Predigt zum Jahresschluss (Gedenktag des Hl. Silvester)
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31. Dezember 2022 - St. Peter, Sinzig-Westum
1. Blick zurück
- Was kann eine Jahresschlusspredigt am Ende dieses Jahres sagen, das nicht in den letzten Tagen von ganz vielen schon gesagt wurde? Dass es ein Jahr der sich überschlagenden Krisen war. Dass es dennoch die Erfahrung gewesen ist, wie die Guten zusammenstehen. Dass wir nicht aufgeben, auf Frieden zu hoffen. – Das lässt sich alles wiederholen und es ist nicht ganz falsch. Aber steckt dahinter die Hoffnung, dass es wieder so wird, wie es war? Gott bewahre!
- Viele von uns sind aus der Generation, die irgendwann angefangen hat ihre Eltern zu fragen, was sie damals gemacht haben, als Deutschland nicht nur die Ukraine, sondern halb Europa mit einem Angriffs- und Vernichtungskrieg überzogen hat, als wir nicht nur in der Ukraine die Zivilbevölkerung bombardiert, sondern ganze Volksgruppen systematisch vernichtet haben oder vernichten wollten. Das waren nicht die Nazis von einem fernen Stern, sondern Menschen aus unserem Land, unserem Ort – auch unseren Familien. Gute alte Zeit?
- Vor ein paar Jahrzehnten war uns klar, dass wir dahin nicht zurückwollten, in diese finsteren Zeiten. Doch wie werden spätere Generationen über unsere Zeit urteilen, als wir so viele Möglichkeiten hatten, wie keine Generation vor uns. Werden sie uns fragen, warum wir sehenden Auges den Planeten in weiten Teilen unbewohnbar gemacht haben? Warum wir riesige Anbauflächen für unseren Fleischkonsum nutzen während Menschen nach wie vor verhungern? Warum in Deutschland immer noch rund einhunderttausend Kinder jährlich vor der Geburt abgetrieben werden? Ich bin mir nicht sicher, dass künftige Zeiten über uns gnädiger urteilen werden, als wir. Wenn ich Schülern heute sagen muss, dass bis 1996 in Deutschland nach § 175 StGB Homosexuelle diskriminiert wurden, dann haben sie kein Verständnis dafür, dass wir dagegen nicht auf die Straße gegangen sind. Bei Gewalt gegen Frauen und Kinder sieht die Bilanz nicht besser aus. Wollen wir wirklich zurück in die angeblich besseren Zeiten?
2. Gelebtes Leben
- Was also kann eine Jahresschlusspredigt am Ende dieses Jahres sagen? Mit der Aufzählung, was unsere verschwiegenen kollektiven Sünden sind, will ich nicht die Silvesterstimmung vermiesen. Ich will nur sagen: Zurück ist keine Option. Einfach nur wie vor Corona und vor dem Ukrainekrieg und vor der Ahrtalflut – das ist kein Ziel, das wir haben sollten.
- An dieser Stelle kann eigentlich nur eines richtig sein: Uns in dieser Stunde und als die, die wir sind, dem Wort Gottes stellen. "Die, die wir sind" heißt doch im Blick auf hier realistisch: Die große Mehrheit von uns heute Abend Menschen über 60 oder über 80 Jahre alt. Menschen mit Narben aus unserer Biographie, aber vielleicht auch mit Dingen, an die wir uns dankbar erinnern, die gelungen sind. Für viele von Ihnen ist es ganz wichtig, auf Kinder und Enkel zu schauen.
- Aber genau da wird es konkret. Ist es die Zeit zu erzählen, wie früher alles anders, besser gar gewesen sei? Ganz sicher nicht. Haben wir Lebenserfahrung und Lebensweisheit, die wir weitergeben sollten? Warum, werden die Jungen fragen, habt Ihr aus Eurer Weisheit so wenig gemacht? Ist es an uns, den Glauben weiterzugeben, der uns in unserem Leben getragen hat? Wenn das bis jetzt nicht gelungen ist, dann wird es auch jetzt nicht mehr funktionieren, den Glauben unserer früheren Jahre oder die Kirche die wir nach dem Konzil mitgeprägt haben, wiederzubeleben. Es mögen gute Jahre gewesen sein. Aber sie sind vorbei.
3. Berufung im Alter
- Vielleicht ist es genau das: Dass wir Alten jetzt nicht auf die Jungen schielen. Dass wir nicht ihre Zukunft an unserer Vergangenheit messen. Sondern dass jede und jeder von uns sich die Frage stellt: Und wozu beruft mich Gott jetzt in diesem neuen Jahr?
- Mir scheint, dass es im Alter die Gefahr gibt, immer mehr um sich selbst zu kreisen. Es werden so viele Kleinigkeiten des Alltags wichtig – mühsam und wichtig – dass wir in Gefahr sind, alles auf uns und unsere Mühen zu beziehen. Gerade auch die Sorge für andere, für die Kinder und Enkel, steht in der Gefahr, unter der Hand viel zu sehr uns selbst im Blick zu haben und nicht, was die anderen brauchen und wollen. Alle, die sich sicher sind, dass sie damit nicht gemeint sind, können entspannt sein. Wir anderen aber sollten uns überlegen, was unsere Berufung ist.
- Der größte Dienst, den wir als alt gewordene Christen tun können, ist Loslassen. Das ist weder passiv noch resignativ. Das bedeutet größte Anstrengung und vor allem das Vertrauen, dass Gott auch ohne uns zurechtkommt. Es kostet viele von uns viel Kraft, nicht gebraucht zu werden und doch zufrieden zu sein. Wir dürfen, wenn wir alt und gebrechlich sind, zur Last fallen – aber durch unser Alter und unsere Gebrechlichkeit, nicht durch unsere Besserwisserei. Wir dürfen, wenn es so weit ist, unseren Kindern und Enkeln die Mühe zumuten, unser Grab zu pflegen. Denn auch das kann Teil des Vertrauens sein, das wir in die Zeit haben, die nach uns kommt. Es wird nicht mehr sein, wie es früher war. Es wird vor allem nicht mehr immer mehr von allem sein, sozialer Aufstieg, längere Reisen, mehr Energieverbrauch, mehr Wohlstand. Das ist vorbei. Es bringt nichts, der Vergangenheit hinterherzurennen – nicht den jetzt Alten, nicht den jetzt Jungen. Die Zeiten werden andere sein. Aber sie können Zeiten sein, die Gott anvertraut sind. Und den Menschen, die sie leben werden.