Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 5. Fastensonntag Lesejahr C 2013 (Johannes) & Bemerkungen zur Papstwahl

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17. März 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Verurteiler und Tolerante

  • Die Rollen werden klar verteilt. Auf der einen Seite diejenigen, die über andere richten und verurteilen. Auf der anderen Seite Jesus, der tolerante. Er, der zu der Ehebrecherin sagt: "Ich verurteile dich nicht". In dieser klaren Lesart ist das Lehramt der Kirche des Verrates am Evangelium überführt. Die populäre Meinung hingegen, man solle nicht so streng sein, kann sich als wahre Repräsentantin Jesu sehen, der doch niemand verurteilt habe.
  • Die Aufregung der Medien - und vieler Katholiken - um Papstrücktritt und neuen Papst sehe ich mit viel Skepsis. Auf der einen Seite wird da etwas hochgeputscht, auf der anderen Seite macht sich niemand hierzulande Illusionen, dass der neue Papst in moraltheologischen Fragen den hierzulande populären Erwartungen entgegen komme. Er wird mutmaßlich wie die Päpste vor ihm - und wohl auch nach ihm - über Ehebruch ein ebenso klares Urteil haben, wie Franziskus über die soziale Benachteiligung der Armen urteilt. Letzteres macht ihn populär (solange kein Zusammenhang zum eigenen Lebensstil besteht). Ersteres scheint ihn doch zu überführen, dass das römische Lehramt mal wieder im Gegensatz zu Jesus stehe (und in der Tat ist ja die eigentliche Frage nicht die Beurteilung von Ehebruch, sondern ob jede Wiederverheiratung nach einer Scheidung als Ehebruch zu bewerten sei).
  • Was soll der Aufwand um eine Papstwahl, wenn eigentlich klar ist, dass dieser Papst und diese Kirchenleitung nicht viel ändern wird von dem, was in unseren Breiten anstößig ist an der Lehre der Kirche? Letztlich erklärt sich das nur, wenn insgeheim diese Lehre doch nicht so unpopulär ist, und man sich nur wünscht, dass die Kirchenleitung glaubwürdiger wäre und selbst vorlebt, was da verkündigt wird.

An dieser Stelle ein paar aktuelle Bemerkungen:
Vielen ist aufgefallen, dass die Jesuiten weit weniger begeistert auf die Wahl des neuen Papstes reagiert haben, als manch andere. Das ließe sich zwanglos durch die These erklären, dass kein Prophet in seiner Heimat anerkannt werde - eine These, der ich allein schon der Prominenz ihres Urhebers wegen nicht widersprechen würde. Aber diese Zurückhaltung in der Begeisterung hat vermutlich auch andere Gründe.

Zunächst einmal liegt das in einem nüchternen Verständnis des Papstamtes, das nach den ersten Signalen zu urteilen, Papst Franziskus teilt. Der Papst ist erst einmal der Bischof der Kirche und Gemeinde von Rom. Da er damit auch Nachfolger des Hl. Petrus ist, kommt ihm eine besondere Aufgabe im Blick auf die Einheit der Weltkirche zu und die Aufgabe, seine Brüder im Bischofsamt zu stärken. Dass der Papst die Inkarnation der ganzen Kirche sei und alles andere nur von ihm abgeleitet ist, wäre eine Häresie. Und diese Fehleinschätzung des Amtes wird fatal, wenn sie sich mit einer Papalatrie (Papstverehrung) verbindet, die den jeweiligen Papst verehrt wie einen Popstar und Heiligen zugleich. Jesuiten versprechen Gehorsam gegenüber den Sendungen des Papstes, nicht um ihn schon zu Lebzeiten heilig zu sprechen. Zudem muss man gegenüber manchen Formen hysterischen Katholizismus betonen: Der Papst ist nicht dazu da, dass sich auch Katholiken begeistert fühlen dürfen, wie Teenager bei einem Justin-Bieber-Konzert. Ich rate uns als Kirche dringend dazu, dass wir uns von der Medienhype nicht anstecken lassen - es fällt eines Tages gewiss auf uns als Kirche und auch auf den Papst zurück.

