Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr B 2000 (2 Chronik)

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1./2. April 2000 - Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt, Slavgorod

1. Geschichte in Israel

  • Aus dem ersten Buch der Chronik wird uns in geraffter Form vom Ende des Königreichs Juda und der Eroberung der Stadt Jerusalem durch die Babylonier berichtet. Zdkija war der Name des letzten Königs in Jerusalem, und die Bibel berichtet von ihm nur knapp und bündig: "Der König Zidkija von Juda versteifte seinen Nacken, verhärtete sein Herz und kehrte nicht um zum Herrn, dem Gott Israels." Wie so viele der Könige vor ihm, interessierte er sich für allerlei, aber nicht für die Gerechtigkeit im Lande. Statt dessen haben die Könige das Land ausgebeutet, um sich selbst zu bereichern. Dafür wurde jeder Kompromiss geschlossen und auch der Bund mit Gott großzügig ausgelegt oder gar offen aufgekündigt.
  • Der König steht an der Spitze und daher wird an ihm die Untat deutlich. Aber immer gibt es andere, die ihn stützen und ihren Preis dafür fordern. In der Bibel hieß es: "Auch alle führenden Männer Judas und die Priester und das Volk begingen viel Untreue." Die ganze Führungsschicht profitierte vom Unrecht, das der König beging. Die Untreue Gott gegenüber erfasste das ganze Volk.
  • Im Jahr 586 vor Christus kommt es dann zum Zusammenbruch des Reiches. Was Gottes Volk war, was Nachfahre Davids auf dem Königsthron in Jerusalem war, wurde der Übermacht der Babylonier preisgegeben, deren König Nebukadnezzar den Tempel zerstören und das Volk in die Verbannung nach Babylon führen ließ.
    Gott hatte "sie durch seine Boten gewarnt; denn er hatte Mitleid mit seinem Volk und seiner Wohnung. Sie aber verhöhnten die Boten Gottes, verachteten sein Wort und verspotteten seine Propheten, bis der Zorn des Herrn gegen sein Volk so groß wurde, dass es keine Heilung mehr gab". Wo der Mensch sich Gott verschließt und sich dem Eigennutz und dem Unrecht verschreibt, wird Gott ohnmächtig; dort ist Heilung ohne Untergang nicht mehr möglich. Denn auf die Propheten hörte niemand mehr.

2. Dem Land die Ruhe versagt

  • Nachdem der Tempel und die Stadt zerstört und das Volk in die Sklaverei verschleppt war, breitete sich gespenstige Ruhe über das Land aus. Vorbei war die Geschäftigkeit, zu Ende war der Fleiß der Bauern, kein Mächtiger ließ sich in seinem Wagen vorbeifahren und kein Krieger prahlte mit seinen Waffen. Das Land lag leer und öde da. Wie es der Prophet Jeremia1 vorausgesagt hatte, so geschah es: "Das Land bekam seine Sabbate ersetzt, es lag brach während der ganzen Zeit der Verwüstung, bis siebzig Jahre voll waren." "Sabbat", das ist hebräisch und heißt Ruhe2, so wie der siebte Tag der Woche der Tag der Ruhe ist.

