Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 19. Sonntag im Lesejahr C 2022 (Lukas/Sklaverei)

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7. August 2022 - St. Peter, Sinzig

1. Sklaverei

  • Ich habe versucht, mich in die Lage eines Sklaven zu versetzen. Nicht im übertragenen, sondern im realen Sinn: Sklaven sind nicht Personen mit eigenem Recht, sondern Besitz ihres Herrn. Sie haben kein eigenes Recht – sie sind nur so viel geschützt, wie Sachen vor Sachbeschädigung durch Dritte geschützt sind.
  • Die ganze Weltgeschichte gab es – und gibt es – Sklaverei. Ökonomische Ausbeutung gibt es auch, gerade in der entchristlichten Neuzeit und ihrem entfesselten Kapitalismus. Es gibt viel furchtbare Unrecht, das aber keine Sklaverei ist. Denn diese bedeutet präzise: Menschen sind Eigentum eines anderen und dieser kann mit ihnen machen, was er will. Das war Jahrtausende normal und unbestritten. Ausnahme nicht einmal China, wo der Privatbesitz an anderen Menschen zwar abgeschafft, aber stattdessen Sklaverei durch die Kaiser verstaatlicht wurde. In den heutigen Arbeitslagern für Uiguren herrscht eben diese Rechtlosigkeit.
  • Es war tatsächlich erst das Christentum, das nach und nach, dort wo es gesellschaftlich und politisch prägend wurde, die Sklaverei ausgehöhlt und abgeschafft hatte. In der Antike begann es mit der Bewegung, Sklaven freizukaufen, die sexuelle Ausbeutung von Sklaven und deren Kindern zu ächten und den unbedingten Wert eines jeden Menschen zu erkennen. Am Ende existierte Handel mit Sklaven in Europa nur noch Genua und Venedig – im Handel mit der islamischen Welt. Wäre nicht der schreckliche Rückfall zu Beginn der Neuzeit, als die Christen in den bis dahin arabisch dominierten Sklavenhandel einstiegen und im großen Stil Sklaven in die neuen Kolonien verkauft haben, dann wäre das Christentum kulturhistorisch zu lesen als ein Kampf gegen die Sklaverei. Doch auch der Kampf gegen den neuzeitlichen Sklavenhandel mit Afrikanern war dezidiert christlich motiviert. Offenbar verträgt sich der Glaube an Christus, den Erlöser nicht mit Sklaverei.

2. Sklavengleichnisse

  • Doch zurück: Ich versuche mir vorzustellen, was es bedeutet, Sklave zu sein. Es gab Sklaven, die mussten in Bergwerken, Galeeren oder in der Landwirtschaft schuften bis sie tot umgefallen sind. In der griechisch-römischen Antike war sexuelle Ausbeutung selbstverständlich – wie es in der Zwangsprostitution heute noch, doch verborgen und kriminell geschieht. – Aber es gab in der Antike auch gebildete Sklaven, als Hauslehrer, in der Verwaltung, sogar in Leitungspositionen. Doch sie alle waren Sklaven, ohne eigenes Recht. Jederzeit konnten sie bei ihren Besitzern in Ungnade fallen – und dann konnte dieser mit ihnen tun, was er wollte. Sklave sein ist totale Unfreiheit.
  • Deswegen irritiert es mich so, wenn Jesus offensichtlich in seinen Gleichnissen wie selbstverständlich von Gläubigen wie Sklaven spricht. Unsere Übersetzung überdeckt das, weil sie das Wort "Knecht" benutzt. Doch es heißt: "Selig die Sklaven, die der Herr wach findet, wenn er kommt!", "Selig der Sklave, den der Herr damit beschäftigt findet, wenn er kommt!", und: "dann wird der Herr an einem Tag kommen, an dem der Sklave es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Ungläubigen zuweisen."
  • Gleichnisse darf man nie eins zu eins übersetzten, etwa: das bedeute dies, und jenes das, "der Herr" im Gleichnis stehe für Gott und dergleichen. Gleichnisse wollen vielmehr in mir Bewegungen auslösen, mich befähigen klarer zu sehen, mich verändern. Doch das bedeutet letztlich nur: Jesus will, dass wir uns vorstellen, wie es ist, ein Sklave zu sein: restlos, schlechthin abhängig vom Wohlwollen des Anderen, in dessen Besitz wir sind, damit wir verstehen und uns verändern.

3. Glaubensfreiheit

  • Derselbe Jesus offenbart uns Gott als einen gütigen Vater und führt uns hinein in den Glauben des Alten Testamentes: "Gnädig und barmherzig ist Gott, langmütig und reich an Gnade" (Neh 9,17, Ps 103,8, Ps 145,8, Joe 2,13 u.ö.). Aber das eben ist der Glaube. Ich muss dies glauben und vertrauen, dass Gott mich liebt, achtet, bewahrt und in die Freiheit der Kinder Gottes führt.
  • Was dieser Glaube bedeutet, verstehe ich letztlich nur, wenn ich verstanden habe, dass ich 'eigentlich' wie ein Sklave bin: Restlos, schlechthin abhängig von Gott. Wie das ganze Universum hat er auch mich geschaffen, ist "der Herr" meines Lebens. Gott gegenüber habe ich keine Rechte, auf die ich mich berufen könnte – vor welchem Gericht denn auch?
    Glauben bedeutet daher: Diese vollkommene, restlose Abhängigkeit von Gott begreifen und annehmen, um dann das Wort zu verstehen: dieser Gott will dich nicht besitzen, sondern will deine Freiheit, nicht deinen ängstlichen Gesetzesgehorsam, sondern ganz in Freiheit die Liebe zu ihm und zu den Nächsten.
  • Ich stelle mir also vor, wie das ist, ein Sklave zu sein. Dann höre ich Jesus, der mir sagt: Ich nenne euch nicht mehr Sklaven, sondern nenne Euch Freunde, weil ich euch alles mitgeteilt habe, was ich von meinem Vater gehört habe (Joh 15,15): Er, dein Herr, schenkt dir die Freiheit. Wir sind erlöst – die Fesseln der Sklaverei sind gelöst. Als Kinder Gottes sind wir keines Menschen Sklaven, sondern frei. Amen.