Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr A 2014 (Johannes)

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30. März 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Blind geboren, passiv geheilt

  • Die meisten von uns gleichen dem blind Geborenen aus dem Evangelium. Nicht dass die meisten von uns blind geboren worden wären; das sind - im Sinne dieses Evangeliums - nicht die meisten von uns, sondern wir alle.
    Blind geboren meint im Evangelium das, was man früher den "Naturzustand" des Menschen nannte, und von dem man romantisch meinte, ohne Kultur und Erziehung sei der Mensch von Natur aus sehend und gut. Die darauf basierenden pädagogisches Experimente (schon bei Rosseaus Emile) sind schrecklich gescheitert. Daher ist das "blind geboren" im Evangelium eine Metapher für den Menschen, der erst lernen muss zu sehen, um die "angeborene" Blindheit für die Gegenwart Gottes zu überwinden.
  • In diesem Sinne sind wir alle blind geboren. Die meisten von uns gleichen jedoch dem Mann im Evangelium zudem darin, dass sie nicht gefragt worden sind, ob sie geheilt werden wollen. Denn die meisten von uns wurden, ohne gefragt werden zu können, als kleine Kinder getauft. Es ist etwas an uns geschehen, ohne dass wir dazu beigetragen haben, außer vielleicht einer geräuschvollen akustischen Kulisse.
  • Der Mann im Evangelium ist kein Kind mehr. "Er ist alt genug", bescheinigen ihm seine Eltern. Dennoch legt die Schilderung des Johannesevangeliums Wert darauf, dass in dem ersten Teil nur Jesus und seine Jünger als aktiv auftreten, der Mann aber nicht. Die Taufe geschieht an ihm; sein Beitrag ist nur, dass er im Gehorsam gegen das Wort Jesu geht und sich wäscht.
    Wenn ich die Heilung als Bild für die Taufe nehme, dann ist darin vor allem ausgedrückt, dass die Taufe eben nicht ein Werk eigener Leistung ist, sondern auch dort, wo jemand sich als Erwachsener dazu entscheidet, ein Geschenk der Gnade Gottes.

2. Sakrament der Heilung

  • Das Johannesevangelium erzählt von der Heilung als einem Prozess. Er beginnt wie ein Sakrament, ein mysterion und Heiliges Zeichen, das alles in sich birgt, das aber in seinem Wesen, seiner Wirkung und Auswirkung das Zeichen unendlich übersteigt.
  • So wird auch bei dem blind Geborenen erst nach und nach die Wirkung der Heilung sichtbar. Durch die Heilung hat er sehen gelernt, aber dieses Sehorgan zu nutzen ist eine andere Sache. Charakteristischer Weise ereignet sich das neue Sehen in Konflikten. Durch den Konflikt der Pharisäer mit Jesus, in den der Mann hinein gezogen wird, beginnt er zu verstehen, was an ihm geschehen ist.
    Seine Eltern vermeiden den Konflikt und distanzieren sich von ihrem Sohn, der nun geheilt ist; sie wollen ihn nur als den blind Geborenen kennen. Auch das leider nicht untypisch, dass Familien nur unter dem Schein der Harmonie funktionieren, aber jeden aus ihrer Mitte verleugnen, der sich in einen Konflikt wagt.
  • Was das Geheimnis unserer Taufe ist, zeigt sich entsprechend erst in unserem Leben. Es sind zumeist Konfliktsituationen, die wir uns nicht aussuchen. Wenn Abhängigkeit ausgenutzt wird, um Menschen fremden Interessen unterzuordnen, wenn Unrecht verschwiegen oder Schuld unter der Decke gehalten wird und daher nicht heilen kann - dann können wir uns als Getaufte in der Nachfolge Jesu finden und überrascht feststellen, dass zur Gnade der Taufe gehört, in solchen Situationen die nötige Kraft zu finden.

3. Zum Bekenntnis befreit

  • Schließlich sei auf die Rahmung der Ereignisse im Johannesevangelium verwiesen: Am Anfang steht die Frage der Jünger danach, wer Schuld ist an der Blindheit des blind Geborenen, er selbst vielleicht oder seine Eltern. Sie wollen den Fall kausal einordnen und damit beherrschbar machen.
  • Dem entspricht am Ende des Evangeliumsabschnittes, dass die Pharisäer den Mann auf seine Geburt in Blindheit festlegen wollen (" Du bist ganz und gar in Sünden geboren, und du willst uns belehren?"). Sie tun das, um sich nicht selbst in Frage stellen zu lassen - und stellen sich genau dadurch in Frage.
  • Dagegen offenbart sich an dem Mann das Wirken Gottes. Die Heilung ist wie ein Zeichen, das sich erst im Laufe eines Lebens entfaltet. Erst nach und nach kommt der Mann zu einem eigenen, in Konflikten gereiften Glauben daran, dass in Jesus der Menschensohn erschienen ist, der von Gott kommt und zu Gott führt, um uns zu heilen. Amen.