    • Der Sabbat ist etwas ganz einmaliges in der Kulturgeschichte. Keine andere Religion und keine andere Kultur kannte so etwas, bevor Gott es seinem Volk Israel als Gebot gegeben hatte. Der Mensch soll nicht wie das Tier arbeiten, sondern wie Gott: auf sechs Tage Arbeit soll ein Tag der Ruhe folgen, an dem nicht nur die Reichen, sondern auch die Armen und die Knechte durchatmen können. Ein Tag, an dem wir Gott loben und der Mensch seine Würde erhält, indem er der Herrschaft der Arbeit entrissen wird. Im Christentum wird dieser freie Tag auf den Sonntag, den Tag der Auferstehung des Herrn verlegt, weil so die Hoffnung zum Ausdruck kommt, dass wir alle mit Christus zum Leben auferstehen. Die Sabbatruhe, die Feier des Sonntags ist Beginn dieses neuen Lebens in der Freiheit der Kinder Gottes.
      Daher kommt Unglück über das Land, wenn der Sabbat nicht gehalten und das Sonntagsgebot ignoriert wird. Der Mensch wird dann wieder dem Tier gleich, statt Gott, dem Schöpfer zu gleichen. Er muss wie eine Maschine funktionieren, statt als freies Geschöpf den Schöpfer zu loben.
    • Der Sabbat ist ein Gebot für das Volk. Wenn ein Volk den Sabbat missachtet, wird es auch für den Einzelnen schwieriger, nach dem Gebot Gottes zu leben. Schwierig, aber nicht unmöglich. Denn freie Zeit zu finden, in der die Seele zu Gott finden kann, ist immer möglich und man kann sich mühen, die Zeit so einzuteilen, dass man am Lob Gottes in der Gemeinde teilnehmen kann. Jeder kann doch sehen, dass die Arbeit nicht nur entwürdigend, sondern auch unfruchtbar wird, wenn sie keine Zeiten der Ruhe kennt. Manche Leute, die ihren Leib ständig überlasten, brauchen erst eine schwere Krankheit, um einmal Ruhe zu finden.
    • Die Heilige Schrift weitet das Sabbatgebot auf das ganze Land aus. Wenn die Lesung sagt: "Das Land bekam seine Sabbate ersetzt", dann ist damit das Sabbatjahr gemeint, in dem das ganze Land zur Ruhe kommen soll.
      - Zum einen sollen alle sieben Jahre die Felder nicht bebaut werden. Das Gebot Gottes wusste schon damals darum, dass man den Boden nicht beliebig ausplündern darf, weil sonst das ganze Land unfruchtbar wird.
      - Zum zweiten sollten aber auch Menschen nach sieben Jahren freigelassen werden, die in Sklaverei geraten waren, weil sie zu hohe Schulden hatten und diese nicht zurückzahlen konnten.
      Diese Gebote Gottes hatten die Könige und alle Großen im Lande immer wieder mißachtet. Jetzt kommt das Unglück über das ganze Land. Alle Bewohner Jerusalems werden als Sklaven nach Babylon verschleppt und das Land liegt jetzt brach. Weil Jerusalem seine Sklaven nicht freilassen wollte, ist die Stadt selbst in Gefangenschaft gekommen, weil dem Land seine Ruhe verweigert wurde, liegt es nun völlig brach: siebzig Jahre lang. "Das Land bekam seine Sabbate ersetzt."
    • [Zum ursprünglichen Gebot Gottes gehörte wohl ein weiteres, das völlig mißachtet worden war. Das Jobeljahr3 sollte alle 50 Jahre gefeiert werden (nach 7 mal 7 = 49 Jahren). In diesem Jahr sollte jeder das Land zurückbekommen, das ihm einmal gehörte, auch wenn er es aus Armut verkaufen musste. Gott will, dass sein Volk aus freien Menschen besteht. Für das Volk Gottes ist es nicht denkbar, dass auf Dauer der eine seinen Reichtum mehrt, während sein Bruder neben ihm nicht wohnen kann. Wir sind doch alle Kinder Gottes und von Gott befreit.]
  • Aber die Menschen haben diese Gebote, die Gott ihnen gegeben hatte, missachtet. Was kann Gott noch tun, wenn die Menschen das, was er ihnen schenkt, zurückweisen?

3. Handeln und Sehen

  • Das Evangelium sagt uns: "Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat." Gott lässt uns nicht im Stich. Was im Jahr 586 zum Untergang des Königreiches in Israel geführt hat, führt auch weiter zum Untergang, weil die Menschen sich nicht bekehren. Darum macht Gott in Christus sein Heil und sein Licht sichtbar, am Kreuz erhöht, wie die Schlange in der Wüste. Wer zu diesem Kreuz aufblickt und auf Christus sein Vertrauen setzt, wird das Leben gewinnen.
  • Der Sabbat und das Sabbatjahr sind Zeiten der göttlichen Ruhe und des Durchatmens. Diese Ruhe braucht der Mensch, um wieder zu Gott zu finden und gerecht handeln zu können. Wenn wir in der Kirche den Sonntag feiern, indem wir miteinander das Brot brechen und aus der Heiligen Schrift lesen, dann setzen wir uns dem Licht Christi aus. In diesem Licht wird natürlich zuerst sichtbar, wo wir Gottes Liebe missachten. Aber gerade dadurch wird es uns möglich, Christus zu vertrauen und seinem Kreuz.
  • Der Mensch, das Volk und das ganze Land brauchen Ruhe, um sich wieder Gott zuwenden zu können. Die Ruhe des Sabbats ist daher kein Stillstand und der gerechte Ausgleich im Sabbatjahr keine Stagnation, sondern beides ist Aufbruch und Weg: hin zu Gott, damit nicht das ganze Land brachliegt und das ganze Volk zurückfällt in die Sklaverei.
    Das Volk Israel hat das während der siebzig Jahre in Babylon schmerzlich erfahren müssen. Erst nachdem das Land siebzig Jahre brachlag, war ein neuer Anfang möglich. Im Kreuz aber hat Gott für alle Menschen diesen neuen Anfang ermöglicht: wo er in Christus die Sünde auf sich nimmt und in die Grabesruhe hinabsteigt, dort schafft er in Christus auch das neue Leben. Das werden wir an Ostern feiern. Amen.

 


Anmerkungen

1 Die Sabbatruhe ist nur einmal ausdrücklich Thema des Propheten. In Jer 17,19-27 wird der Verstoß gegen die Sabbatruhe in direkten Zusammenhang mit der Ankündigung des Unheils und der Eroberung Jerusalems gesetzt. Der Zusammenhang zum Verstoß gegen das Gebot der Sabbatbrache nach Ex 23,10f und Lv 25,2-7 taucht meines Wissens nur hier in 2 Chr auf. Aber dies passt in das Bild, das das Buch Jer von der Predigt des Propheten bietet: Ungerechtigkeit gegen die Schwachen ist Ursache des Unheils, das über das Volk kommt.

2 Die Wortbedeutung ist nicht ganz klar. Es könnte auch "Abschluss" bedeuten. Im jüngeren Hebräisch und im Zusammenhang mit "Sabbatjahr" wird es aber sicher in der Bedeutung "Ruhe" verwendet.

3 Die Bestimmungen zum Jobeljahr finden sich in Lv 25,8-17.23-55