Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr A) 2007
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30.12.2007 - Universitätsgottesdienst St. Antonius Frankfurt
1. Aufbruch
- Wer schmerzresistent ist und den Horror nicht fürchtet, möge in
die USA fahren und dort eine der deutschsprachigen Radiostationen hören.
Die Sender werden von deutschen Auswanderern gehört. Was da gesendet
wird, ist ungedämpfter Mief der 50er Jahre. Man fragt sich, ob die Auswanderer
das nur hören, um sicher zu gehen, dass sie nie mehr dahin zurück
wollen. Es steht aber zu befürchten, dass sie das gerne hören. Das
ist doch die alte Heimat, romantisch verklärt und konserviert. Und so
werden sie auch ihr Leben in der Neuen Heimat einrichten.
- Wir können das Alte nicht festhalten. Wer es dennoch versucht, wird
schnell zum Autokrat. Nur Autokraten schaffen es, in einer Scheinwelt zu leben,
in der sie nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich die Menschen um sie herum
verändern, dass neue Menschen hinzukommen und sie selber sich ändern.
Autoraten sind Selbstherrscher die nichts gelten lassen wollen als den eigenen
Willen.
- Dagegen hilft nur der Aufbruch. Wer die alte Heimat nicht nur äußerlich
verlässt, sondern auch innerlich aufgibt, kann in sich und anderen das
entdecken, was daheim in den festgefahrenen Gleisen hinabgedrängt wird.
Der klassische Weg zur Freiheit dagegen führt in die Leere, in die Wüste.
2. Asyl
- Die Familie Jesu flieht nach Ägypten. Das ist das Evangelium vom Fest
der Heiligen Familie. Zum Glück, möchte man sagen, weil damit gegen
die Anlage des Festes zum Familienkitsch vorgebeugt werden kann. Denn in diesem
Evangelium geht es nicht um die Familie, sondern um Jesus. Die ganzen ersten
beiden Kapitel des Matthäusevangeliums versuchen deutlich zu machen,
wie sehr Jesus Christus verwoben ist mit der Geschichte Israels als Volk Gottes.
In Christus wird diese Geschichte zusammengefasst und erfüllt. Maria
und Joseph sind dabei fast Randfiguren, die es braucht, damit der neue Sohn
Gottes in die Geschichte eintreten kann.
- Israel erleidet das Schicksal der Menschheit. In Jesus, dem Herrn, verdichtet
sich das. Deswegen hilft ein solches Evangelium immer, um die Menschheit und
die Menschen in den Blick zu nehmen - und nur in diesem Blick verstehen wir
die Heilige Schrift. "Aus Ägypten holte ich meinen Sohn" fasst
das Evangelium zusammen, was die dramatische Geschichte der Volkwerdung Israels
war. Hier erst konnte es werden, aus der Erfahrung der Unterdrückung
und dem Schritt hinaus in die Wüste. Man hätte die Unterdrückung
in Ägypten ertragen können, wie so viele Sklaven zuvor und danach.
Zumindest zu essen gab es doch genug. Als Gott Mose berief, das Volk herauszuführen,
konnte es zum Volk Gottes werden. 40 Jahre in der Wüste hat es gebraucht.
Und auch im neuen Land, im gelobten Land war immer wieder die Versuchung,
doch nur wieder die alten Gesellschaftsstrukturen und ihre Götter nachzubilden,
die man aus Ägypten noch kannte.
- Hinter der Bibel steht Schicksal von Menschen. Diese durften ihr Schicksal
begreifen als Gottesbegegnung. Von dort her wird klar, welche Bedeutung für
unseren Glauben heute die Menschen haben, die nicht nur metaphorisch, sondern
am eigenen Leib das Schicksal erleiden: auf der Flucht zu sein vor der Unterdrückung;
fliehen müssen, um Freiheit zu finden. Millionen von Flüchtlingen
in aller Welt, zehntausende die bei uns Asyl suchen. In ihnen sehen wir Israel,
das geflohen ist. In ihnen sehen wir Jesus, Maria und Joseph, die vor dem
Tyrannen Herodes fliehen. An dieser Realität vorbei lässt sich nicht
christlich glauben.
3. Topographie des Heils
- Jeder kann dankbar sein, wenn er nicht aus der Heimat vertrieben wird. Als
Christen jedoch kommen wir nicht darum herum, selbst aufzubrechen. Von der
Heiligen Schrift her verweben sich daher Schicksal und Berufung. Mit denen,
deren Schicksal der Verlust der Heimat ist, sind alle Getauften berufen aufzubrechen.
Wer das Evangelium vom Anfang zum Ende liest, wird diese Dynamik dort eingeschrieben
finden. 'Es soll alles so bleiben, wie es war' ist nicht christlich. Es kann
sogar ein Geschenk sein, aus den alten Bahnen herausgerissen zu sein, sei
es durch politische Verfolgung, sei es durch Krankheit, sei es durch eine
Erfahrung der Größe Gottes.
- Nicht immer ist es so dramatisch. Vielleicht kann aber doch jeder in der
eigenen Biographie eine solche Erfahrung lokalisieren. Etwas, das ich mir
nicht ausgesucht habe und nie aussuchen würde, ist doch ein Geschenk,
um zu entdecken wie viel größer Gott und wie viel größer
meine Berufung ist, als ich mir das 'zu Hause' je hätte vorstellen können.
Verlust kann so - im Rückblick - als Gewinn entziffert werden, in
der glaubenden Relecture des eigenen Schicksals.
- Das Alte bleibt verlockend. Selbst Jesus muss noch die Trennung von seiner
Familie durchleiden, um die eigene Berufung zu entdecken und ihr zu folgen.
Den Ziehvater Joseph wird er früh verloren haben. Von der Mutter trennt
er sich, um die neue Familie, Schwestern und Brüder im Reich Gottes,
möglich zu machen. Die Versuchung ist bleibend, doch alles so einrichten
wie es früher war. Aber auch hier ist mir das Detail im Evangelium ein
Hinweis, dass Jesus nach der Rückkehr aus Ägypten nicht in die Davidstadt
Betlehem zurück kann, sondern nach Nazareth muss, ein billiger Flecken
weit weg von Jerusalem. Betlehem verlassen, den Weg durch die Wüste gehen,
in Nazareth neu anfangen und dabei Jerusalem im Blick. Das ist die Topographie
des Heils. Einfach nur voll weihnachtlicher Wohligkeit in Betlehem bleiben
ist nicht drin. Amen.