Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Fastensonntag Lesejahr B 2009 (Hebräerbrief)

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29. März 2009 - Universitätsgottesdienst, St. Antonius Frankfurt

1. Gehorsam

  • Gehorsam ist keine Tugend. Er kann ebenso gut ein Laster sein. Das Dritte Reich baute auf den beiden Lastern Raffgier und Gehorsam auf. Eine ganze Führungsclique hat sich unsäglich am Vermögen der von ihnen Ermordeten und Vertriebenen bereichert. Und viele andere waren gehorsam. Sie frönten dem Laster des Gehorsams, dessen Gift so süß ist, weil man sich so unendlich tugend- und heldenhaft dabei vorkommen kann. Niemals ist der Gehorsam in sich gut. (1) Es hängt ganz davon ab, wann, wo, wie und warum ich gehorsam bin.
  • Dies vorausgeschickt kann ich mich erst der Lesung aus dem Hebräerbrief nähern: "Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden." Jesus Christus, einziggeborener Sohn des Vaters, lernt durch Leiden den Gehorsam. Der Sohn gehorcht dem Vater. Und wer dem Sohn gehorcht, findet dadurch "ewiges Heil", also Glück und Erfüllung ohne Beschränkung durch Zeit oder Tod, für sein ganzes Leben.
  • Wir sind nicht bei einem Randthema. Wir sind in der Mitte des Neuen Testamentes und der ganzen Bibel. Und zugleich ist damit der Kern der Frage berührt, was Jesus und der Glaube eigentlich für mein eigenes Leben bedeutet. Wieso ist Gehorsam für den menschgewordenen Sohn wichtig? Und was bedeutet das für uns?

2. Gehorsam Gottes

  • Den Zugang erschließt uns der entsprechende Zentralbegriff des Alten Testamentes: Treue. Mit dem Gehorsam verbindet die Treue, dass sie in sich keine Tugend ist. Es gibt fatale, sündhafte Treue in jeder Räuberbande. Aus schierem Selbstinteresse sind Menschen ihrer Organisation oder ihrer Firma treu, obwohl diese längst vom Pfad der Tugend abgewichen ist. Zur Tugend wird die Treue nur durch das oder den, dem ich treu bin. Treue zu denen in Not, Treue zu den Armen und Schwachen, Treue im Bund der Liebe sind dann wahrlich Tugenden.
  • Gott, so die zentrale Glaubenserfahrung Israels, ist treu. Und: Gott ist sich selbst, "seinem Namen", treu. Gerade daher ist er seinem Volk treu, denn Gottes Wesen ist Gnade und Barmherzigkeit. Wenn der menschgewordene Gott - Jesus Christus - Gott, dem Vater, gehorsam ist, dann ist dieser Gehorsam Treue unter den Bedingungen der Menschwerdung. Dreifaltigkeit bedeutet eben nicht drei Götter, sondern ein Gott, dessen Mitte die treue Liebe zu den Menschen ist.
  • Nur: Wo der wahre Gott wahrer Mensch wird, da setzt sich Gott der Schwachheit aus. Er tritt ein in den Bereich des Todes, wo das eigene Leben in Gefahr ist, abgetrennt zu sein von der Quelle des Lebens. Nirgend wird das so deutlich, wie an dem Ort, auf den dieser fünfte Fastensonntag hinführt: Der Garten Gethsemane, in dem Jesus vor seiner Auslieferung mit der Todesangst ringt. Er strebt das Kreuz nicht an. Aber weil Gott treu ist, ist der Sohn dem Vater - ein Gott - gehorsam: Wenn es sein kann, lass diesen Kelch an mir vorüber gehen. Aber nicht mein menschlicher Wille, sondern dein göttlicher Wille geschehe.

 3. Gott gehorsam

  • Als Menschen werden wir ständig mit verschiedenen Gehorsamsforderungen konfrontiert. Sie mögen als verlockende Werbung gut verpackt sein, aber nüchtern betrachtet ist es so: Zu Glauben bedeutet die grundsätzliche Entscheidung: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5,29 oder Joh 12,43 unter dem Stichwort "Ansehen bei den Menschen").
    Unter den Bedingungen der Welt, wie sie ist, ist der Gehorsam der göttlichen Treue nur durch Leiden zu lernen, weil ihm so viele andere Gehorsamsforderungen entgegenstehen. "Leiden" ist für die meisten Entscheidungssituationen übertrieben; aber mit Widerstand ist immer zu rechnen. schon das Bekenntnis zur Entscheidung für Gott - wie unvollkommenauch immer umgesetzt - kann Folgen haben.
  • Natürlich, so etwas will erst einmal umgesetzt und gelebt sein. Davor aber ist die befreiende, ganz grundsätzliche Entscheidung, dass ich das in meinen hellen Momenten überhaupt will und nicht von vorne herein mit vielen Wenns und Abers verwässere. Erst wenn ich es will - oder zumindest wollen will! - kann ich im Konkreten mich danach ausstrecken. Ich kann täglich beten: "...dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden". Leicht will ich das erst gar nicht aus Angst vor dem Scheitern, so als hätte ich noch nie davon gehört, dass Gott barmherzig und verzeihend ist.
  • Dieses, dass ich den Gehorsam gegenüber Gott will, braucht aber die nüchterne Erkenntnis, dass wir als Menschen nicht nur frei sind, sondern in einer Welt leben, die gezeichnet ist vom vielfachen Ungehorsam gegenüber Gott. Die Welt ist so sehr davon gezeichnet, dass wir selbst davon in unserem Inneren infiziert sind. Das ist aber kein Grund, auch noch "ja" dazu zu sagen. Das Alte Testament schenkt daher das Gesetz des Bundes. Israel ist berufen in Gerechtigkeit zu leben, und Jesus wollte kein Jota daran ändern. Das Neue des Neuen Testamentes ist "nur", dass Gott selbst in Jesus Christus sich dieser Welt aussetzt. Er erlebt unsere ureigenste Angst um uns selbst und muss "den Gehorsam lernen". Wir haben also im Ringen um die richtige Entscheidung einen Gott an unserer Seite, der um die Not dieser Entscheidung weiß. Amen

Anmerkung:

1. Missbrauchsopfer - Kinder in erster Linie - haben häufig gelernt, brav und gehorsam zu sein, so dass ihnen der Onkel oder eigne Vater sagen kann, sie dürften aber niemanden erzählen, was da geschehen ist.