Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Sonntag Christkönig im Lesejahr B 2012 (Daniel/Johannes)

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25. November 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Mit dem Herzen sehen

  • "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Der Satz aus "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry kommt/kam in der Kirche für manche knapp hinter der Bibel - oder knapp davor. Der Satz fasst die Weisheit des Helden dieses berühmtesten Büchleins der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts zusammen: Nur mit dem Herzen, sieht man gut.
  • Allerdings: Automatisch gut sieht man auch mit dem Herzen nicht. Ein Herz kann auch hart, bitter und vor allem eng sein. Dann mag es zwar das Wesentliche sehen, aber es dennoch verfehlen. Deswegen bin ich höchst skeptisch, wenn das Herz, das Gewissen oder wie auch immer man dieses innere, geistige Organ des Menschen nennen mag, zum höchsten Maßstab erhebt oder meint, es allein biete bereits Gewähr dafür, immer richtig zu sehen.
  • Für den heutigen Sonntag, an dem die Kirche das Christkönigfest feiert, stellt sich die Frage so: Was sehe ich mit dem Herzen, wo das Auge den Gekreuzigten sieht? Was sieht mein Herz hier, angesichts des Kreuzes, wo alle äußeren Maßstäbe nur das Ende und das Scheitern sehen?

2. Vision eines Reiches

  • In der ersten Lesung haben wir von einer nächtlichen Vision gehört. Das Danielbuch stammt aus einer Zeit, als dem Volk Israel die Gewissheit zu schwinden drohte, dass Gott noch bei ihm ist. Im Tempel zu Jerusalem, dem zentralen Ort der Gottesbegegnung, haben fremde Herrscher ein Götterbild des Zeus aufgerichtet, und der eine, wahre und lebendige Gott, der Gott Israels scheint machtlos.
  • Machtlos schien Gott nicht nur gegenüber der militärischen Herrschaft von außen. Machtlos schien Gott vor allem gegenüber der hellenistischen Kultur, die gebildet und technisch fortschrittlich war, die den Menschen und seinen Körper auf den Altar erhob, die mit ihren Wirtschaftsstrukturen erfolgreich war und alles bestimmte. Der heidnische Zeus im jüdischen Tempel war nur das krönende Symbol, dass Gott entmachtet zu sein schien.
  • Daniel sieht das mit seinen Augen. Sein Herz jedoch ist von der Gegenwart Gottes berührt und geformt. Deswegen sieht er in einer Vision, die Gott ihm schenkt, tiefer. Er sieht, dass im letzten die Macht bei Gott liegt. Von ihm, Gott, her kommt "einer wie ein Menschensohn". Was genau im Buch Daniel damit gemeint ist, bleibt dunkel. Deutlich ist aber: Das, was es bedeutet, Mensch zu sein, wird uns von Gott geschenkt. Das Menschenkind, das hier genannt ist, kommt mit den Wolken des Himmels. Die Würde erhält es von Gott. Was immer menschliche Macht behauptet und will: Vom Ende der Zeit und aus der Perspektive Gottes wird sich eine andere Herrschaft als mächtig erweisen. "Sein Reich geht niemals unter".

3. Siegreicher König auf dem Kreuzesthron

  • Und doch wird der Menschensohn vor das Gericht der Menschen gezerrt. Jesus steht vor Pilatus. "Bist du der König der Juden?" Pilatus, Statthalter des Kaisers der Römer, denkt in seinen Kategorien. Er schaut auf diese jämmerliche Gestalt aus diesem Volk der Juden, das er verachtet. "Bist du der König der Juden?"
  • Das Wesentliche ist für Pilatus unsichtbar. Dem Johannesevangelium scheint es vor allem auf die verschiedenen Perspektiven anzukommen. Wer aus der Verheißung des Alten Testamentes lebt, würde immer vom "König Israels" sprechen. Pilatus distanziert sich davon, wenn er sagt: "Dein eigenes Volk und die Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert". Er sieht nur in den Kategorien seiner Politik. Für ihn ist das alles nur Religion und Brauchtum, mit dem er nicht viel anfangen kann, weil es ihm lediglich Ärger und keinen Vorteil verheißt.
    Nur wer Teil des Volkes Gottes ist, nur wer mit seiner eigenen Existenz Teil der Hoffnung ist, kann überhaupt die Frage ermessen, ob Jesus ein König sei. Kann der ausgelieferte, geschundene, verratene Mensch trotz all dem oder vielleicht sogar in all dem der von Gott verheißene wahre "König Israels"sein, der "Menschensohn auf den Wolken des Himmels" (so Mt 26,64)?
  • "Was ist Wahrheit?", fragt Pilatus, und wird es doch nie verstehen. Solange er nicht in die Wahrheit der Gegenwart Gottes involviert ist, bleiben ihm nur das eigene Kalkül, das über sich keine Wahrheit kennt. Das Herz kann die Wahrheit Gottes nur sehen, wenn es sich involvieren lässt, wenn der Mensch selbst dabei ist und nicht nur skeptisch-kühl von außen urteilt. Das Herz lässt sich involvieren.
    Auch das ist noch nicht die Gewähr dafür, richtig zu sehen, wie wir am Skandal der Leugnung und Vertuschung von Gewalt in der Kirche eindrucksvoll gesehen haben. Auch wer sich in die Bewegung des Gottesvolkes und der Kirche involvieren lässt, muss immer und immer wieder die Geister unterscheiden, denn noch ist das Reich Gottes mit dieser Welt verwoben. Die Visionen vom Ende der Zeit wie im Danielbuch machen genau auf diesen Unterschied aufmerksam. Dennoch aber öffnet sich erst da die Chance für das Herz, wo es sich gefangen nehmen lässt von der Vision, dass Gott in Wahrheit Schöpfer und König der Welt ist - und seine Herrschaft nirgends anders antritt, als im Dunkel des Kreuzesthrones. Amen.