Predigt zum 6. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Markus)
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15. Februar 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Haut
- Die Haut ist ein starkes Organ. Sie hält uns zusammen. Sie macht uns sensibel. Was uns berührt, kann uns schrecken oder freuen. Was unter die Haupt geht, kann uns prägen und das ganze Leben verändern. Auch wenn wir uns mit Stoff kleiden, bleibt die Haut das, was von uns wir den anderen unverstellt zeigen.
Das belegen sogar noch die Kulturen, die versuchen, alle Haut und damit jede Individualität unter schwarzem Schleier völlig zu verstecken. Die Haut zeigt uns selbst, unsere Schönheit, aber auch unsere Verletzlichkeit. Ist die Haut erkrankt, wirkt der ganze Mensch entstellt. Ist die Haut gesund, wirkt er gesund.
- [Bei der Unterzeichnung des Versailler Vertrages am Ende des Ersten Weltkrieges standen hinter der französischen Delegation fünf Männer, deren Gesicht im Krieg verletzt worden war. Ihr Anblick sollte den Schrecken des Krieges in Erinnerung rufen und zum Frieden gemahnen. Bekanntlich hat es wenig geholfen.
Wer nur die eigenen Verletzungen zählt, wird nie Frieden erreichen. Wenn es aber nicht nur um die eigene Haut geht, sondern immer auch um die Haut des anderen, dann kann genau hier, an diesem Organ des Menschen, die Heilung beginnen.]
- An der Haut endet das, was ich selber bin. Der Mensch, den ich berühre, ist der andere. Aber gerade das kann die Berührung des anderen unendlich wertvoll machen, auch zärtlich, ja lustvoll. Wenn das Anderssein des Anderen erfahren wird, wenn der Andere als ein eigenes Wesen mit eigener Sehnsucht und eigenen Bedürfnissen gesehen und respektiert wird, wenn der Mensch sich auf den anderen einlässt, sich berühren lässt und berührt, dann ist all das nicht zufällig tiefster Ausdruck von Liebe.
2. Aussatz
- Das Evangelium berichtet von einem Menschen, der eine Grenze überschreitet. Sein ansteckender Aussatz verpflichtet ihn, sich von den anderen fern zu halten. Er aber "kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe". Jesus ist offenbar einer, der dazu ermutigt, Nähe zu suchen, auch dort wo sie eigentlich keinen Platz hat. Der Mann, der durch den Aussatz unansehnlich geworden war, wurde durch Jesus ermutigt, sich ihm zu zeigen.
- Das gehört zur Aura der Barmherzigkeit Gottes. Hier spüren Menschen, dass sie sich zeigen können, wie sie sind. Wo andere sich vor dem Aussatz ekeln würden, geht Jesus auf den Menschen zu und berührt ihn: "Ich will es - werde rein!" Dieser Satz reicht in seiner Bedeutung weit über die zufällige Situation hinaus. Für den Evangelisten offenbart sich in Jesus Gott. Reinheit meint biblisch immer auch die Kultfähigkeit, also die Fähigkeit, sich inmitten der Gemeinde Gott zu nähern. Das macht Jesus bei den Aussätzigen möglich und offenbart damit den Willen Gottes.
- Der Fortgang der Geschichte im Evangelium ist dem gegenüber ernüchtern. Ich verstehe sie so, dass es dem Aussätzigen nicht gelingt, die Heilung nach innen in sein Leben zu integrieren und nach außen in 'normale' Beziehungen zu anderen zu treten. Vielmehr macht er seine Geschichte zum Spektakulum: Wie er bisher vor anderen nicht er selbst war, sondern 'der Aussätzige', so macht er sich auch jetzt "bei jeder Gelegenheit" als Geheilter zu einer Attraktion.
Die Haut ist das Organ des Übergangs von mir zum Nächsten. Wo Gott uns berührt, gerade auch die verletzte Außenhaut berührt, geht es Gott vor allem um einen Neufang in der Beziehung zum Nächsten
3. Berühren
- Hier sind wir selbst gefragt. Die Heilung des Aussätzigen kann uns ein belangloses Wunderheiler-Spektakel sein, oder ein echtes Wunder, ein Zeichen, das uns in Gottes Gegenwart hinein führt. Der Raum, den es braucht, damit wir uns berühren lassen, entsteht dort, wo Vertrauen ist. Vor allem, wenn wir auch unsere verletzten und verletzlichen Stellen bloßlegen wollen, damit er sie berühren und heilen kann, braucht es dieses Vertrauen.
- [Die Darstellung der Kriegsversehrten bei der Unterzeichung des Friedensvertrages von Versailles führte aus vielerlei Gründen nicht zum Frieden. Die Präsentation der Entstellung ihrer Gesichter war in gewisser Form eine neuerliche Form von Gewalt, weil es den anderen nicht einbeziehen sondern anklagen sollte. Nach den Verletzungen des anderen wurde nicht gefragt. Berührung war nicht vorgesehen. Heilung konnte nicht geschehen.]
- Der Aussatz ist eine Krankheit an der Grenze zwischen mir und den Anderen. Das macht diese Krankheit so folgenreich für die Beziehung zu den Anderen. Jesus macht genau diese Krankheit zur Einladung an den ganzen Menschen, heil zu werden, indem er sich berühren lässt. Das ist immer mit der letzten Unsicherheit verbinden, ob der Andere mich verletzten und schädigen wird, ob die Nähe nur ausgenutzt wird, ob nur flüchtig die junge Haut des anderen konsumiert wird, oder ob echte, mich und den Anderen verändernde Begegnung geschehen kann. Amen.