Predigt 2001 zum 6. Sonntag im Lesejahr C
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11.02.2001 - khg Göttingen, Universitätskirche St. Nikolai
1. Das neue Volk
- Verachten Sie die Einleitungen nicht! Ohne sie ist der
Hauptteil nicht zu verstehen. Oder, schlimmer noch, man versteht ihn
falsch.
Das heutige Evangelium ist eine Einleitung. Es ist nicht die
Bergpredigt. Die steht im Matthäusevangelium. In diesem Lesejahr hören
wir das Lukasevangelium. Jesus hat sicher mehr als eine Predigt
gehalten. Er hat sich sicher auch wiederholt. Daher konnten Lukas
und Matthäus verschiedene Fassungen zusammenstellen. Gerade die kleinen
Unterschiede müssen dabei aber sorgfältig mit gehört
werden.
- Lukas lässt den Berg, an dem Jesus gepredigt hat,
nicht aus. Im Gegenteil, deutlicher noch zeigt er Punkt für Punkt, dass
das Tun
Jesu sich engstens anschließt an die Ereignisse vom Berg Sinai. Dort
erhielt Mose von Gott die Gebote des Bundes mit seinem Volk.
Ausdrücklich waren es nur Moses und Aron, die auf den Berg stiegen. Das
Volk wartet unten. Dort auf dem Berg verkündet Gott,
dass er sich dieses Volk als sein Volk erwählt.
Lukas schildert, dass Jesus Petrus und die anderen der Zwölf auf einen Berg mit nimmt und dort zu seinen Gesandten, griechisch
Apostoloi, auswählt. Darunter ist auch der Verräter Judas. So wird deutlich: das Apostelamt der Bischöfe ist Wahl Christi - und
nicht schon unfehlbare Heiligkeit. Mit dieser Auswahl der Zwölf beginnt die Kirche, das Neue Volk Gottes, der Neue Bund.
- Zusammen mit den Zwölf steigt Jesus vom Berg herab und trifft auf die Jünger und, wie es wörtlich heißt, eine große Menge des
Volkes. In Jesus beginnt Gott einen Neuen Bund. Der Bund hat eine Struktur. Dafür stehen die Zwölf. Der Bund ist eine
Erneuerung des Bundes vom Sinai. Dafür steht die Menge des Volks "aus ganz Judä und Jerusalem". Das ist die Einleitung. Jetzt
beginnt die Predigt. Es ist eine Predigt an das Volk Gottes - die Kirche.
An den nächsten zwei Sonntagen werden wir weitere Teile aus dieser Predigt hören. Ich kann nur sehr empfehlen, sie daheim einmal
am Stück zu lesen. Denn hier sagt Jesus, was es bedeutet, Glied der Kirche und getauft zu sein.
2. Vier Mal selig
- Vier Mal "Selig seid ihr...", vier Mal "Weh euch...". Nicht wie in der Bergpredigt bei Matthäus allgemein "Selig sind, die...", sondern
"Selig seid ihr..."
- Ohne
die Einleitung, die Berufung des Neuen Gottesvolkes, hätte man meinen
können, Jesus verkünde allgemeingültige Weisheit. Es
ist aber eine Predigt, um zu verstehen, was es bedeutet, getauft zu
sein. Hören wir also noch einmal in den Text der Predigt Jesu.
Jesus spricht, umgeben von den Zwölf zu den vielen Jüngern, letztlich
allen Getauften. Drum herum stehen viele Menschen aus dem
ganzen Land, denn Jesus predigt nicht zu einer Sekte, hinter
verschlossenen Türen.
- Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
- Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden.
- Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen.
- Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und
euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen. Freut euch und jauchzt an jenem Tag; euer Lohn im Himmel wird
groß sein.
- Arm, hungernd, weinend. Was für Menschen "an sich" Anlass zur Wehklage ist (unbedingt ist!), ist für Getaufte Seligkeit. Es ist
auch keine Aufforderung, dass wir arm, hungernd und weinend werden sollen. Es ist eine Beschreibung dessen, was wir sind. Oder,
noch genauer, Jesus spricht von dem was wir, o Seligkeit!, im Geschenk der Taufe überwunden haben. Denn mit der Gemeinschaft
mit Jesus hat sich eine dreifache Verwandlung ereignet.
3. Was wir schon haben
- Lesen Sie also die Seligpreisungen als an sich gerichtet, an Getaufte:
- Meint jemand, als Christ würde man sich besser stellen? Durch die Taufe habt ihr eure Karriere versaut. Wer Christ ist, ist ein
Außenseiter, ein Sonderling. Als Christen gehört ihr nicht zu den Reichen, die sich aller Mittel bedienen, um den Reichtum zu
mehren. Selig seid ihr: Denn was ihr anstatt all dieser Dinge bekommen habt, ist unendlich größer und wertvoller: Teilhabe
am Reich Gottes.
- Meint jemand als Christ würde man mit der Taufe Zufriedenheit einkaufen? Das Gegenteil ist die Erfahrung. Gerade die
regelmäßige Konfrontation mit dem Wort Gottes macht unruhig. Nicht Sättigung, sondern Hunger ist eure Situation. Der
Glaube macht hungrig nach mehr. Selig seid ihr! Als Getaufte werdet ihr mit einem Brot beschenkt, das mehr ist als der
saftigste Rinderbraten und satt füllende Menüs: Das Brot der Eucharistie ist unmittelbare Begegnung mit Gott.
- Meint jemand, Christen würden mit fortwährendem Lächeln auf den Lippen durch die Welt laufen? Ja, ihr habt keinen Zugang
zu dem Markt der Lüste und Genüsse und Statussymbole. Wenn ihr das alles seht, überkommt euch eher tiefe Traurigkeit.
Aber: Selig seid ihr, denn ihr habt etwas unendlich Wertvolleres: Österliche Freude.
- Die vierte der Seligpreisungen hebt sich von der Preisung der Armen, der Hungernden und der Weinenden ab. "Selig seid ihr, wenn
euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um
des Menschensohnes willen. " Kein Zweifel, die Welt ist nicht erlöst, sie ist in vielem Gott so fern. Für Christen bedeutet dies in
vielen Ländern und zu vielen Zeiten Not und Verfolgung. Voll Sehnsucht warten diese Getauften darauf, dass sich das Reich Gottes
vollendet. Wo immer wir uns auf die Armut unseres Glaubens einlassen, werden wir dieselbe Erfahrung machen, ausgeschlossen zu
sein. Jesus preist uns dafür selig, denn nur so sind wir aufgeschlossen für das Größere, das mit dem Evangelium begonnen hat.
- Wenn man die Seligpreisungen so verstanden hat, Jesu Predigt an seine Kirche, dann braucht man über die vier Wehrufe kein Wort
mehr zu verlieren. Es ist das Weh über die, die sich von dem Geschenk ausschließen, das Gott uns in seinem Bund macht. Die
Erwähnung des Verräters Judas ist uns Mahnung nicht zu selbstsicher zu werden. Aber freuen dürfen wir uns, in der Gemeinschaft
der Apostel, in der Gemeinschaft der Getauften Anteil zu haben am Reich Gottes, am Mahl der Eucharistie, die den Menschen die
tiefste Freude schenkt: in Christus zu sehen, dass unsere Welt auferstehen kann zu Gott.