Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Beerdigung Bonn 22. Dezember 2020

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5. August 2010 - Bonn, Stiftskirche St. Petrus

1.  Das Sichtbare

  • Das Sichtbare“, schreibt Paulus seinen guten Freunden in Korinth, „ist vergänglich“. – Er schreibt das sicher nicht leichten Herzens. Paulus war gerne sichtbar. Er hat zwar immer wieder abgewiegelt, er sei doch ganz unauffällig und ein schlechter Redner. Doch vielleicht ist er nicht der einzige, bei dem die anderen nur schmunzeln, wenn er so etwas behauptet. Nach allem, was ich von Eurer Omi gehört habe, war auch sie alles Mögliche, aber nicht „unsichtbar“; der große Auftritt war ihr eine Freude.
  • Auch für Euch macht es einen Unterschied, ob die Omi sichtbar oder unsichtbar bei Euch ist. Obwohl, selbst sichtbar ist manchmal nur ein schwacher Trost, das wissen wir mittlerweile: Liebe Menschen nur bei der Videokonferenz zu sehen, ist nur ein kleiner Ersatz für einen Besuch, eine Umarmung, ein gemeinsames Essen. Daher ist mit dem „Sichtbaren, das vergänglich ist“, diese ganze Fülle der Begegnung gemeint.
  • Das Sichtbare ist vergänglich, das Unsichtbare ist ewig.“ Sicher lieben wir die sinnliche, erfahre Begegnung. Auch Eure Omi. Aber trotzdem hätte Sie vermutlich zugestimmt. Menschen, die mit der Welt des Glaubens in Berührung gekommen sind, ahnen das. Katholiken, die in ihrem Glauben so viel haben, das man sehen, schmecken, riechen kann, all die Liturgie, Kerzen, Weihrauch, wissen es auch. Gerade dadurch, dass das Sichtbare vergänglich ist, spüren wir das Bleibende, das, was Paulus das Unsichtbare nennt. Deswegen ist für uns die Erwartung eines Besuches und die dankbare Erinnerung an eine Begegnung wertvoll.

2. Das Unsichtbare

  • Die kleine Last unserer gegenwärtigen Not schafft uns in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit, uns, die wir nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare blicken“. Das ist keine Abwertung des Sinnlichen, auch wenn Paulus immer wieder – außerhalb des Rheinlandes – von manchen so verstanden wurde. Vielmehr hat er in seinem Leben gelernt, auf Menschen zu schauen, und das Ewige in ihnen zu erblicken.
  • Paulus hat den Satz, den ihr Sohn für den heutigen Gottesdienst ergoogelt hat, in einer Zeit geschrieben, in der er selbst damit rechnen musste, bald zu sterben. Wenn Ihr heute als Familie am Sarg Eurer Omi steht und sie auf dem letzten Weg begleitet, dann kann Paulus Euch wirklich helfen. Die Tage ihres Sterbens waren für Omi Gertrud hart; dieser Virus, der der ganzen Welt zu schaffen macht, hat sie völlig unerwartet getroffen. Deswegen ist es weder für Paulus noch für uns heute „billiger Trost“, wenn wir auf das Unsichtbare blicken.
  • Vielmehr ist für Christen das Sichtbare und das Unsichtbare ganz eng verwoben. Da Gott alles geschaffen hat, die sichtbare und die unsichtbare Welt, ist Gott selbst nie sichtbar. Aber in allem, was sichtbar ist, können wir den Schöpfer suchen und finden. Gerade dann, wenn das Sichtbare zerfällt, dürfen wir daher die Hoffnung haben, dass „in maßlosem Übermaß ein ewiges Gewicht an Herrlichkeit“ in jedem Menschen tief begründet ist.
    In der Liebe, die sie zu Euch hatte und die Ihr zu Ihr hattet ist diese unsichtbare Wirklichkeit Gottes immer gegenwärtig gewesen – und ist bleibend gegenwärtig.

3. Loslassen

  • Ein letztes noch. Obwohl oder sogar weil das Sichtbare vergänglich ist, fällt es schwer, uns davon. zu trennen. Das gilt sowohl für die Dinge, mit denen wir uns umgeben, wie die Menschen, von denen wir Abschied nehmen müssen. Selbst wenn sie gerne neue, modische Kleidung kaufen (was gerade hier nicht kritisiert werden soll!), fällt es manchen dennoch schwer, das Alte wegzugeben.
  • Ich habe nie so richtig herausgefunden, woran es liegen mag, dass es manchen leichter, manchen unendlich schwer fällt loszulassen. Ein wenig mag es Übung sein, denn, wer öfters umzieht, hat meist weniger auf dem Dachboden und im Keller. Loslassen ist das, was wir alle üben müssen. Gerade dann, wenn es schwerfällt, kann es wichtig sein loszulassen. Nicht weil das Sichtbare nichts wert wäre, sondern im Gegenteil, weil wir im Loslassen einander die Freiheit geben, zu wachsen und einander neu zu begegnen. Loslassen müssen wir alle. Eure Omi lässt Euch jetzt los und bittet Euch zu entdecken, wozu Ihr nun berufen seid.
  • Jeder Mensch ist verschieden, auch Eure Omi und auch jedes ihrer Kinder und Enkel. Deswegen müsst Ihr einander helfen. Denn sichtbar wird sie nun nicht mehr unter euch sein. Es wird auch kein Telefonanruf vom Himmel kommen. Aber das, was in jeder Begegnung mit ihr möglich war, ist das Bleibende, weil es immer schon unsichtbar war: Die Liebe, die Euch verbunden hat und die sie Euch vererbt hat, damit Ihr sie einander schenkt, Euren Kindern und Kindeskindern und allen Menschen, denen ihr in Eurem Leben noch begegnen werdet und die Eure Liebe und Hilfe brauchen. Amen.