Predigt zum 2. Fastensonntag Lesejahr B 2006 (Markus)
Zurück zur Übersicht von: 2. Fastensonntag (B)
12. März 2006 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Berg und Ebene
- Das Gegenteil von "Berg" ist nicht das Tal, sondern die Ebene. Berge und Täler haben das Besondere gemeinsam. Sie sind nach oben oder nach unten hin herausgehoben. Das Problem aber ist die Ebene. Der Alltag, der ohne besondere Vorkommnisse sich dahinzieht, Tag für Tag, ist weitaus anstrengender als der Gipfelsturm.
- Die Verheißung auf Höhepunkte gibt es in jedem Bereich. Zu gut ist der Adrenalinstoß, als dass man dieses Gefühl missen möchte. Ob in der Musik, beim Film, in der Politik oder bei der Wochenendplanung: Die Ausnahme erst macht die Regel erträglich. Der Alltag frisst auf, der Höhepunkt lässt mich erleben, dass ich (noch) lebendig bin.
- Im christlichen Glauben kommt diese Verheißung zumeist charismatisch, in sehr engagierten aber auch selbstbezogenen Gruppen oder manchmal auch freikirchlich daher. Gegenüber der Routine und Behäbigkeit der 'Großkirchen' (als ob das ein Schimpfwort sei!), leben viele dieser angeblich engagierteren, irgendwie 'anders' oder 'besser' verfassten Gemeinschaften von der Verheißung des religiösen Erlebnisses.
Das Ergebnis sind vielfach Gemeindenomaden auf der einen Seite, die von einem Ort zum anderen Ort und von Gebetskreis zu Lobpreisabend ziehen. Auf der anderen Seite sind die, die sich darin eingerichtet haben, erlöst zu sein, und die sich die Freude darüber wie eine Silikonprothese ins Gesicht gezaubert haben.
2. Offenbarung auf dem Berg
- Auch die Heilige Schrift kennt den Berg. Der Berg ist Ort der Gottesbegegnung. Das Evangelium von der "Verklärung Christi" nimmt einige Bilder auf, die deutlich an die Offenbarung Gottes an Israel erinnern, die Mose gegeben wurde: den Aufstieg auf den Berg, die Wolke, die Stimme Gottes, das Herabsteigen (Exodus 24).
Am siebten Tag nachdem Jesu zum ersten Mal seinen noch ganz unverständigen Jüngern angekündigt hat, dass in Jerusalem das Kreuz auf ihn wartet, nimmt er drei der Apostel mit auf den Berg.
- Auf dem Berg sehen Petrus, Jakobus und Johannes in einer in Worten kaum beschreibbaren Weise Jesus in der Herrlichkeit, aus der er von Gott, dem Vater, zu uns gekommen ist. (Nach der verbreiteten Auslegung ist es auch ein Vorausblick auf die Herrlichkeit der Auferstehung.)
Sie sehen ihn im Dialog mit Mose und Elija, den großen Propheten des Bundes Gottes mit Israel. Sie hören die Stimme Gottes aus einer Wolke, die verhüllt und zugleich offenbart: "Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören!"
- Noch verstehen die Jünger nicht, was sie sehen und hören. Sie können es noch nicht verstehen, weil Jesu Weg auf Erden noch nicht erfüllt ist. Daher gebietet Jesus ihnen auch, erst dann darüber zu sprechen, wenn durch Kreuz und Auferstehung unmissverständlich ist, wie Gottes Liebe zu uns Menschen kommt: Nicht durch überwältigende und erschlagende Lichterfahrung, sondern durch das Dunkel des Leides dieser Welt hindurch, durch das Kreuz. Petrus meinte, es sei besser, auf dem Berg Hütten zu bauen, sich in der Glaubenserfahrung ohne alle Zweifel, ohne alle Anfechtung und verhüllenden Wolken einzurichten. Der Evangelist kommentiert, Petrus habe schlicht nicht gewusst, was er hätte sagen sollen.
3. Drei Dimensionen des Christseins
- Jesus Christus in seiner Beziehung zu Gott, dem Vater, ist die erste Dimension dieses Evangeliums. Einerseits ist in der Tat Jesus für uns die zentrale Figur in der Gottesbegegnung. Er ist der "Sohn". Das bedeutet, dass Gott in ihm für uns Menschen erfahrbar wird. Aber Jesus ist nicht 'einfachhin' Gott. Er ist Gottes Gegenwart für uns, Weg, Wahrheit und Leben.
So sehr Gott in ihm ganz offenbar ist, so sehr bleibt die Erfahrung der verhüllenden Wolke. Der Weg ist noch nicht die Erfüllung. Wir sind nicht schlechtere Jünger, wenn der Zweifel und das Unverständnis ein Teil unserer Glaubenswirklickeit bleibt.
- Die zweite Dimension des Evangeliums ist die Nachfolge. Gott spricht zu den drei Jüngern: "auf ihn sollt ihr hören". Hören bedeutet hier aber weit mehr als ein akustisches Geschehen. Es bedeutet, dass unser Leben zur Nachfolge werden soll, zum gelebten Mitgehen mit dem Weg Jesu.
So sehen die Jünger auch alsbald nur noch Jesus, den Menschen, und steigen mit ihm vom Berg herab. Christen leben in der Ebene und springen nicht von Höhepunkt zu Höhepunkt.
- Deswegen ist die dritte Dimension des Evangeliums die Kirche der Zeugen. Nicht zufällig wird dies von manchen Gruppen aller Konfession klein geschrieben oder gar ausgeblendet. Da wird behauptet, dass jeder Christ jederzeit auf dem Berg das Antlitz des verklärten Herrn schauen kann (und muss) und daher jederzeit 'erlöst' ausschauen müsse.
Das Evangelium aber betont, dass Jesus drei ausgewählt hat. Ja, er führt sie "auf einen hohen Berg, aber nur sie allein". Nach Karfreitag und Ostern werden Petrus, Jakobus und Johannes zu Zeugen. Sie bezeugen mit ihrem eigenen Lebensweg, die Herrlichkeit, die sie an diesem herausragenden Punkt geschaut haben. Damit ist die Struktur der Kirche grundgelegt.
Die Erfahrungen der Herrlichkeit ist Christen (nicht nur den drei Aposteln!) von Gott nur in besonderen Momenten und zu von ihm geschenkten Zeiten gegeben. Damit werden Christen zu Zeugen; sie werden zu Menschen, die anderen bezeugen, dass sie erlebt haben, dass es die Erfahrung des Berges gibt. Aber wie wir aus der Erfahrung der Begegnung mit Christus in der Eucharistie am siebten Tag wieder in den Alltag gehen, so steigen auch die Apostel mit Jesus wieder hinab vom Berg, um im konkreten Alltag, im Kreuz der Alltäglichkeit, auf ihn zu hören und in seinem Geist zu leben. Amen.