Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr B) 2008

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28.12.2008 - Hochschulgottesdienst St. Antonius, Frankfurt

1. Unproportionales Vertrauen

  • Die Geschichte des Heils beginnt mit einer Familie. Und sie beginnt mit einem eklatanten Widerspruch. Dem kinderlosen Paar Abram und Sara wird verheißen: "Sieh doch zum Himmel hinauf, und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst. So zahlreich werden deine Nachkommen sein." Zugleich aber wird ihnen gerade mal ein Kind geboren. Der Anfang ist nicht nur bescheiden; er ist völlig unproportional. Und doch heißt es von Abram, er "glaubte dem Herrn".
  • Mehr als ein Kind haben auch Maria und Joseph nicht. Und dennoch bringen sie das einzige Kind zum Tempel, um es ganz und gar Gott anzuvertrauen. Sie wissen (Maria zumal), dass sie ihr Kind von Gott geschenkt bekommen haben. Ihr Glaube besteht darin, alles was sie haben, Gott anzuvertrauen - nicht wissend, was aus dem Kind und ihnen selbst werden wird.
  • Das zusammen macht die Heilige Familie. Das Unproportionale und das Vertrauen. Objektiv gesehen ist ein Kind nicht viel. Und doch steht die Verheißung, dass daraus ein Volk wird, zahlreicher als die Sterne am Himmel. Von außen gesehen sollten die Eltern auf ihr Kind gut aufpassen und kein Risiko eingehen. Die glaubenden Eltern aber lassen sich auf das Abenteuer ein, ihr Kind Gott anzuvertrauen.

2. Unproportionale Erwartungen

  • Mit Unproportionalem kennen wir uns aus. Das erste Opfer von unproportionalen Erwartungen sind Ehe und Familie. Ihnen wird die Last der Erwartung aufgebürdet.
  • Vor zweihundert Jahren begann der Prozess der Industrialisierung. Bis dahin war es die Regel, dass Leben und Arbeiten im selben Haus oder Hof stattfanden, dass mehrere Generationen zusammen lebten und die einzelne Familie fest (sehr fest!) eingebunden war in die Sippe und das Dorf. Dann ging der Vater zur Arbeit außer Haus, wurde aus der Sippe die immer kleinere Familie, wurde das Leben komplizierter und musste der Einzelne selbst sein Leben gestalten. Das hat uns die Freiheit der modernen Welt gebracht, die ich nicht missen möchte. Freiheit aber belastet auch. Und diese Last sollen immer mehr das eheliche Glück und die Familie ausgleichen. Kein Wunder, dass sie daran so oft zerbrechen.
  • Das Fest der Heiligen Familie ist ziemlich parallel zu diesem Prozess entstanden. Die Verehrung beginn erst in der Neuzeit und kommt so richtig erst in Gang, als die Industrialisierung um sich greift. Erst 1920 wurde das Fest auf den heutigen Termin gelegt. Die Verehrung beginnt bei einfachen Christen und Ordensgemeinschaften. Erst ganz zum Schluss wird es von einem Papst bestätigt. Damit hat der lebendige Glaube reagiert auf die Nöte der Zeit. Der Blick auf die Heilige Familie soll helfen, heute als Familie zu leben. Dabei sollen nicht die Erwartungen unproportional sein - sondern der Glaube, wie ihn Abram und Sara, Maria und Josef gelebt haben.

3. Neue Familie

  • Denn im Blick auf Zimmermannsfamilie finden sich viele wieder. Zwar waren auch Jesus und seine Eltern sicher eingebunden in eine Sippe; mehrfach taucht die Sippe ("seine Brüder") im Neuen Testament auf(1) . Aber das Bild der gefährdeten Kleinfamilie hat eigene Kraft. Denn keine heile Welt macht die Heilige Familie aus. Jesus wird in Armut geboren und schon der Kindermord zu Betlehem zeigt an, wie sehr diese Familie die volle Wucht der Gewalt erleben muss.
  • "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen." Dieses Wort des greisen Simeon steht über Maria. Joseph dürfte früh gestorben sein. Jesus wird von daheim fortgehen, wird selbst zölibatär bleiben und sich auch deutlich von seiner Mutter distanzieren. Unter dem Kreuz wird Maria stehen müssen. All das klingt schon in dem heutigen Evangelium an. Denn durch die Darbringung des gerade geborenen Kindes vertraut Maria ihren Sohn Gott an. Von nun an geht es Wege, die zu verstehen auch die Mutter erst unter Schmerzen lernen muss.
  • Es sind aber Wege des Heiles. Denn durch dieses Kind will Gott eine neue Familie gründen. Es ist nicht mehr die Familie der Blutsverwandtschaft. Selbst die große Familie des Volkes Israel ist noch zu klein. Es ist die Familie derer, "die das Wort Gottes hören und danach handeln" (Lk 8,21). Das aber ist das Geheimnis der Heiligen Familie. Sie ist sich selbst nicht genug. Sie beschränkt sich nicht auf das häusliche Glück. Sie vertraut sich Gott an, wissend um das Schwert, das der Mutter durch die Seele dringt. Aber gerade, indem die Mutter das Kind hergibt, wird sie es gewinnen. Denn der Sohn wird sie und viele andere, auch uns, zu dem einen Vater aller Menschen führen. Die Erwartungen an diese Familie sind unproportional; sie sind ungleich höher als das bisschen Geborgenheit, das wir von der heimischen Familie erwarten. Aber die höhere Erwartung ist ja nicht, dass wir durch unsere Kraft die böse Welt vor die Haustüre verbannen, sondern dass Gott selbst durch uns in die Mühsal des Lebens steigt, um mit seiner Liebe alles zu umfangen. Amen.

Anmerkung

1. Die antiken Sprachen kennen das Wort "Familie" in seiner heutigen Bedeutung (Eltern plus Kinder) nicht einmal. Das lateinische Wort Familie stammt von famulus (der Haussklave) und bezeichnet ebenso den häuslichen Herrschaftsverband wie das im Neuen Testament gebräuchliche oikos (Haus). Daneben gibt es nur noch verschiedene Ausdrucksweisen für Sippe, aber kein eigenes Wort, das die Familie im modernen Sinn bezeichnet.

Anmerkung

1. Die antiken Sprachen kennen das Wort "Familie" in seiner heutigen Bedeutung (Eltern plus Kinder) nicht einmal. Das lateinische Wort Familie stammt von famulus (der Haussklave) und bezeichnet ebenso den häuslichen Herrschaftsverband wie das im Neuen Testament gebräuchliche oikos (Haus). Daneben gibt es nur noch verschiedene Ausdrucksweisen für Sippe, aber kein eigenes Wort, das die Familie im modernen Sinn bezeichnet.