Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig Lesejahr C 2010 (Kolosser/Lukas)

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21. November 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Christ-Königs-Verfassung

  • Das Christkönigsfest ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen. Das ist es aber nicht. Da bekennen sich Menschen in unserem Land zum Königreich eines Anderen und feiern einen Anderen als den Bundespräsidenten als ihr Staatsoberhaupt - genau das meint doch der Titel "König". Eigentlich klingt das wie ein Fall für den Verfassungsschutz, wie die christliche Variante der Ausrufung einer islamischen Republik nach dem Recht der Scharia.
  • Christen machen sich das oft nicht klar. Wenn wir Christus als König bekennen, stellt das erst einmal jede andere Verfassung in Frage. Schließlich war dieser Titel "König" der juristische Grund, warum Jesus damals "ganz legal" hingerichtet wurde. Hier wird auch der Unterschied deutlich. Der Kaiser verlangte religiösen Gehorsam, das deutsche Grundgesetz heute tut genau das nicht. Weil das Grundgesetz die Freiheit des Gewissens und die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, ist es mit dem Königreich Christi vereinbar. Als die westdeutschen Länder nach der Nazidiktatur und dann die ostdeutschen nach dem Ende der DDR dem Grundgesetz beigetreten sind, waren es nicht zuletzt Christen in den Parlamenten, die davon ihre Zustimmung abhängig gemacht haben.
  • Wir Christen respektieren das Grundgesetz nicht nur, weil wir keine Mehrheit haben, eine Christ-Königs-Verfassung in unserem Land durchzusetzen. Wir würden das Grundgesetz auch dann respektieren , wenn wir die absolute Mehrheit hätten. Denn so sehr die Verfassung des Königs Christus nicht unpolitisch ist, so wenig ist es einfach eine Rechtsordnung oder eine Staatsverfassung. Vielmehr ist es eine Loyalität zu einem König und seinem Reich, die für uns immer gilt, egal wie viele Christen es gibt, ob Minderheit oder Mehrheit, ob Volkskirche oder Diaspora.

2. Artikel 1 der Verfassung

  • Wer kennt schon das Grundgesetz? Erst wenn es aufgehoben wäre, würden wir es merken: Wenn der Staat in Willkür verfallen, Recht und Gesetz nichts mehr gelten und die Würde des Menschen nicht mehr an erster Stelle stehen würde. Wie steht es mit der Verfassung des Königreiches Christi? Ich fürchte, da sind die Kenntnisse auch nicht viel größer als beim Grundgesetz. Aber das Grundgesetz der Bundesrepublik "funktioniert" über Parlamente und Gerichte auch ohne mich. Die Verfassung des Königreiches Christi hingegen hat nur Gültigkeit, wo Menschen sie in ihrem konkreten Leben anerkennen.
  • Der erste Artikel der Verfassung des Königreiches Christi lautet: Ich bin euer König und ihr mein Volk. Ich bin euer Hirte, ich bin das Leben, ich bin die Quelle und das Ziel - niemand kann euch meiner Hand entreißen. Und daher: Fürchtet euch nicht! Paulus schreibt genau das an die Christen in der kleinasiatischen Stadt Kolossä: "Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind. Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes."
  • Dies steht an erster Stelle, denn dies ist die Garantie der Freiheit und Würde. Jeder König dieser Welt würde unsere Freiheit beschneiden, um seinen Machtbereich auszudehnen. Dieser König aber hat sich für uns hingegeben. Wenn Paulus den Christen schreibt, sie seien die "Heiligen", dann nicht als Anerkennung ihrer moralischen Leistung. Auch Christen sind Sünder; gerade Christen wissen darum. "Heilig" zu sein bedeutet hier vielmehr dieses, dass im Leben und im Tod Gott uns fähig gemacht hat "Anteil zu haben" an seiner Heiligkeit. Gott hat sich in Christus unwiderruflich an unsere Seite gestellt, damit wir befreit werden von jeder Angst um uns selbst, um unser Glück, unseren Wohlstand, um unsere Macht oder unsere Stellung.

3. In der Zerstreuung

  • Dies kann nicht verordnet werden. Diese Freiheit kann ich mir nur schenken lassen und selbst annehmen. Daher kann dies auch kein noch so christlicher Staat gewährleisten; fast möchte man sagen: im Gegenteil! Christliche Staaten und volkskirchliche Kulturen stehen besonders in der Gefahr, das Königreich Christi an Äußerlichkeiten festzumachen und den Glauben durch andere 'für sich erledigen' zu lassen, wie man sich für das Grundgesetz der Bundesrepublik nicht sonderlich interessiert, wenn man für Politik nichts übrig hat.
  • Die Verfassung des Königreiches Christi muss jeder für sich annehmen, sonst geht es nicht. Zu glauben bedeutet doch genau dies: sein Vertrauen auf die Gegenwart Gottes setzen, der sich in Jesus Christus uns Menschen gezeigt und als sein Volk berufen hat. So sehr ich aber nicht andere für mich glauben lassen kann, so sehr brauche ich doch andere, wenn ich glauben will. Denn das wird in Christus offenbart: Gott will Gemeinschaft schenken, auf die ich in meinem Leben bauen kann. Gemeinschaft aber kann ich nicht für mich allein machen.
  • Der Sonntag Christkönig fällt mit dem Diaspora-Sonntag zusammen. Wie wir gesehen haben, passt das sehr gut. "Diaspora" ist griechisch und heißt "Verstreutheit". Als Christen sind wir verstreut unter alle Völker mit ganz verschiedenen politischen Verfassungen. In Gegenden, in denen Christen eine kleine Minderheit sind, erleben wir das besonders. Gerade dort können Christen erfahren, wie befreiend die Gemeinschaft des Glaubens ist. Durch die gemeinsame Feier des Gottesdienstes, durch das Wissen um das "Besondere" des Glaubens, durch die Angewiesenheit auf die große Gemeinschaft der Kirche über alle Grenzen hinweg, können sie erfahren, wie der Glaube befreit, in dem wir uns diesem König unterstellen, der nicht nach den Gesetzmäßigkeiten von Herrschaft und Unterdrückung regiert, sondern an der Seite der Verbrecher ohnmächtig ist in seiner Liebe - und der dem an seiner Seite dennoch sagen kann:"Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein."