Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Hochfest Allerheiligen 2011 (1. Johannesbrief)

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1. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

In "The Sixth Sense" erzählt M. Night Shyamalan von einem Jungen, der Tote sehen kann und mit der Gewalt und dem Unrecht, das diesen geschehen ist, konfrontiert wird. Ein Psychologe beginnt ihm zu glauben und hilft ihn, mit den Toten zu sprechen und sich von ihnen Wege zeigen zu lassen, wie das, was sie noch "umtreibt" beigelegt werden kann. Ein faszinierend gemachter Film, der nicht zuletzt wegen seines "modernen" Umgangs mit den Toten sehr erfolgreich war.

 

 

1. Halloween und Allerheiligen

  • Der Kontakt mit der Totenwelt ist den Menschen unheimlich. Der Mummenschanz am Allerheiligenvorabend, Halloween (All Hallows' Eve - Vorabend von Allerheiligen), hat hier seinen keltischen Ursprung. Zu Beginn der kalten, dunklen Jahreszeit erwehrt man sich in diesem heidnischen Brauch der Toten und ihrer Mächte.
  • Das Fest, an dem die Kirche die Vollendung der Vielen im Himmel feiert, wurde nicht zufällig über den heidnischen Todestanz geschoben. Die christliche Botschaft von der Gemeinschaft der Heiligen im Himmel mit den Kindern Gottes auf Erden ist unsere Antwort auf die heidnische Angst vor den Toten.
  • Unsere aufgeklärte und moderne Welt ist von den Toten noch nicht ganz losgekommen, so sehr auch das Sterben aus dem Alltag verbannt und Tote eingeäschert anonym begraben werden. Die Fragen, wo die Toten seien, und ob sie mit uns Lebenden in Kontakt stehen, werden heute irgendwo zwischen Esoterik, okkulten Praktiken und Filmphantasien verhandelt. Neugier, die Versuchung die Toten zu manipulieren, und Angst vor ihnen sind die abwechselnden Phantasien.

2. Zweifelhafter Sechster Sinn

  • Wer mag sich vorstellen, ihm würden einfältig wie einem Kind die Schatten der Toten mitten in unserer realen Welt erscheinen? Wer will sich wünschen, jenen Sechsten Sinn zu haben, der einen angeblich die Toten sehen lässt?
  • Denn was wohl als erstes aus jener Nacht zu Tage treten würde, wären all die Verletzungen, all das Unbeendigte und Ungesagte, wäre der stumme Blick derer, denen Unrecht geschehen ist, und derer, die das Unrecht, das sie getan haben, zu Lebzeiten nicht nach den Gesetzen dieser Welt gesühnt haben. Wenn die Toten - wie das in den heidnischen Mythen wohl vorgestellt ist - einfach nur schattenhaft in die Welt der Lebenden zurückkehren, dann sind die Riten verständlich, mit denen sich die frühen Kulturen ihrer zu erwehren suchen.
  • Mehr esoterisch ist die Hoffnung, es könne dann vielleicht doch gelingen, all das "gut zu machen", was im Leben schief gelaufen ist. Wäre nicht doch noch eine Versöhnung möglich? Könnte nicht doch noch dieses oder jenes Unrecht aufgedeckt werden? Ich verstehe diese Hoffnung, aber ich teile sie nicht; warum sollte uns Menschen in der Begegnung mit den Todesschatten auf einmal all das gelingen, was uns unter den Lebenden nicht gelungen ist? Nein, die modernen Totenbeschwörer und Magier nutzen nur unsere Selbstüberschätzung und unsere Ängste.

3. Die Vollendung der Vielen

  • Für uns ist Christus die Verbindung zwischen unserer Welt auf Erden und denen, die schon gestorben sind. Nicht wir müssen durch magische Praktiken, Beschwörung der Toten und Sechsten Sinn alles wieder gut machen. Gott selbst hat schon gut gemacht - für uns und die Verstorbenen. Diesseits und Jenseits des Grabens hat er uns, wie die Bibel sagt "geheiligt". Der Mensch selbst ist Gottes Heiligtum, das er bewahrt. In ihm gibt es das nicht, dass der Lebensfaden abgeschnitten werden kann, denn Christus ist das Leben.
  • Der kurze Abschnitt aus dem Ersten Johannesbrief macht das deutlich.
    • Erst: "Was wir sind": Kinder Gottes. Nach den Maßstäben menschlicher Perfektion ist das nicht zu erkennen, denn wir sind keine Übermenschen, wie sich die Heiden Gottessöhne als Halbgötter vorgestellt haben. Wir Menschen sind Kinder Gottes, weil Gott uns annimmt und wo wir uns annehmen lassen in unserer Unvollkommenheit. "Die Welt erkennt uns nicht, weil sie Gott nicht erkannt hat." Man muss Gottes Liebe geahnt haben, um zu erkennen, dass wir Kinder Gottes sind.
    • Dann: "Was wir sein werden". Hier macht der Johannesbrief keine Spekulationen über das Jenseits, sondern hält sich ganz schlicht an Gott, der uns auch hier im Leben begegnet, wenn auch vielfach verhüllt, um uns noch zu sich zu führen. "Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist." In dem Maße, in dem wir hier schon Gott in seiner Liebe erkennen, beginnt dieses "ähnlich werden" - aus der Vertrautheit mit Gott, selbst Liebe zu werden.
  • Die Brücke zu den Heiligen im Himmel ist die Heiligkeit auf Erden. Und so wie die Zahl derer im Himmel, wie die Offenbarung des Johannes sagt, unzählbar ist, so ist die Brücke aus diesem Leben in den Himmel auch jedem Menschen offen.
    "Kinder Gottes"? Die Bergpredigt sagt: "Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden."
    "Gott sehen, wie er ist"? Die Bergpredigt sagt: "Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen." Gott selbst kommt so in das Leben; nicht die Schatten der Toten, sondern das Licht des Auferstandenen. Amen.