Predigt zu Karfreitag 2003
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18. April 2003 - Blitzingen/Oberwallis
"Im Rückblick erscheint es als die
erstaunlichste Leistung christlicher Gotteslehre, den Gott Israels, der
als Gott eines kleinen, machtlosen Volkes und eines Gekreuzigten in die
Geschichte getreten war,
in jeder Epoche neu als äußerste Steigerung und Überbietung der
wechselnden weltlichen Wahrnehmung des Mächtigen ausweisen zu können.
(...) Dass Gott ein allmächtiges Wesen sei, ist, so scheint
es, zumindest für dem Christentum entfremdete Menschen das Einzige, was
von ihrem Wissen von Gott zurückgeblieben ist - und häufig der Grund
dafür, dass sie mit diesem Gott nichts mehr anfangen
können." Ruster, Thomas: Der verwechselbare Gott. Freiburg 4 /2001,
S.12.
1. Wie kann ein allmächtiger Gott das
zulassen?
- Wie kann Gott das zulassen? All die Gewalt, all das Böse, all die
Krankheit, all die unschuldigen Opfer? Auch wer vorschnell meint, im
Irak sei der Krieg
"nicht so schlimm" gewesen, sollte die Augen offen halten angesichts all
der Kriege, die nicht live übertragen werden und angesichts all der
Saddam Husseins,
die in anderen Ländern noch ihre Kerker weiter betreiben. Die Berichte
vom Leiden und Sterben Jesu halten uns in ihrer Nüchternheit die
Realität vor Augen.
Wie kann ein allmächtiger Gott das zulassen? Der Frage ist nicht
auszuweichen.
- All die Antworten der Gelehrten vermögen bestenfalls auf dem
Papier zu überzeugen. Es sind Sätze, die sich schreiben und in der
Abgeschiedenheit einer
Bibliothek lesen lassen. Wem diese Frage, "Wie kann ein allmächtiger
Gott das zulassen?", ins Angesicht gestellt wird, der kann sie nicht mit
Sätzen aus
Büchern beantworten.
- Wie kann ein allmächtiger Gott das zulassen? Mir scheint eine
Antwort unmöglich. Mir scheint nur eine Feststellung möglich: Da ist
kein allmächtiger Gott.
2. Kein Allmächtiger Gott
- Am Kreuz ist nicht nur ein Mensch gestorben. Nicht nur ein Mensch
ist hier als Sinnbild und Exemplar unter vielen gestorben. Am Kreuz ist
Gott gestorben.
Da ist kein allmächtiger Gott, da ist nur das erbärmliche Sterben, das
fassungslose Schweigen. Die Rede von Gott, dem Allmächtigen verstummt.
- An diesem Kreuz sterben alle Hoffnungen und Phantasien auf
Allmacht und göttliche Herrschaft. Haben wir gehofft, dass Gott die
Menschheit erzieht zu
moralischem Verhalten? Haben wir gehofft, dass Vertrauen in Gott ein
glückliches Leben verheißt? Haben wir gehofft, dass die Kirchen wieder
voll werden
und der Name Christi wieder jenen triumphalen Klang haben würde, den er
in Erinnerung der Alten früher gehabt habe?
- Die US-Amerikaner scheuen sich nicht, auf ihre Geldscheine zu
schreiben "In God we trust - Auf Gott vertrauen wir". Sie zeigen sich
darin als die wahren
Europäer. Das alte Europa hatte diesen Spruch über den Thron seiner
Könige geschrieben und auf die Koppeln der Soldatenuniformen. Und auch
wenn das
alte Europa seinem Gott längst andere Namen gibt: Franken oder Euro,
Fortschritt oder Aufklärung, Humanität oder Koalition der Friedfertigen,
Medizin
oder Fitness, auch wenn diese Götter nicht mehr Gott genannt werden: an
die Allmacht dieser Götter glauben all ihre Verehrer. Ein
allmächtiger Gott im
Himmel aber ist uns vielfach widerlegt.
3. Ohnmächtiger Gott
- Ein allmächtiger Gott im Himmel aber ist uns am Kreuz widerlegt;
da ist kein allmächtiger Gott. Da ist Gott gestorben und mit ihm all
unseren Vorstellungen
von Allmacht und Macht.
- Darin, darin allein besteht das Geheimnis,
- warum Menschen nicht nur auf Ostermärschen den Frieden
beschwören (zu dem sie selbst nicht viel beitragen) und sich so wenn
schon nicht mächtig,
so doch allseitig im Recht glauben,
- oder warum Menschen anderen Orts den schnellen Sieg feiern (der
nur wahr ist, wenn die Kamerateams aus dem Irak so schnell abgezogen
werden wie
aus Afghanistan) und darob erstaunen, was eine schier allmächtige
Militärmaschinerie in 26 Tagen vermag,
- sondern warum Menschen rund um diesen Globus in stiller
Verbeugung vor das Kreuz treten und es verehren.
- Denn vor diesem Zeichen ist nicht nur die Allmacht Gottes
gebrochen. Es sind zugleich auch all unsere Götterbilder entlarvt, die
unsere Allmachtsphantasien
widerspiegeln. Was bleibt ist ein am Kreuz ohnmächtiger Gott, der sich
ein Volk erwählt hat. Der falsche Gott, den wir verehren, ist am Kreuz
gestorben.
Was bleibt sind wir als Teil jener Gemeinschaft der Kirche, der dieser
Gott seine Ohnmacht zumutet als Zeichen des Heils. Was bleibt ist ein
Volk, das am
Baum des Kreuzes den Menschen sieht, der Gott ist, um das Leben durch
die Opfer menschlicher Allmacht hindurch zu retten. Amen.