Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr B 2009 (2 Chronik)

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22. Februar 2009 - Hochschulgottesdienst, St. Antonius Frankfurt

1. Meine Geschichte erzählen

  • Man kann seine eigene Geschichte so oder anders erzählen. Ob ich auf dem Siegertreppchen stehe oder gerade eine Niederlage erlitten habe, macht einen Unterschied. Ob ich mit mir im Großen und Ganzen zufrieden bin oder vor einem Trümmerhaufen stehe, macht einen Unterschied. Anders erzähle ich meine Geschichte, wenn ich gerade einen lieben Menschen verloren habe - durch Tod oder weil eine Beziehung gescheitert ist, anders, wenn ich jemand neu kennen lerne. Vielleicht erzähle ich mir selbst (und Gott?) auch nur meine Geschichte, weil ich mir endlich mal Zeit genommen habe, aus dem Alltag auszusteigen, um Zwischenbilanz zu ziehen.
  • Man kann seine eigene Geschichte so oder anders erzählen. Die eigene Leistung und der Erfolg kann im Mittelpunkt stehen oder die Begegnungen, die mich geprägt haben. Ganz anders klingt die Geschichte, ob ich nur das sehe, was andere mir angetan haben und welche Steine mir das 'Schicksal' in den Weg gelegt hat, oder ob ich bereit und in der Lage bin, nüchtern zu sehen, dass eigene Schuld mich dahin gebracht hat, wo ich jetzt bin.
  • Man muss seine eigene Geschichte nicht erzählen. Ich kann die Bruchstücke meines Lebens auch liegen lassen. Carpe Diem! ist aber ein heidnisches Motto. Wenn es keine Zukunft gibt, sollte man auch nicht zurückschauen. Wenn aber die Zukunft möglich ist, in Gemeinschaft mit Gott zu leben bis hin zur Fülle des Lebens - dann bedeutet zu glauben, dass ich jeden Tag mit Gott lebe und auch auf mein vergangenes Leben schauen kann, um darin die Spuren der Begegnung mit dem lebendigen Gott zu sehen und aufzubewahren.

2. Die Bibel - erzählte Geschichte des Volkes Gottes

  • Die Bibel erzählt über die Erfahrung, die Israel im Lauf seiner Geschichte mit Gott gemacht hat. Erfahrungen machen natürlich immer nur einzelne Menschen. Aber dort wo Erfahrungen erzählt werden, öffnet sich der Blick für Zusammenhänge. Wir stehen im Erfahrungsstrom anderer Menschen, im Guten wie im Schlechten. Israel wird dadurch das Volk Gottes, dass die Erfahrungen eines Abraham, eines Isaak und eines Jakob zusammenfließen in der Erfahrung eines Volkes. Gemeinschaftlich hat Israel die Erfahrung der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten gemacht, gemeinschaftlich habe sie von Gott ein Gesetz geschenkt bekommen, das ihnen zusammen und jedem einzelnen zur Richtschnur werden konnte. Jeder Prophetenspruch und jedes Gebet konnte zusammenfließen zur Erfahrung Israels.
  • Die heutige Erste Lesung ist der Abschluss einer Chronik. Sie fasst die Erfahrungen eines halben Jahrhunderts zusammen. Es beginnt mit der Staatswerdung unter dem König David und endete in der Katastrophe der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier. Die Chronik wird angesichts dieser Katastrophe erzählt, nicht auf dem Siegertreppchen der Geschichte. Man hätte jetzt lamentieren können über all das Unheil, was andere über Israel gebracht haben. Man hätte die Vergangenheit glorifizieren können. Statt dessen wird nüchtern Rückschau gehalten und konstatiert: Wir haben Gott zu wenig Raum in unserer Geschichte gelassen. Deswegen sind wir gescheitert. Wir haben den Sabbat nicht gehalten, weder uns noch den Armen noch den Fremden noch dem Vieh Raum zum Atem gelassen, wie es Gott mit dem Sabbat geboten hatte. Statt dessen haben wir immer hektischer versucht, uns selbst groß zu machen, ohne den Blick auf Recht und Gerechtigkeit. Die Sabbate, die wir gebrochen haben, sind jetzt über das Land herein gebrochen: es liegt verödet da.
  • Hier wird nicht schwarzgemalt. Die Bücher Samuel, die Bücher der Könige und die Bücher der Chronik wissen auch um Propheten in Israel. Sogar Könige gab es, die versucht haben zu tun, was Gott Adonai gefällt. Aber das Vertrauen in Gott stand alles in allem nicht im Mittelpunkt. Deswegen wird die Geschichte erzählt und aufgeschrieben, damit aus dem nüchternen Rückblick ein Ausblick wird. Nicht Gott ist untreu geworden. Wenn wir die Großmannssucht aufgeben und neu beginnen auf Gott zu vertrauen, in Treue zu Gottes Gesetz, dann wird Israel wieder eine Zukunft haben. Wenn der Sabbat wieder gehalten wird, dann werden Menschen Luft haben zu beten und einen Blick haben für die Not der Armen in unserer Mitte.

3. Meine Geschichte im Volk Gottes

  • Soweit die Geschichte, die Israel erzählt. Sie ist für uns aufgeschrieben, damit wir Mut fassen, unsere eigene Geschichte nüchtern in den Blick zu nehmen. Im Rückblick können wir sehen, dass und wie Gott in unserem Leben gegenwärtig ist, uns stützt und hält und Freude schenkt. Wir können sogar sehen und benennen, wo wir im hektischen Kreisen um uns selbst Gott und die Mitmenschen aus dem Blick verloren haben. Diese Erfahrungen müssen nicht verdrängt, sie können benannt werden, weil Gott jederzeit mit uns in die Zukunft gehen will. "Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind." Dieses Wort Jesu an Nikodemus öffnet uns den Blick für Gott in unserem eigenen Leben.
  • Die Fastenzeit kann eine Sabbatzeit werden. Durch die Liturgie - die Gottesdienste - der Kirche werden wir auf Themen gestoßen, die helfen können, aus der Hektik auszubrechen und Gott wieder Raum zu geben. Das konkrete Fasten im Verzicht auf etwas, das mir sonst angenehm ist, kann dabei eine Hilfe sein. Die größten Fastenopfer sind aber nutzlos, wenn dadurch nicht Raum entsteht für die Begegnung mit Gott. Deswegen ist für viele von uns das Zeit-Fasten vielleicht das heilsamste: Uns Zeit zu nehmen mit Gott unsere Geschichte zu erzählen.
  • Wenn dies der lebendige Gott ist, dann wird uns das auf die Kirche stoßen: Auf die Gemeinschaft der Menschen, mit denen zusammen wir als Getaufte Christen sind. Denn Gott hat seine Geschichte mit mir schon dort begonnen, wo Menschen vor mir geglaubt, gehofft und geliebt haben. "Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt -, nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann" Diesen Glauben, diese Hoffnung, diese Liebe hat Gott mir durch konkrete Menschen weiter gegeben. Sie haben mit mir Gott gelobt und ihm Lieder gesungen. So hat mich Gottes Gegenwart ganz konkret berührt. Das ist der Kern der Kirche. In diesem Menschenzusammenhang kann ich meine Geschichte erzählen. Darin kreise ich dann nicht mehr um mich selbst, sondern bin bei allen Rückschlägen geborgen von Gottes Liebe. Und ich kann sie meinerseits weiter geben, dass daraus die große Geschichte der Gegenwart Gottes unter uns wird. Amen.