichte sind nicht einfachhin mit unserer heutigen Firmung gleichzusetzen, auch wenn wesentliche Elemente darin vorkommen: die Beauftragung der Apostel und der Ritus der Handauflegung. Wenn sich nun die junge Kirche entwickelt und ausbreitet, dann ist und bleibt die Taufe das eine Sakrament im Wasser und im Heiligen Geist. Von den ersten Anfängen an aber ist deutlich, dass dieser Heilige Geist nichts ist, dass man allein für sich hat. Die Kirche ist wesenhaft apostolisch, an die Urerfahrung der Apostel gebunden, und findet darin ihre Einheit. Unsere Firmung versucht dies unter den Bedingungen einer Kirche unter allen Völkern erfahrbar zu machen. Amen.

Nachbemerkung: Die Geschichte der Entwicklung hin zum Sakrament der Firmung ist keineswegs gradlinig verlaufen. Es würde den Rahmen einer Predigt bei weitem überschreiten, sie nachzuvollziehen. Insbesondere müsste man ausführlich darüber sprechen, dass die Taufe von Kleinkindern und die spätere Firmung keineswegs unproblematisch ist und nur aus den Bedingungen einer Volkskirche zum Regelfall werden konnte. Im westlichen (lateinischen) Teil der katholischen Kirche ist es heute noch so. Im östlichen Teil der katholischen Kirche und ebenso in den orthodoxen Kirchen wird auch bei Kleinkindern Taufe und Firmung in einem gespendet. Bei den Erwachsenentaufen in der KHG haben wir es in den letzten Jahren so gehalten, dass die Taufe unmittelbar vor der Firmung zusammen mit anderen Erwachsenen gespendet wird, um diesem "apostolischen" Aspekt der Firmung Ausdruck zu verleihen. - Auch in den Kirchen der Reformation ist die Entwicklung keineswegs so, dass die Firmung einfach nur abgeschafft wurde. Vielmehr gibt es hier große Unterschiede in Theologie und Praxis und ist die Diskussion teilweise voll im Gange.