Denn, das ist das zweite, natürlich hat auch dieser Papst eine Vergangenheit, die nicht nur glänzt. Wer so lange Zeit Verantwortung getragen hat, hat auch Fehler gemacht. Die geringere Begeisterung der Jesuiten über die Wahl hängt wohl auch damit zusammen, dass vielen von uns eben diese zunächst einmal vor Augen standen. Die Zeitungen haben ja schon begonnen, sich dieser Seite der Geschichte anzunehmen. Wer sich über den Jubel und die auswuchernden Sondersendungen zur Wahl gefreut hat, der wird jetzt auch die Beleuchtung der Schattenseiten aushalten müssen. Wir sollten in der Missbrauchsdebatte gelernt haben, dass überhöhte Selbstbilder vom Bösen sind. Ich gehe selbstverständlich (auch ohne jegliche Kenntnis in der Sache) davon aus, dass jemand, der 15 Jahre an der Spitze eines großen Bistums wie Buenos Aires gestanden hat, auch in der Leitung Fehler gemacht hat. Das ist doch weniger entscheidend als die Frage, wie man später damit umgeht. Das gilt genauso für die problematischeren Erfahrungen, die wir als Jesuiten mit José Bergoglio als jungem Provinzial der Jesuiten damals in Argentinien gemacht haben. Auch da gehen die Meinungen auseinander.

Man tut einem Menschen ebenso wie dem Papstamt dann Unrecht, wenn man ihn und das Amt blind in den Himmel lobt, und nicht, wenn man nüchtern die anstehenden Aufgaben angeht. Und damit wären wir wieder beim heutigen Evangelium.

2. Jesus und die Ehebrecherin

  • Das Evangelium von Jesus und der Ehebrecherin ist vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Das vollständige Zitat, der Satz Jesu zum Abschluss des Abschnittes, lautet: "Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!" Das bedeutet im Klartext: Jesus sagt ihr sehr wohl, dass sie gesündigt hat. Er lässt keinen Zweifel daran, dass Ehebruch Sünde ist, weswegen er sie auffordert, das künftig zu unterlassen.
  • Jesus fällt also sehr wohl ein klares Urteil. Aber er verurteilt so wenig, wie einer derer, die er aufgefordert hat, den ersten Stein zu werfen, so sie denn ohne Sünde seien. Jesus verharmlost den Ehebruch und die Sünde mit keiner Silbe und keiner Geste.
  • Im Gegenteil ist eigentlich das der Kern seiner Reaktion, dass er die Sünde offenlegt. Er macht dies zunächst mit einer Geste, die die Schriftgelehrten, die da zu ihm kommen, sehr wohl als Anspielung verstehen könnten. Das Schreiben in den Staub kann als ein Verweis auf das Buch des Propheten Jeremia gelesen werden:"Du Hoffnung Israels, Herr! Alle, die dich verlassen, werden zuschanden, die sich von dir abwenden, werden in den Staub geschrieben; denn sie haben den Herrn verlassen, den Quell lebendigen Wassers." (17,13).
    Vielleicht aber will Jesus durch die Geste nur ein wenig Ruhe in die aufgeregte Szene bringen (60 Sekunden Stille auf dem Petersplatz sozusagen), damit die, die da eine Frau steinigen wollen, eine Chance haben, über sich selbst nachzudenken. Dann würden sie merken, dass die Sünde der Frau nicht isoliert da steht. Nicht die Sünde des Ehebruchs wird verharmlost, sondern nachgefragt, wie es bei einem selber stehe. "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie."

3. Urteilen und neu Anfangen

  • Wenn wir die Szene aus dem heutigen Evangelium im Kontext mit anderen Stellungnahmen Jesu sehen, ist der Sinn ganz klar. Jesus will nicht durch eine Verurteilung die Chance zum Neuanfang abschneiden. Jesus geht ganz klar davon aus, dass am Ende über unserem Leben das Gericht Gottes steht. Gerade deswegen verkündet er Gottes Liebe und Barmherzigkeit, weil diese Raum schaffen dafür, hier und jetzt neu anzufangen.
  • Die Verantwortung für unser Handeln können wir nicht delegieren. Nicht an einen Relativismus, der ohnehin keine Sünde kennen will, nicht an einen Papst und ein kirchliches Lehramt. Dieses wird auch weiterhin in ethischen Fragen urteilen, mal mehr, mal weniger nachvollziehbar; das ist so.
  • An uns ist es, dass das klare Urteil in der Sache nicht dazu benutzt wird, einander fertig zu machen, zu verurteilen oder zu steinigen, sondern uns für Gottes Barmherzigkeit zu öffnen, die Neuanfang und Umkehr erst möglich macht. Amen.