Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2012 (1.Johannesbrief)

Zurück zur Übersicht von: 6. Sonntag der Osterzeit B

13. Mai 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Sehend lieben

  • Menschen, die alles und jedes lieben, sind gewöhnungsbedürftig. Vielleicht spiegelt sich darin auch nur die Angst, anzuecken und sich Konflikten stellen zu müssen. Ich zumindest will nicht einfach alles und jeden lieben. Zumindest für mich selbst möchte ich klar haben, dass ich manche Menschen nur als meine Feinde liebe - was ja nichts daran ändert, dass sie meine Feinde sind, sondern nur versucht, sich von Feindschaft und Hass nicht anstecken zu lassen.
  • Liebe braucht daher Erkennen. Blinde Liebe tarnt sich vermutlich nur als Liebe, ist aber in Wirklichkeit Angst, etwas zu verlieren, sei es wohlig hormonell verursachte Gefühle, sei es, dass jemand vorzieht, nicht so genau hinzusehen, um nicht die liebgewonnene Sicherheit zu verlieren, die eine Beziehung bieten kann. In beiden Fällen geht es aber um mich - meine Gefühle, den Schein meiner Sicherheit - und nicht um Liebe.
  • Das gilt auch für die Liebe zu Gott. Zu meinen, Liebe zu Gott hätte nichts mit Erkennen zu tun, muss sich fragen lassen, ob man alles lieben würde, was sich Gott nennt. Ich zumindest hätte Schwierigkeiten, Gott zu lieben, wenn da nicht mehr wäre, als seine Allmacht. Einen allmächtigen Gott, der nicht mehr wäre als der kosmische Strippenzieher, würde ich vielleicht mindestens so sehr hassen wie lieben.

2. Liebe mit Blick auf Gott

  • "Darin ist die Liebe Gottes unter uns erschienen, dass Gott seinen einziggebornen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat" (Übersetzung nach Luther rev 1984). Doppelt betont die Lesung aus dem Ersten Johannesbrief, dass die Liebe zu Gott nicht blind irgendeiner Gottheit über dem fernen Kosmos gilt.
  • Die Liebe zu Gott ist in der Bibel ganz fest damit verbunden, dass Gott in dieser Welt dadurch erfahrbar und offenbar geworden ist, dass er "seinen einziggebornen Sohn gesandt hat". Mit dieser Formel, die in unser Glaubensbekenntnis eingegangen ist, drückt die Bibel das Besondere des Offenbarwerden Gottes in Jesus aus: Einziggeboren, einzigartig - oder mit der etwas missverständlichen Übersetzung seit Luther: eingeboren. (siehe gut dargestellt bei Wikipedia).
    Dass Gott selbst in Christus gegenwärtig und offenbar wurde, ist gleichsam der Schlüssel, um meine eigenen Erfahrungen mit Gott zu deuten: in dem was ich erfahre, Gottes Liebe zu sehen und zu verstehen.
  • Meine und unsere Erfahrung des Lebens kann von da her erschlossen werden. Wir sind nicht Marionetten eines allmächtigen Gottes, sondern von Gott in Liebe angenommene Kinder dieses Allmächtigen.
    All das, was zur Erfahrung der Liebe gehört, gehört auch zur Erfahrung des Glaubens. Ich fühle mich zu Gott hingezogen und versuche ihm in meinem Alltag Raum zu geben. Ich schaue auf zu ihm, wie zu einem geliebten Menschen, von dem ich weiß, dass er will, dass es mich gibt. Selbst der Schmerz gehört zur Erfahrung der Liebe, wo ich Trennung erfahre. Damit eröffnet die Liebe zugleich auch den Raum für Versöhnung: Die "Sühne für unsere Sünden", von der die Lesung spricht, meint im Bild des alttestamentlichen Tempelgottesdienstes die Hingabe in der Liebe, die das Trennende überwindet.

3. Liebe erkennen

  • Liebe braucht daher Erkennen, sonst ist sie blind. Der Johannesbrief betont aber auch das Umgekehrte: Erkennen braucht Liebe.
    Der Satz 'Du bist mir ganz fremd geworden' ist ein Alarmsignale für eine Beziehung. Ob in einer Freundschaft, in einer Ehe oder in der Beziehung zu Gott, es braucht Liebe, den anderen immer mehr kennen zu wollen - auch wenn der geliebte Mensch oder Gott darin immer mehr als ein Geheimnis erfahren wird, mit dem ich nicht einfach zu Ende komme, sondern bei dem ich immer neu am Anfang stehe: Erkennen braucht Liebe.
  • In Bezug auf Gott gilt das ganz radikal: "Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt". Wer nur um sich selber kreist, wem nur die eigenen Interessen und das eigene Vorankommen wichtig ist, wer ängstlich an allem festhält... - wer nicht liebt, der wird vielleicht irgendein höheres Wesen als Gott annehmen, aber er wird den Gott Jesus Christi, den einzig wahren Gott, niemals erkennen.
  • "Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe." Das ist der eigentliche Angelpunkt für jeden von uns, dem der Glaube an Gott schwierig oder fremd geworden ist. Gott zu erkennen und an ihn zu glauben, ist keine intellektuelle, sondern eine praktische Aufgabe, "denn Gott ist Liebe." Ja, es ist Gottes Gegenwart in uns, Gottes Heiliger Geist, der Liebe ist. Den Mitmenschen und allem, was Gott geschaffen hat in Liebe zu begegnen - offenbart der Johannesbrief - bedeutet, dass Gott selbst in mir und bei uns ist, "denn Gott ist Liebe." Amen.