Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr C) 2024

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29. Dezember 2024 - St. Cyriakus, Habitzheim

1. Heile Welt

  • In der Bibel finde ich wenig "heile Welt". Vielmehr wird dort die Welt beschrieben, wie sie ist, angefangen vom Brudermord in der ersten Menschenfamilie.
  • Daneben steht viel darüber, wie die Welt sein könnte, wenn wir Menschen mehr auf Gott vertrauen würden als auf die eigene Macht und Größe. Lesen Sie die Bibel als Buch der Menschheitsgeschichte im Ringen darum, wie sie sein könnte - wie wir hoffen, dass sie sein könnte.
  • Die Heilige Familie ist keine heile Familie. Sie ist zerrissen von Anfang bis Ende, von der Geburt im Elend im Stall bis zum Tod des als Verbrecher verurteilten Sohnes. Aber gerade diese Familie, diese Geschichte wird dort heilig, wo sie sich Gott öffnet. "Heilig" ist nicht "heile, heile".

2. Wallfahrt mit Katastrophe

  • Von der Rolle des Zwölfjährigen wird noch die Rede sein. Zunächst aber lohnt ein Blick auf die Szenerie.
  • Eine Gruppe aus Nazareth - Nachbarn, oft Verwandte - pilgert gemeinsam zum Fest nach Jerusalem. Es ist der gemeinsame, befreiende Ausbruch aus der Enge der Kleinstadt und dem bedrückenden Alltag. Die Wallfahrt ist ein Fest, gut 120 km Fußweg in eine Richtung, eine gute Woche, über 2.000 Höhenmeter hinauf zum Zion. Dann das Fest in der Stadt und der Rückweg. Bei aller Mühsal des Weges - was muss das für ein Erlebnis sein, einmal im Jahr.
  • In dieses Fest bricht der Alptraum einer Mutter ein: Der noch halbwüchsige Knabe, den sie in der großen Gemeinschaft gut aufgehoben wähnten, ist nicht da. Und das wird erst nach drei Tagen bemerkt. Eine überstürzte Rückkehr und drei Tage verzweifelter Suche. Heile Welt? Nein, eher ein Stück harte Realität so vieler Familien, die unterwegs zerrissen werden, zerbrechen, sehnsüchtig suchen, zueinander zu finden.

3. Wo die Glocken hängen.

  • Nach drei Tagen finden die Eltern Jesus im Tempel. In einer Weise, die nicht jeder als feinfühlig bezeichnen würde, antwortet der Knabe auf den Vorwurf der Mutter: "Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?" Diese Antwort eines Zwölfjährigen steht im Evangelium, weil sie ankündigt, was der Erwachsene leben und sagen wird.
  • Für Jesus wird sich zeitlebens alles daran entscheiden, ob er im Vertrauen auf Gott lebt und handelt oder im Vertrauen auf menschliche Macht und menschliche Strukturen - und seien sie uns noch so heilig. Ausdrücklich mit Blick auf die Familie wird Jesus später sagen: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34) Wenn einige in der Familie den guten Ruf oder den Zusammenhalt der Familie über das Vertrauen auf Gott und Gottes Gerechtigkeit stellen, dann ist das Evangelium nicht der Kitt für brüchige Familienstrukturen, sondern der Konflikt - der heilsame, klärende Konflikt, das Schwert.
  • Ganz am Ende des Abschnitts heißt es von dem Knaben Jesus, er sei mit seinen Eltern nach Nazareth zurückgekehrt und habe ihnen gehorcht. Maria aber, die diese dramatischen Ereignisse nicht vergisst, sondern immer wieder in ihrem Herzen bewegt, erinnert sich: Jesus hat seinen himmlischen Vater an die erste Stelle gesetzt. "Wusstet ihr das nicht?", hatte er sie gefragt. Erst wenn klar ist, wo die Glocken hängen, ist Gehorsam möglich und sind Strukturen denkbar, auch solche, die als einengend empfunden werden. Aber eben nur dann, wenn klar ist: Gott und seine Gerechtigkeit sind der Maßstab über allem. Amen.