Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr A 1993 (Genesis)

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7. März 1993 - St.Mauritius, Richterich

1. Fastenzeit

  • Wenn wir sie nicht ganz ignorieren, so sollte uns doch eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der Fastenzeit befallen. Zu welchem Ziel heben wir diese 40 Tage aus dem Lauf des Jahres heraus?
  • Vollends bei dem Versuch, die Texte der Kirche, die Lesungen, Lieder und Gebete mit der tatsächlichen kirchlichen Praxis zu vergleichen, das heißt, bei dem Versuch den Anspruch mit unserer eigenen Lebenspraxis zu vergleichen, dürften gewisse Differenzen an die Oberfläche kommen.
  • Befragen Sie Ihre eigene Fastenzeitpraxis  so denn da eine ist! auf ihr Ziel hin. Das mag schnell offenbaren, dass es vielleicht nicht sonderlich erhaben ist, was Sie sich vorgenommen haben. Mancher Fastenvorsatz entpuppt sich als krämerhaftes Verhandlungsangebot an Gott, mancher Vorsatz hat mehr mit der körperlichen Gesundheit zu tun als mit irgend etwas sonst. Vielleicht ist es bei Ihnen besser. Vielleicht auch nicht.
    Fangen wir also klein an und schauen wir nur auf zwei Lesungen von heute: Der Bericht vom Aufbruch Abrahams aus dem Buch Genesis und das Evangelium von der Verklärung Christi. Vielleicht geling von daher eine Auslegung der Fastenzeit.

2. Aufbruch

  • Abraham bricht auf, ohne das Ziel zu kennen.
    Die Aufforderung an einen 75-jährigen, neu anzufangen ist unzumutbar, unlogisch, leichtfertig  aber zeigt, was für Gott Glauben heißt. Der Aufbruch des Abrahams ist mit seinem Glauben identisch. Er war kein Jude, Christ oder Katholik: er ist Vater des Glaubens.
    Das Kapitel 12 im Buch Genesis ist der Anfang der eigentlich Heilsgeschichte in der Bibel. Davor standen der Turmbau zu Babel und die Sintflut. Nach der Schöpfung hat die Sünde mehr und mehr überhand genommen. Jetzt versucht Gott, die Dinge in die Hand zu nehmen, indem er auf den Menschen vertraut und den Menschen einlädt, auf Gott zu vertrauen. Er ruft Abraham und lädt ihn ein aufzubrechen.
  • Aufbrechen können ist eine in sich religiöse Haltung. Aufbrechen können ist die Haltung des Menschen, der offen ist auf eine Wirklichkeit, die ihn selbst und seine Gegenwart übersteigt.
    Der Glaube ist immer Verheißung auf etwas, das noch aussteht. Das ist genau der Grund, warum die Satt-Zufriedenen nicht glauben können, warum es ihnen unmöglich ist. Sie sind gewissermaßen auf der untersten, tragenden Schicht des Lebens phantasielos, weil sie sich auf anderen Ebenen befriedigen. Sie wissen nicht, was ihnen entgeht!
    Der Glaube ist eine Verheißung, die uns auffordert etwas herzugeben, damit wir erleben können, wie viel wir empfangen können. Nicht zufällig folgt (Mt 19) auf die Warnung Jesu vor dem Reichtum die Verheißung Jesu: Wer um meinetwillen etwas verlässt, wird es hundertfach zurückbekommen.
    Das ist nicht nur mehr, als jede noch so günstige Dividende. Es verspricht eine Umwandlung unseres Lebens, die unser Leben schlicht sinnvoll macht, hundert mal sinnvoller als alles, was wir erarbeiten können.
  • In diesem Sinne können wir die Fastenzeit als Aufbruchszeit entdecken. Es ist die Zeit der Ablösung vom Alten.
    Fastenzeit ist Einüben in den Glauben. Etwas, was wir natürlich eigentlich immer tun sollen. Aber die 40 Tage sind wie ist ein Knoten im Taschentuch: hilfreich.
    Zudem ist die Fastenzeit  eigentlich  die Chance, es gemeinsam zu tun.
    Nach den weisen Regeln der Kirche sind vom strengen Fastengebot Jugendliche und Alte ausgenommen. Das hat  zumindest im Fall der Jugend einen tiefen Sinn: Es ist Privileg der Jugend, nicht fasten zu müssen, weil Jugend eigentlich  immer Aufbruchszeit ist. Es käme also darauf an, den Aufbruch in das eigene Leben bewusst nicht als ein Möglichst-viel-haben-wollen zu gestalten, sondern als Glauben: Das heißt der eigenen Zukunft etwas zutrauen.

3. Ausblick

  • Der zweite Schrifttext, das Matthäusevangelium, kann diesen Gedanken fortführen: Die Verklärung auf dem Berg ist ein Blick auf das Ziel von unterwegs.
    Wir lassen uns so leicht von überhöhten Idealen frustrieren. Dabei geht es für uns erst mal um den Aufbruch und um das Unterwegs-Sein. Gott verlangt von uns nicht den Kraftakt der Vollkommenheit, sondern will sich mit uns auf den Weg machen. Und darin besteht das Geheimnis des Glaubens: Dass uns der Glaube unterwegs, vielleicht ohne dass wir es sofort merken, verändert.
  • Zwischendurch gibt es für uns als einzelne und für uns als Glaubensgemeinschaft Wegstrecken, die auf eine Bergkuppe führen und daher den Ausblick gewähren: Atemberaubend und unbedingt festzuhalten. Erinnern Sie sich an Fotos und Videos, die sie in solchen Momenten auf einer Reise aufgenommen haben! Obwohl wir wissen, dass sich damit nichts reproduzieren und festhalten lässt, zeigen wir es doch als Erfahrung herum. Ganz so ist es beim Mit-Teilen der Glaubenserfahrungen; deswegen wurde das Erlebnis vom Verklärungsberg im Evangelium festgehalten.
  • Das Ziel der Fastenzeit offenbart sich nur dem, der sich auf den Weg gemacht hat.
    Wie das Ziel ihres Lebens aussieht, kann ich Ihnen nicht "sagen", weil das Leben, Ihr Leben ein komplexe Gemälde ist. Auf diesem Gemälde, vielleicht als Detail, vielleicht als alles überwölbender Horizont, können Sie selbst das Ziel entdecken, wenn Sie in der Haltung dessen suchen, der unterwegs ist.
    In der Einübung in unseren Glauben feiern wir am Ende der Fastenzeit Ostern, weil mit dem Bild der Auferstehung  der Leichnam wird aus dem Grab herausgerufen!  Gott selbst eine Chiffre gewählt hat, die das Zentrale ausdrückt: Aus dem Tod wird Leben, aus dem Aufbrechen wird Ankommen, aus dem Kreuz wird Herrlichkeit. Geheimnis des Glaubens. Amen.