Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Fastensonntag Lesejahr C 2010 (Johannes, Óscar Romero)

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21. März 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Steinigung

  • Steinigung ist brutal. Uns scheint es unfassbar, wie so etwas in der Bibel stehen kann. "Die Schriftgelehrten und die Pharisäer" im heutigen Evangelium berufen sich auf das Gesetz des Mose. Tatsächlich steht das dort (Dtn 22,22: "Wenn ein Mann dabei ertappt wird, wie er bei einer verheirateten Frau liegt, dann sollen beide sterben, der Mann, der bei der Frau gelegen hat, und die Frau."). Und diese Regel hatte sogar einmal einen nachvollziehbaren Sinn. Sie sollte Bürgkrieg, Mord und Totschlag verhindern.
  • In den alten Stammesgesellschaften konnte Ehebruch katastrophale Folgen haben. Der damals überlebenswichtige soziale Zusammenhang war gefährdet, und Sippen und Stämme konnten in blutige Fehden verwickelt werden. Vor allem Staat, wie wir ihn kennen, bei Nomaden und ländlichen Stammesgruppen konnte der Einzelne ohne die Sippe nicht überleben. Ehebruch gefährdete das alles. Das zu verhüten steht im Gesetz des Mose die drakonische Strafe. Wer nie die Katastrophe von Bürgerkrieg und Zusammenbruch einer sozialen Ordnung erlebt hat, kann das kaum nachvollziehen.
  • Aber zur Zeit Jesu sind die sozialen Bedingungen schon längst andere. Ehebruch bleibt eine Sünde, aber eine, die vergeben werden kann. Wie wenig es den Anklägern der Frau um den ursprünglichen Grund des Gesetzes geht, sieht man schon daran, dass sie nur die Frau zur Steinigung schleppen; das Gesetz des Mose aber hatte den Mann unter die selbe Strafe gestellt.

2. Dem Glauben ausgeliefert

  • Die Rotte der Männer will die Frau steinigen. Wie Jesus darauf reagiert, ist bis heute eine Offenbarung. Was hier geschieht, kann uns die Augen dafür öffnen, was es heißt, aus dem Glauben zu leben. Von uns aus, solange wir ohne das Vertrauen bleiben, dass Gottes Barmherzigkeit trägt, brauchen wir den natürlichen Reflex, alles zu meiden, was uns gefährdet. Bis heute aber gilt, dass das Gefährlichste ist, aus der Gemeinschaft ausgegrenzt und ausgestoßen zu werden. Deswegen gehen wir lieber Kompromisse ein, als die Isolation zu riskieren. Wir halten uns lieber an die herrschenden Gesetzmäßigkeiten, als selber unter Verdacht zu geraten.
  • Der Glaube an Gott beginnt nicht dort, wo ich feste Regeln und Gesetze übernehme, sondern mich dem Wagnis Gottes aussetze. Christlich zu Glauben bedeutet, sich der Unfasslichkeit Gottes ausliefern, um zu sehen, wohin er mich führt. Der Glaube an den lebendigen Gott relativiert die Macht der sozialen Strukturen und Mechanismen. Biblisch gesprochen: Der Glaube führt in die Einsamkeit der Wüste. Und Jesus macht deutlich, dass uns das zuerst zu den Menschen führt, die ebenso "außerhalb" leben, weil sie ausgegrenzt werden.
  • Die Szene mit der Sünderin lässt ahnen: Es macht Angst dort zu stehen, wo die Ausgegrenzten stehen, weil dorthin die Steine fliegen. Es ist aber das Geheimnis des Glaubens, dass Gott die Kraft schenkt, diese Angst auszuhalten. Gott macht es uns möglich, bei diesem Menschen auszuhalten. Gegen die Gewalt des Gesetzesbuchstabens hält Jesus aus und schreibt in den Sand. Er lädt uns damit ein, bei Menschen, die wie diese Frau bedroht sind, zu verweilen, zu hören was sie sagen, sie als wertvolle Menschen zu entdecken. So weicht die Angst, was mir passieren könnte, wenn ich bei den Ausgegrenzten stehe. So relativiert sich die Sorge, was passiert, wenn nicht mehr alles nach schwarz und weiß in Gesetzen sortiert werden kann. Statt dessen können wir Dankbarkeit erfahren, hier, bei diesem bedrohten Menschen sein zu dürfen. Denn hier ist die Einsamkeit Gottes erfahrbar, der an der Seite der Verbrecher gekreuzigt wurde.

3. Óscar Romero

  • Vor dreißig Jahren wurde der Erzbischof von San Salvador, Óscar Romero, ermordet. Ein Killerkomando hat die Drohungen des Militärregimes gegen ihn wahr gemacht und ihn am Altar kaltblütig erschossen. Er ist nur einer von vielen Opfern dieser Zeit. Der Grund für seine Ermordung findet sich im Evangelium. Erzbischof Romero hatte eine Grenze überschritten, als er sich auf die Gemeinschaft mit denen eingelassen hat, die am Rande standen. Dabei war das nicht einmal die Minderheit. Vielmehr war die große Mehrheit der Besitzlosen in Mittelamerika ausgegrenzt (und ist es vielfach bis heute). Die Macht und den Wohlstand teilten sich einige wenige Familien und Militärregierungen sicherten dies mit staatlicher Gewalt und paramilitärischen Gruppen ab.
  • Óscar Romero gehörte zu denen, denen es geschenkt war, sich von der Angst nicht beherrschen zu lassen: von der Angst um sein eigenes Ansehen, der Angst um seine Sicherheit und sein Leben, der Sorge um die Kirche, für die er Verantwortung trug, und der Angst mit den gewalttätigen Revolutionären in einen Topf geworfen zu werden, die den Aufstand gegen die Regierung bis zum Bürgerkrieg trieben. Erzbischof Romero war es geschenkt, in und trotz dieser Angst bei den Armen zu sein, bei denen, denen das Land weggenommen wurde und bei denen, deren Leben bedroht war.
    Er hatte auch nicht die Lösung für die enormen sozialen Probleme des Landes. Aber er hat die Armen seines Landes als den Ort entdecken dürfen, an dem ihm Gott begegnet. Er hat sich aus der Wagenburg sicherer Urteile und klarer Freund-Feind-Bilder gewagt. Den Anstoß dazu hat ihm bezeichnender Weise das Glaubenszeugnis eines anderen - des mit ihm befreundeten Jesuiten Rutilio Grande - gegeben.
  • Die Freiheit des Glaubens hat ihm geholfen, die Menschen zu sehen. In seinen Worten: "Die Taufe entfremdet uns nicht von der Wirklichkeit, sondern vermittelt uns neue Maßstäbe und Fähigkeiten." Ob Jesus Angst gehabt hat, als die Frau neben ihm stand, die alle steinigen wollten? Wir wissen es nicht. Was wir wissen ist, dass keine Angst ihn gehindert hat, bei ihr zu bleiben, bis auch der letzte der Schriftgelehrten abgezogen war. In jedem Augenblick hatte Gott ihm die Kraft gegeben, bei den Menschen zu sein. Amen.


Zum Nachklang noch einmal Óscar Romero: "Es ist zwecklos sich nur selbst zu lieben und sich vor den Gefahren des Lebens zu hüten. Die Geschichte stellt den Menschen in diese Gefahren, und wer ihnen ausweichen will, verliert sein Leben. Wer sich dagegen aus Liebe zu Christus in den Dienst der anderen stellt, wird leben."