Predigt zur Beerdigung Hamburg 19. Juli 2011
Zurück zur Übersicht von: Beerdigung
19. Juli 2011 - Hamburg
1. Eine aktive Frau
- Liebe Frau Werber, Sie haben in den Tagen und Wochen der Krankheit
und nach dem Tod Ihrer
Mutter versucht, sich diesem Leben zu nähern. Nicht nur, was Ihre Mutter
für Sie und Ihre
Geschwister und auch für die Enkel war, sondern auch, was sie in vielen
Rollen und Aufgaben für
andere Menschen war, ist dabei deutlicher geworden. Vielleicht sind
heute, an ihrem Sarg, zum
ersten Mal diejenigen zusammengeführt worden, die Ingrid Werber in
verschiedenen Zusammenhängen erlebt haben, als Mutter oder als Freundin,
als Kollegin beim Gericht oder als Mit-Engagierte bei Aufwind, dem
Kinder- und Jugendfonds in Dresden, und als Clubschwester bei
Soroptimist International.
Eine zierliche Frau, die kraftvoll gelebt und gearbeitet hat. Da sie nicht zu meiner Gemeinde
gehörte, kannte ich sie nicht; der Pfarrer ihrer Gemeinde ist in Urlaub. Aber in den Gesprächen mit
ihrer Tochter Ulrike habe ich doch viel über Ingrid Werber erfahren.
- Sicher war sie durch ihre Zeit geprägt. Sie wusste aus der Erfahrung ihrer Kindheit, dass Frieden
und Gerechtigkeit nicht selbstverständlich sind. Es braucht Menschen, die sich aus Überzeugung
und kraftvoll dafür einsetzen. Ihren beruflichen Weg konnte sie in einer Zeit gehen, die es auch
Frauen ermöglichte, nicht auf Rollenbilder festgeschrieben zu bleiben. Alles, was ich über sie
gehört und gelesen habe, macht mir deutlich, wie viel Energie sie in ihr Leben gesteckt hat und mit
wie viel Einsatz sie für ihren Beruf und ihre Kinder gelebt hat.
- "Entschieden, klar, leistungsbereit, aktiv, interessiert, lebhaft." So haben Sie, Frau Werber, mir Ihre
Mutter geschildert. Sie hatte viele Gaben und hat sie eingesetzt. Sie war aktiv. Sie haben mir
geschrieben: da war "ein sehr starker innerer Antrieb, ein innerer Motor, dessen genaues Ziel ich
nicht annähernd kenne."
2. Ein Lied
- Für diesen Gottesdienst habe ich eine Lesung aus dem Brief
ausgewählt, den der Apostel Paulus
an die Christen in der Hafenstadt Philippi geschrieben hat. Paulus
zitiert darin ein Lied, das wohl
in den Gottesdiensten gesungen wurde. Es ist ein Hymnus, in dem die
Christen sagen, was für sie
die Erfahrung Gottes gewesen ist, der in Jesus Christus Mensch geworden
war. Für die griechisch-antike Umgebung damals war Gott ein höchstes
Wesen, aber letztlich fern. Die Christen in Philippi
haben Gott anders erfahren und darüber singen sie.
- "Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er
entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich." Schon das Volk Israel hatte
die Erfahrung gemacht, dass Gott sich auf die Geschichte der Menschen einlässt und den Weg mit
ihnen geht. Hier aber erfüllt sich das auf ungeahnte Weise: Gott will selbst als Mensch unter
Menschen leben. Gott selbst "hält nicht daran fest wie Gott zu sein". Selbst die Ungerechtigkeit
der Gewalt und der Schmerz des Todes, die zur Wirklichkeit von uns Menschen gehören, will Gott
teilen, um den Weg mit uns zu gehen.
- Die Christen von Philippi haben dieses Lied gesungen, weil sie an diesen Gott glaubten. In ihrer
Gemeinschaft haben sie erfahren, dass wir vor diesem allein Gott unsere Knie beugen; nicht vor
all den angemaßten Göttern, die alles an sich reißen wollen und doch nur Vernichtung bringen,
sondern vor dem einzig wahren Gott, der selbst seine Gottheit loslassen kann, um zu lieben.
Loslassen, um zu lieben, das ist die Souveränität Gottes.
3. Ein Weg
- Der Tod von Ingrid Werber bedeutet, sie loszulassen, nolens volens. Den Zeitpunkt hat sich keiner
von uns ausgesucht. Wer kann schon sagen, dass er vorbereitet ist dafür?
Die Form, in der wir Abschied nehmen, ist die Liturgie der Katholischen Kirche. Ingrid Werber
hat in ihr das Sakrament der Taufe empfangen und das Sakrament der Krankensalbung als Stärkung
auf ihrem letzten Weg. Wie diese Feier hier ist dies Liturgie zum Loslassen. Wir beten in Worten
und Formen, die uns die Jahrhunderte und Jahrtausende überliefert haben. Sie ist weniger von
Menschen gemacht, denn aus der Beziehung zu Gott über diese Zeit geworden.
- Vielleicht war es genau das, was Ingrid Werber in der Treue zu ihrer Kirche getragen hat. Hier hat
sie erfahren, dass wir alle Kräfte einsetzen sollen - doch vor Gott genau dies auch nicht tun müssen.
Sie hat, wo es ihr wichtig war, ihre Kirche auch gegen Kritik in Schutz genommen, vielleicht weil
sie gespürt hat, dass sie in dieser großen, alten Gemeinschaft nicht tun muss, sondern dem Gott
begegnen kann, der seine Größe aufgegeben hat, um unter den Menschen zu sein.
Ein Indiz dafür, dass dem wirklich so ist, bietet das Gebet, das Ingrid Werber begleitet hat. Es ist
als das Lieblingsgebet von Pater Rupert Mayer überliefert, diesem aufrechten Mann in den Zeiten
der Nazi-Diktatur. Es ist das Gebet eines Menschen, der sehr wohl weiß, was er will und dafür
einsteht. Gerade deswegen gilt das Gebet: "Herr, wie Du willst, soll mir geschehn". Sich nicht klein
machen lassen von Menschen, aber offen zu sein für den Weg, den Gott führt, das ist christlich
glauben.
- So hat Gott sie geführt. Auf dem letzten Weg wurde Ingrid Werber vieles genommen, was ihr
wichtig war. Sie musste die Hilfe anderer in Anspruch nehmen. Sie konnte noch entscheiden, ob
sie eine riskante Operation durchführen lassen will oder nicht. Dann aber konnte sie nur noch
geschehen lassen. Das Gebet von Rupert Mayer könnte ihr geholfen haben, das Loslassen als Weg
zu erfahren, in der sie bereit wurde, die Liebe anzunehmen, die sie erwartet. Es wird ihr nicht leicht
gefallen sein. Aber den letzten Schritt hinein in das Leben, das den Tod überwindet, können wir
nicht selbst tun, sondern uns nur führen und tragen lassen. Sie musste loslassen und wird ihre
Familie jetzt bitten ebenfalls loszulassen. "Es tut mir leid. Seid nicht so traurig", hat sie ihrer
Tochter gesagt. Sie konnte nun nichts mehr für ihre Kinder tun, als mit Vertrauen sich führen zu
lassen. Amen.