Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 7. Sonntag im Lesejahr C 2004

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22. Februar 2004 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Saul und David

  • Angenommen, Ihr Chef versucht Sie fertig zu machen. Und das aus nur, weil er paranoid ist und meint, Sie würden an seinem Stuhl sägen. In der Tat, Sie sind auch kein Engel und wollen auch Karriere machen. Aber nie haben Sie deswegen daran gedacht, Ihren Chef zu stürzen. Und dennoch setzt der Kerl Ihnen nach und versucht mit allen Mitteln Sie zur Strecke zu bringen. - Dann sind Sie in der Lage von David gegenüber Saul, seinem König
  • Es fällt schwer, kurz und bündig zu erklären, worum es in der Auseinandersetzung zwischen Saul und David geht. Im Kern aber geht es darum, dass Saul dem David, seinem jungen charismatischen Heerführer, nicht traut. Ja, Saul ist paranoid. Er wähnt sich im Recht. Er versucht David zu beseitigen und als dieser mit einigen Getreuen flieht, setzt er ihm nach. König Saul will David ein für alle Mal ausschalten und David weiß das. In der Situation erscheint es wie ein Geschenk des Himmels, dass es David gelingt, in Sauls Lager einzudringen. Die Versuchung muss groß für David gewesen sein, seinem Gefolgsmann Abischai zu erlauben, König Saul umzubringen. Aber David widersteht. Statt dessen gelingt es ihm, vor allen Leuten zu beweisen, dass er Saul nicht nach dem Leben trachtet. Er nimmt Sauls Speer und seinen Wasserkrug und beweist damit, dass er ihn hätte töten können und es dennoch nicht getan hat. So beschämt er Saul, denn David nimmt nicht selbst Rache an Saul, sondern überlässt das Gott.
  • Auch David ist kein Engel. Auch er will Karriere machen. Die beiden Bücher Samuel berichten von David nicht nur solche Großtaten, wie wir sie hier aus dem 26. Kapitel des ersten Buches gehört haben. Mit schonungsloser Offenheit haben die Bücher Samuel auch solche Berichte aufgenommen, die David als hinterlistigen Mafiosi, Ehebrecher und Mordintriganten zeigen. David ist nicht besser als Saul. Saul ist nicht besser als David. Und dennoch legt David nicht Hand an Saul. Denn Saul hat nun einmal die Funktion des Königs. Er ist der Gesalbte des Herrn, von Gott zum König erwählt.

2. Von Gott zu solchem Amt erwählt

  • Gerhard Schröder, von Gott zum Bundeskanzler erwählt. Diese Vorstellung dürfte wahlweise Heiterkeit oder Erschrecken provozieren. Der Betroffene wäre durch diesen Titel ebenso wenig geschmeichelt, wie das wahlberechtigte Volk (obwohl manche munkeln, es wäre vielleicht doch froh, jemand anders die Schuld für diese Wahl zuschieben zu können). Leute kommen auf alle mögliche und unmögliche Weise an ihre Aufgaben und Positionen. Gottes Erwählung vermutet keiner dahinter.
  • Dennoch lohnt es, diesem Gedanken nachzugehen. Denn es ist - auch beim Beispiel Bundeskanzler - unmittelbar klar, dass mit solcher Erwählung keine moralische Unbedenklichkeitsbescheinigung gemeint sein kann, weder in Bezug auf das Privatleben noch im Hinblick auf die Amtsführung. Von Gott erwählt zu sein könnte auf keinen Fall meinen, von besonderer Tugend zu sein. Wenn dieser Gedanke sinnvoll sein soll, dann kann er nur umgekehrt einen Anspruch meinen: Führe dein Amt so, dass die Amtsführung Gottes Erwählung gemäß ist. Dein Amt ist dir von keinem geringeren als Gott anvertraut, daran musst du dich messen lassen!
  • Solches Denken hätte Konsequenzen auch für die Opposition. Denn einerseits ist mit dem Amt nie und nimmer die automatische Vermutung verbunden, der Amtsinhaber müsse Recht haben oder gar untadelig sein. Andererseits geht man mit einem Erwählten Gottes anders um. Es wird auf ein Mal deutlich, dass scharfe Kritik und offene Opposition sich immer vertragen muss mit dem Respekt, der einem Erwählten Gottes gebührt. Ein wahnwitziger Gedanke, und ich vermute, dass er nicht so schnell Eingang in die deutsche Politik erhält. Manchmal sollte man das bedauern.

3. Veränderte Perspektive

  • Wie aber steht es um uns selbst. Wie würde sich unser Leben verändern, wenn wir gewahr würden, dass es Gottes Erwählung ist, die uns an den Ort gestellt hat, an dem wir sind? Als Priester kann ich Ihnen versichern, dass das ein gar nicht nur angenehmer Gedanke ist. Bei Priestern könnten nämlich Leute auf die Idee kommen, genau diesen Maßstab anzulegen. Da hilft es nicht, auf Zufälle, Ränke oder bürokratische Verfahren zu verweisen. Ich komme letztlich von der Frage nicht los, wie ich vor Gott stehe mit dem, wie ich meine Aufgabe ausführe.
  • Vom Alten Testament kann jeder lernen, mutiger Gott selbst mit dem eigenen Leben in Verbindung zu bringen. Natürlich sind 3000 Jahre seit David und Saul vergangen. Aber, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, mit der Taufe sind wir alle mit den beiden in eine Tradition gestellt: Als Glieder eines Volkes, das Gott sich erwählt hat. Der Hiwi am Lehrstuhl hat sicher selbst viel dafür getan, den Job zu bekommen. Manche Sympathien und Antipathien, vielleicht sogar kleinere Intrigen mögen eine Rolle gespielt haben. Nun aber ist er da. Als Christ sollte er sich sagen: Ich bin von Gott dazu erwählt. Das gilt für jede andere Stelle, an der Sie im Leben stehen, gleichermaßen. Allein schon das Beten würde dadurch fundamental verändert, dass wir uns verstehen als Menschen, die Gott erwählt hat.
  • Wir können aus der Bibel aber auch die Kunst der feinen List lernen. David lässt keinen Zweifel daran, was er von Saul hält. Er ist sein Feind, der ihn verfolgt. Aber dennoch weigert er sich, einen Vorteil auszunutzen, um Saul ins Jenseits zu befördern (was eine nicht unübliche Maßnahme gewesen wäre). Statt dessen verschont er Saul demonstrativ und setzt dadurch Saul ins Unrecht - indem er ihm Achtung erweist! Nicht jede Auseinandersetzung, in der wir stehen, lässt sich auf diese elegante Weise lösen. Es zeigt aber, wie man aus Respekt vor dem anderen, der sein Amt und seine Aufgabe letztlich von Gott aufgetragen bekommt, mit so einer Situation umgeht. Würden wir davon etwas lernen, es wäre schon viel gewonnen. Das Wort aus dem Evangelium könnte uns dazu ermutigen: "Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken". Amen.