Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Fastensonntag Lesejahr A 2005 (Johannes)

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27. Februar 2005 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt

1. Der rätselhafte Jesus

  • Dieses Evangelium ist rätselhaft. Ich sage das nicht, um mich zu beklagen. Immer wieder ist es die Hebammenkunst Jesu, den Glauben hervorzulocken, indem er in Gleichnissen und Rätseln spricht. Die Klarheit der kirchlichen Dogmen haben einen anderen Zweck. Das Evangelium will Menschen auf den Weg des Glaubens und der Begegnung mit Gott locken.
  • So ist es eine rätselhafte Geschichte von der einzelnen Frau, die Jesus in der Mittagshitze am Jakobsbrunnen in Samarien trifft, jenen damals schon uralten Brunnen, um dessen Rand man noch heute stehen und dessen Wasser man noch heute aus der Tiefe holen kann.
  • Rätselhaft das Gespräch über das Wasser, das mühsam geholt werden muss, und das Wasser, das Jesus gibt. Rätselhaft der Sprung des Gespräches zur Biographie der Frau, die nach fünffacher Heirat nun in wilder Ehe lebt. Rätselhaft schließlich der weitere Themenwechsel im Blick auf den Garizim, den Berg in Sichtweite, wo die Samariter den Herrn verehren und wesewegen sie mit den Juden in Jerusalem seit langem im Clinch liegen.

2. Der moderne Jesus

  • Dieses Rätsel lässt sich schön auflösen. Jesus erscheint dann als eine ganz und gar zeitgemäße Gestalt. Er überwindet die Vorurteile gegenüber Frauen (allein mit ihr am Brunnen - damals sein Skandal!), und die Vorurteile gegenüber den Samaritern (um die man sonst einen hohen Bogen macht). Die Samariter nehmen nicht Teil am Jerusalemer Tempelkult, das ist der Hauptgrund, warum sie verachtet werden. Jesus nun, modern wie er ist, erledigt den Streit: "Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten".
    Vorbei der Streit zwischen den Religionen und Kultgemeinschaften. Ob dieser oder jener Berg der rechte Ort sei, ist nicht von Belang. Entscheidend ist allein Geist und Wahrheit. Damit findet schon in der Bibel eine Bestätigung, was so viele Menschen spüren: Religion darf nicht Äußerlichkeit sein, sondern muss innerlich sein. Nur im Geist kann ich beten, nicht im Kult und nicht auf den Knien.
  • Nicht in Jerusalem, nicht auf dem Garizim. Den Ort der Kultstätte findet dieses Verständnis des Evangeliums jetzt im Menschen selbst. Wenn Gott Geist ist, muss der Mensch selbst ganz Geist werden, um Gott zu verehren. Das müsste doch bedeuten, dass die christliche Gottesverehrung darin besteht, Gott zu erkennen im Geiste. Öffentliche Gottesverehrung wird danach nicht nur überflüssig, sondern widerspräche dem Evangelium.
    Nicht mehr entfremdet im Kult, sondern in der Wahrheit. Als moderner Mensch kann ich Gott nicht in einem fremden Kult anbeten, sondern nur dort, wo ich ganz authentisch, ganz ich selbst bin - nur in solcher Art Wahrheit, will Gott angebetet werden. Deswegen ist Selbsterkenntnis höchstes Gebot.
  • Diese Interpretation des Evangeliums ließe sich fortschreiben. Es ließe sich zeigen, wie ansprechend das Evangelium für Menschen von heute ist. Wir würden sehen, wie gut die Erkenntnisse der Psychologie damit zusammen stimmen. Wir müssten nur in uns selbst hinein horchen, um zu spüren, dass dies das wahre Evangelium ist.
    Nur, wozu wir das Evangelium noch bräuchten, ist dabei unerklärlich: zur autoritativen Bestätigung dessen, was wir schon wussten?

3. Der Christus Jesus

  • Wo das Evangelium uns nicht mehr fremd vorkommt, sollten wir hellhörig werden. Denn dann könnte es sein, dass wir den Graben ignoriert haben, der uns von der jüdischen Kultur Jesu vor zweitausend Jahren trennt. Und, schlimmer noch, wir könnten Gott selbst zu einem vertrauten Einrichtungsgegenstand verkorkst haben, statt uns von diesem Gott in Frage stellen zu lassen. Im Beispiel des heutigen Evangeliums: Wir könnten dort unseren eigenen Geist zum Maßstab der Anbetung gemacht haben, wo Jesus den Heiligen Geist meint.
  • Schon aufmerksame Lektüre des Evangeliums könnte uns heilsam verunsichern. Denn keineswegs erklärt Jesus die Frage des Anbetungsortes - Jerusalem oder Garizim - für belanglos. Für Jesus ist der Tempel in Jerusalem das Haus seines Vaters (Joh 2,16)! Aber es kommt eine Zeit, in der die "wahren Beter" nicht mehr hier oder dort anbeten, sondern im Geist, denn Gott ist Geist. Gemeint ist ganz offensichtlich nicht das private Gebet daheim (von dem sagte Jesus in der Bergpredigt, dass wir dazu in unsere Kammer gehen sollen und die Türe schließen, Mt 6,6). Hier jedoch spricht Jesus nicht vom Beten, sondern von der Anbetung - zwei im Griechischen völlig verschiedene Wörter. Die öffentliche Anbetung, bei der wir niederfallen, um Gott anzubeten, die wird, es kommt die Zeit, nicht mehr im Tempel, sondern im Geist stattfinden.
  • Dieser Geist ist der Heilige Geist. "Die Stunde kommt, und sie ist schon da", sagt Jesus. Mit ihm, dem Christus, ist eine Zeit angebrochen, in der wir frei werden von der Bindung an den einen Ort und die Anbetung durch den Heiligen Geist an allen Orten möglich wird. Der Heilige Geist entgrenzt und befreit. Wenn wir die Rede vom Geist an dieser Stelle als unseren eigenen Geist, unsere eigene Authentizität missverstehen, berauben wir uns der Freiheit des Evangeliums. Deswegen besteht der Höhepunkt des Evangeliums darin, dass Jesus sich dieser Frau als Messias zu erkennen gibt, als der Christus, der Gesalbte Gottes. Dieser ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Dieser hat uns seinen Geist geschenkt, damit wir hier wie an allen Orten Gott anbeten. Amen.